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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1549–1551

Kategorie:

Aufsätze

Titel/Untertitel:

Wolfhart Pannenberg (1928–2014) zum Gedenken

Rezensent:

Gunther Wenz

Wolfhart Pannenberg wurde am 2. Oktober 1928 in Stettin an der Oder geboren. Das Studium der Theologie und Philosophie begann er 1947, zuerst in Berlin, dann in Göttingen und Basel, schließlich in Heidelberg. Zu philosophischen Lehrern wurden Nicolai Hartmann, Karl Jaspers und Karl Loewith, prägende Theologengestalten waren Gerhard von Rad, Karl Barth und Edmund Schlink. Letzterer, dessen Assistent Pannenberg zeitweise gewesen ist, machte ihn mit den ökumenischen Problemen der Christenheit vertraut und überzeugte ihn zugleich von der Notwendigkeit interdisziplinärer Dialoge insbesondere mit den Naturwissenschaften.

Die Promotion erfolgte 1953 in Heidelberg; die Prädestinationslehre des Duns Scotus war Gegenstand der im Jahr darauf pub-lizierten Dissertation. Es folgten in Vorbereitung der erst 2004 veröffentlichten Habilitationsschrift über die Geschichte des Analogiebegriffs in der Gotteserkenntnis weitere Studien zur mit­telalterlichen Scholastik. Das Jahr 1955 erbrachte eine Dozentur in Systematischer Theologie; im nächsten Jahr erfolgte die Ordina-tion zum geistlichen Amt. 1958 erging ein Ruf an die Kirchliche Hochschule Wuppertal, wo Pannenberg bis 1961 als Professor für Systematische Theologie lehrte, um anschließend in gleicher Funktion an die Universität Mainz zu wechseln.

Der Wechsel nach Mainz fiel zeitlich zusammen mit dem Er­scheinen der Programmschrift »Offenbarung als Geschichte«, mit der sich 1961 innerhalb des deutschen Protestantismus ein neuer theologischer Gesamtentwurf ankündigte, der sich von den beiden herrschenden Gestalten der Wort-Gottes-Theologie, der existentialen Hermeneutik der Bultmannschule und dem religionskritischen Offenbarungsdenken des Barthianismus, gleichermaßen abgrenzte. Der antihistorische Glaubenssubjektivismus, welcher diese beiden Spielarten der Dialektischen Theologie nach Pannenbergs Urteil kennzeichnete, sollte überwunden werden durch Wiederentdeckung der Universalgeschichte als des umfassenden Me­diums der Offenbarung Gottes und durch Nachweis einer allem Irrationalismus und Dezisionismus überlegenen Vernünftigkeit des Glaubens.

Die universalgeschichtliche Orientierung der Hermeneutik suchte die Auflösung der Theologie in eine bloße Sprachlehre des Glaubens zu vermeiden und forderte stattdessen die Ausarbeitung einer religionsgeschichtlichen Theologie, welche die Offenbarungsgeschichte mit den wissenschaftlichen Mitteln der historisch-kritischen Forschung untersucht. Das Christentum mit seiner eschatologischen Botschaft von der kommenden und in Jesus von Nazareth bereits angebrochenen Gottesherrschaft wurde verstanden im Kontext der geschichtlichen Überlieferungen Israels, insonderheit der jüdischen Apokalyptik. Als Spezifikum des christlichen Glaubens galt dabei die Annahme, dass sich das Ende der Geschichte und die Zukunft der Welt in der Auferweckung Jesu Christi als der Bestätigung seines Vollmachtsanspruches durch Gott vorwegereignet haben. Wolfhart Pannenbergs Theologie stellt den Versuch dar, diese Annahme vor dem Forum des allgemeinen Wahrheitsbewusstseins zu rechtfertigen. Anthropologisch sollte die Vernünftigkeit des Glaubens vor allem durch die Freilegung der Struktur der Gottoffenheit des Menschen aufgewiesen werden. Zugleich wurde der christliche Glaube selbst als eine den universalen Sinnzusammenhang thematisierende Hypothese begriffen, deren endgültige Verifikation noch aussteht, womit die Theologie eine Fundierung im Rahmen der allgemeinen Wissenschaftstheorie erhielt und sich so als rationale Theologie gestalten konnte.

Die in »Offenbarung als Geschichte« in Grundzügen skizzierte Konzeption wurde bereits in der Mainzer Zeit, während der Pannenberg auch Gastprofessor an der Universität von Chicago, in Harvard und an der Claremont School of Theology war, besonders in anthropologischer und christologischer Hinsicht entfaltet. Zu nennen sind hier vor allem die Schrift »Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie« von 1962, die »Grundzüge der Christologie« von 1964 sowie die unter dem Titel »Grundfragen systematischer Theologie« (I, 1968; II, 1980) ge­sammelten Aufsätze.

Ihre Fortsetzung fanden Pannenbergs intensive Forschungstätigkeit und reiche literarische Produktion seit 1968 an der neugegründeten Evangelisch-Theologischen Fa­kultät in München, wo er trotz mehrerer ehrenvoller Rufe und anderweitiger Einladungen 26 Jahre lang bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte. Von den Publikationen der Münchner Jahre sind die Werke »Wissenschaftstheorie und Theologie« von 1973 und »Anthropologie in theologischer Perspektive« von 1983 sowie der Aufsatzband »Ethik und Ekkle-siologie« von 1977 besonders hervorzuheben. Hinzu kommen zahl-reiche weitere Studien und Aufsätze, von denen – analog zu den Monographien – sehr viele auch englischsprachig erschienen und in weitere Sprachen übersetzt worden sind. Die Bibliographie Pannenbergs umfasst über 750 Titel; auch die Sekundärliteratur ist mittlerweile Legion.

Vom Erfolg des Pannenbergschen Wirkens kündet auch eine stattliche Zahl von Schülerinnen und Schülern. Wolfhart Pannenbergs langjährige Lehrtätigkeit hat Generationen von Studierenden den Weg zur Systematischen Theologie erschlossen und ihnen eine theologische Basis für ihren Dienst – sei es als Dozenten, sei es als Pfarrerinnen und Pfarrer bzw. Religionslehrerinnen und -lehrer – vermittelt. Dabei verdient besonders erwähnt zu werden, dass Pannenberg gegenüber einer individualistischen Verengung des christlichen Glaubens stets den in der Botschaft Jesu vom kommenden Gottesreich implizierten Zusammenhang von Glaube und Gesellschaft betont hat, der die Christentumsgeschichte auch noch in ihrer modernen, einer mehr oder minder säkularen Welt ausgesetzten Gestalt charakterisiert. Der Überwindung isolierter Privatheit der Frömmigkeit, wie sie durch die neuzeitliche Konfes sionalisierung des Chris­tentums zumindest mitverursacht ist, dienten dabei nicht zuletzt seine Bemühungen um die Einheit der Kirchen, ohne welche nach Pannenbergs Auffassung auch die Einheit der Gesellschaft langfristig nicht zu erhalten ist. In diesem Sinne stellt sein Denken nicht nur eine sich an den allgemeinen Kriterien von Rationalität orientierende wissenschaftliche Theologie, sondern ebenso eine sich durch Ökumenizität auszeichnende kirchliche Lehre dar.

Die ökumenische Ausrichtung von Pannenbergs Denken und Wirken tritt zutage besonders in der von ihm betriebenen Münchner Gründung eines Ökumenischen Instituts, in seiner in die 50er Jahre zurückreichenden Mitarbeit im sog. Jaeger-Stählin-Kreis, dessen langjähriger wissenschaftlicher Leiter er evangelischerseits war, sowie an seiner führenden Rolle in der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, wo er von 1975 bis 1990 als Delegierter der Evangelischen Kirche in Deutschland wirkte. Neben seiner ökumenischen Arbeit beteiligte sich Pannenberg an einer großen Anzahl interdisziplinärer Institutionen und Dialoge mit den Schwerpunkten Philosophie und Theologie. Ich erwähne lediglich den Arbeitskreis »Poetik und Hermeneutik«.

Ehrungen blieben nicht aus: Wolfhart Pannenberg ist Gründungsmitglied der Academie Internationale des Sciences Religieuses. 1977 wählte ihn die Bayerische Akademie der Wissenschaften zum ordentlichen Mitglied ihrer philosophisch-historischen Klasse. 1993 wurde Pannenberg zum korrespondierenden Mitglied der British Academy bestellt. Ehrendoktortitel wurden ihm 1972 von der Universität Glasgow, 1977 von der Universität Manchester, 1979 vom Trinity College in Dublin, 1993 von der Universität von St. Andrews, 1997 von der Universität Cambridge, 1999 von der Päpstlichen Universität Comillas Madrid und 2008 von der Babes-Bolyai-Universität Cluj-Napoca verliehen. 1987 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1993 den Bayerischen Verdienstorden, 1995 den Bayerischen Maximiliansorden.

Den wichtigsten Orden und die bedeutendste Ehrung indes hat Wolfhart Pannenberg sich selbst dadurch zuteilwerden lassen, dass er sein großes theologisches Werk mit dem Abschluss einer dreibändigen »Systematischen Theologie« krönte. Der erste Band der deutschen Ausgabe erschien 1988, der zweite 1991, der dritte 1993. Englische, französische und Übersetzungen in zahlreiche andere Sprachen liegen vor. 2013 erschien der erste Band des Werkes in chinesischer Sprache. Gewidmet hat Pannenberg die »Systematische Theologie« wie viele andere Werke seiner Frau Hilke, geb. Schütte. Im Vorwort dankt er ihr »für ihre geduldige Begleitung des Werdegangs dieses Buches durch mit mancherlei Entsagung verbundene Jahre der Vorarbeiten und der Niederschrift hindurch«. Geduld und Treue währten bis ans Ende. Am 4. September 2014 ist Wolfhart Pannenberg im 86. Lebensjahr gestorben.