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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1422–1424

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Middelbeck-Varwick, Anja, Gharaibeh, Mohammad, Schmid, Hansjörg, u. Aysun Ya¸sar[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Boten Gottes. Prophetie in Christentum und Islam.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2013. 264 S. = Theologisches Forum Christentum – Islam. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-7917-2484-3.

Rezensent:

Karl Prenner

Der Sammelband beinhaltet die Beiträge der christlich-musli-mischen Tagung des Theologischen Forums Christentum – Islam vom 5. bis 7. März 2012, an der 115 christliche und muslimische Wis­senschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zehn europäischen Ländern teilnahmen. Diese interreligiös aufbereitete Tagung über Prophet und Prophetie in Christentum und Islam beschäftigt sich nicht nur mit den unterschiedlichen traditionellen Konzeptionen der jeweiligen Prophetentraditionen und deren Hermeneutik in beiden Religionen, sondern auch mit aktuellen Fragen nach Abgeschlossenheit und Offenheit von Prophetie und nach deren Gegenwartsrelevanz angesichts der pluralen Moderne.
Inhaltlich wird der Diskussionsprozess anhand von sechs Themen bzw. Fragestellungen abgehandelt; nach den Referaten folgt jeweils ein Beobachterbericht, der den interreligiösen Diskursprozess gut zum Ausdruck bringt.
Im ersten Teil »Grundlagen« (Hartmut Bobzin, Omar Hamdan/ Abdelmalek Hibaoui, Bertram Schmitz, Michael Bongardt, Amin Rochdi) wird das jeweils spezifische Prophetenverständnis in Chris­tentum und Islam anhand der beiden Religionsstifter Jesus Christus und Muhammad erörtert: Muhammad schließt als »Siegel des Propheten« die biblische Prophetenreihe ab. Bobzin verweist darauf, dass dieser Ausdruck auch als »Bestätigung des Vorausgegangenen« (258) verstanden werden könnte. Jesus wiederum wird christlicherseits in erster Linie nicht als ein Prophet gesehen, denn als »Sohn Gottes« sei er nicht Verkünder der Botschaft, sondern verkörpere die Botschaft selbst.
Im zweiten Teil »Mose/Musa als prophetische Gestalt in Chris-tentum und Islam« (Friedmann Eißler, Lejla Demiri, Jörg Ballnus) wird die theologische Funktion dieser Zentralgestalt in Bibel und Koran aufgezeigt. Hierbei wird von der Sicht des Neuen Testaments her argumentiert, dass Mose nicht als Gegentypos zu Jesus zu sehen sei, sondern vielmehr als dessen Wegbereiter; Jesus hat erfüllt, was Mose lehrte. Bezüglich des koranischen Mose wird wiederum auf verschiedene Parallelen in den Lebensgeschichten Mu­sas und Muhammads verwiesen; Musa gelte gleichsam als Urbild für Muhammad.
Der dritte Teil »Prophetenberufungen im Islam und Christentum – theologische und religionspädagogische Perspektiven« (Tuba I¸sik, Karlo Meyer, Christine Funk) geht der Frage nach, wie die klassischen Darstellungen der Prophetenberufungen in Christentum und Islam in der Gegenwart für die konkrete Situation von Kindern und Ju­gendlichen aktualisiert und für deren Suche nach Orientierung fruchtbar gemacht werden können. Betont wird die »exis­­tentielle Lernebene«, d. h. besondere Erlebnisse und Erfahrungen biblischer Gestalten sollen für die eigene persönliche religiöse Erfahrung hin transparent gemacht werden (Korrelationsdidaktik).
Der vierte Teil stellt die Frage: »Wie abgeschlossen ist die Prophetie? Prophetische Ansprüche nach Jesus Christus und Muhammad« (Arnulf von Scheliha, Isabel Lang, Muna Tatari). Eine Fragestellung, die für beide Religionen in theologischer Hinsicht eine beträchtliche Herausforderung darstellt. Können nach Jesus und nach Muhammad noch prophetische Ansprüche gestellt werden? Wie weit sind überhaupt die traditionellen Prophetie-Konzepte auf Zukunft hin offen? Wie gehen nicht nur Christen, sondern auch Muslime selbst mit dem Anspruch Muhammads um, »das Siegel des Propheten« zu sein?
Der fünfte Teil beschäftigt sich mit »Prophetie und Gericht« (Aysun Ya¸sar, Jürgen Werbick, Katrin Visse). Die zentrale Botschaft der biblischen und koranischen Propheten sind deren Gesellschaftskritik, deren Ruf zur Umkehr und deren Ankündigung des Gerichtes im Diesseits und im Jenseits, damit ist aber auch die An­kündigung von Heil verbunden. In diesem Zusammenhang wird innerhalb des Islam die Frage kontrovers diskutiert, ob Mu­hammad im Jenseits auch Fürsprache einlegen könne, also eine Vermittlerfunktion zwischen Gott und den Gläubigen ausübe.
Der letzte und sechste Teil erörtert »Prophetie als verbindendes Element zwischen Islam und Christentum« (Christiane Tietz, Mark Chalil Bodenstein, Mohammad Gharaibeh/Anja Middelbeck-Varwick). Mit dieser Fragestellung werden in besonderer Weise die prophetische Funktion und Dimension in der Gegenwart angesprochen, der Versuch die traditionellen Konzepte neu zu aktualisieren. Für Mohammad Gharaibeh/Anja Middelbeck-Varwick geschieht prophetisches Handeln dort, wo Menschen gegen soziale und wirtschaftliche Missstände und Unterdrückung kämpfen. Gerade die konkrete Handlungsebene, das Streben nach dem Guten und die Abwehr des Bösen, stelle eine Brückenfunktion für beide Religionen dar. Verwiesen wird auch auf rechtschaffene Menschen, auf die Freunde Gottes ( auliya´), zu denen Gott sehr wohl auch gesprochen hat und nicht nur zu den Propheten, wodurch »prophetisches Handeln« auch weiterhin ermöglicht wird.
Für das weiterführende Gespräch zwischen Christen und Muslimen stellen Mohammad Gharaibeh/Anja Middelbeck-Varwick als Desiderat fest, dass in den Beiträgen Prophetinnen ausgeklammert wurden. Außerdem machen sie darauf aufmerksam, dass man be­züglich Jesus stärker auch den neutestamentlichen Kontext beachten solle, und der spricht sehr wohl von Jesus als dem Propheten. Auch hinsichtlich der Ablehnung des Prophetentitels für Muhammad von christlicher Seite geben beide zu bedenken, »ob eine derartige dogmatische Geschlossenheit […] zwingend ist« (252).
Bedeutsame Anstöße zum Weiterreflektieren wurden auch in den Beobachterberichten gegeben. So bleibt für Muna Tatari auch nach dem Diskurs das »Konzept des Prophetentums« eine offene Fragestellung: Was muss eigentlich »zwischen Gott und einem Menschen passieren, damit man jemanden als Propheten anerkennen kann« (171)? Katrin Visse verweist in ihrem »Beobachterbericht« einmal auf die Schwierigkeiten beim Verstehen von eschatologischen Bildern für heutige Menschen; zum anderen darauf, wie man mit dem Handeln Gottes in der Geschichte umgehen muss, wenn richtendes Handeln Gottes »aus ethischen Gründen« abgelehnt werden muss (201). Ein Autorenregister schließt den Sammelband ab.
Die Tagung zeichnet insgesamt aus, dass nicht nur die klas-sischen Konzepte von Prophet und Prophetie in beiden Religionen zur Sprache kamen, sondern auch zentrale Frage- und Problemstellungen der Gegenwart. Die Beiträge und der Diskussionsprozess vermitteln den Eindruck, dass das Thema der Tagung von beiden Seiten durchwegs differenziert reflektiert wurde. Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass dieser Sammelband einen ge­lungenen Beitrag für das christlich-muslimische Gespräch darstellt.