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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

718–720

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Albani, Matthias, Frey, Jörg, and Armin Lange [Eds.]

Titel/Untertitel:

Studies in the Book of Jubilees.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1997. IX, 344 S. gr.8 = Texte und Studien zum Antiken Judentum, 65. Lw. DM 228,-. ISBN 3-16-146793-0.

Rezensent:

Martin Rösel

Im Zuge der fortgeschrittenen Veröffentlichung der bei Qumran gefundenen Texte ist auch das Jubiläenbuch (Jub) stärker in das Interesse der Forschung getreten. Das liegt zum einen daran, daß nun auch hebräische Texte des Jub aus den Höhlen 1 und 4 zur Verfügung stehen, die freilich kaum mehr als den Text von Jub 1+2 und fragmentarisch Jub 21+25 belegen. Naturgemäß haben diese Fragmente die Diskussion um Alter und Herkunft des Buches neu belebt.

Ein weiterer Schwerpunkte der aktuellen Forschung am Jub ist einerseits die Frage nach dem chronologischen Konzept, die nun das reichhaltige Vergleichsmaterial aus Qumran berücksichtigen kann, etwa die astronom. Henochtexte 4Q208-211, die kalendarischen Dokumente 4Q320-330 oder die Otot-Texte 4Q319. Mit dem stärker werdenden Interesse an Rezeptions- und Auslegungsgeschichte wurde zudem die Frage nach dem Umgang des Jub mit biblischen Stoffen zunehmend wichtiger.

Im Horizont dieser knapp umrissenen Forschungslage bewegt sich der anzuzeigende Sammelband, der auf ein im März 1996 von den Herausgebern in Leipzig organisiertes Symposion zurückgeht. Neben den meisten der dort gehaltenen Vorträge wurden, so das Vorwort, noch weitere Beiträge aufgenommen. Allerdings wurde nicht kenntlich gemacht, um welche Aufsätze es sich dabei handelt.

Der Band ist in drei Abschnitte unterschiedlichen Umfangs gegliedert.

Unter I. "Introductory Issues and Biblical Interpretation" findet sich zunächst ein einführender Artikel des wohl besten Kenners des Jub, James C. VanderKam, zum Thema "The Origin and Purpose of the Book of Jubilees" (3-24). Es wird skizziert, wie Jub, in der Zeit zwischen 160 und 150 B.C.E. entstanden, als priesterlich orientierte Stellungnahme im innerjüdischen Konfliktgefüge gegen hellenisierende Tendenzen zu pointieren versucht, daß es aufgrund des immerwährenden Bundes Gottes mit den Vätern nie ein goldenes Zeitalter eines Zusammenlebens von Juden und Heiden gegeben hat. Der Artikel bietet zwar wenig Neues gegenüber den bisherigen Veröffentlichungen des Vfs., ist aber als zuverlässiger Forschungsüberblick für jede Beschäftigung mit dem Jub zu empfehlen.

Der folgende Artikel Armin Langes, "Divinatorische Träume und Apokalyptik im Jubiläenbuch" (25-38), geht der Frage nach, ob Jub als apokalyptische Schrift verstanden werden könne. Da im Jub keine allegorisch-kodierten Träume zu finden sind, diese aber in der Regel in apokalyptischen Werken stehen, sei Jub als der Apokalyptik distanziert gegen-überstehend einzuschätzen. Die Beschränkung auf nur ein Kriterium und das Fehlen einer Klärung, was eigentlich als "apokalyptisch" zu gelten hat, lassen mir dieses Ergebnis als fraglich, zumindest aber als zu undifferenziert erscheinen. Zudem bleiben die ausdrücklichen Bezüge zum Henochkorpus ohne Erörterung, auf die verschiedene Autoren des Bandes hinweisen.

Die beiden letzten Aufsätze des ersten Abschnitts beschäftigen sich mit der Aufnahme biblischer Texte im Jub, allerdings aus unterschiedlichen Blickwinkeln. George J. Brooke "Exegetical Strategies in Jubilees 1-2" (39-57) vergleicht sehr genau die hebräischen Jub-Texte aus Qumran mit den in ihnen aufgenommenen biblischen Texten und systematisiert den differenzierten Schriftgebrauch. Jacques van Ruiten "The Interpretation of Genesis 6:1-12 in Jubilees 5:1-19" (59-75) analysiert ebenso sorgfältig die Interpretation von Gen 6 und zeigt, wie Jub Motivation und Konsequenzen des Flutgeschehens über den biblischen Text hinaus akzentuiert. Das führt in Jub 5 zu einer Darstellung, die in verschiedener Hinsicht der der LXX-Version vergleichbar ist; diese Dimension wird allerdings in v. Ruitens Aufsatz nicht angesprochen.

Der zweite Hauptabschnitt des Sammelbandes "Calendar, Cultic Festivals, and Other Concepts of Thought" wird von zwei wichtigen Beiträgen zum chronologischen Konzept des Jub eröffnet. Matthias Albanis "Zur Rekonstruktion eines verdrängten Konzepts: Der 364-Tage-Kalender in der gegenwärtigen Forschung" (79-125) ist deutlich mehr als ein Forschungsbericht. Der angesichts des schwierigen Themas überraschend klar geschriebene Aufsatz stellt alle relevanten Texte für die Kalenderproblematik zur Zeit des zweiten Tempels vor und ist als grundlegende Einführung weit über das Jub hinaus zu betrachten.

In enger Abstimmung damit (dies sei besonders herausgestellt) wendet sich Uwe Gleßmer "Explizite Aussagen über kalendarische Konflikte im Jubiläenbuch: Jub 6,22-32.33-38" (127- 164) gezielter der Frage zu, welche Auseinandersetzungen hinter den chronologischen Angaben des Jub stehen. Umstritten ist, ob Jub an einer Langzeitchronologie (Eschatologie) oder am jährlichen Festkalender interessiert ist. Durch sorgfältige Vergleiche mit dem Henochbuch und anderem einschlägigen Schrifttum wird deutlich, daß Jub hier keine Alternative gesehen hat, sondern einen Zusammenhang darstellen will. Dabei wurde aus unterschiedlichen biblischen Datierungstraditionen ausgewählt und besonders die Rolle des Mondes gegenüber anderen Konzepten (z. B. Henoch) herabgesetzt. Gleßmer sieht die Chronologie als entscheidendes Element des eschatologischen Verständnisses des Jub an; durch die Befolgung von Sabbat- und Jobelperioden werde der Weg des Kommenden bereitet. Über die engere Problematik der Kalenderfrage hinaus ist der Aufweis von Interesse, wie im Jub biblische Typologien, etwa aus Hos 2 oder Jes 1, aktualisiert werden.

In einem kurzen Beitrag "Das Wochenfest im Jubiläenbuch und im antiken Judentum" (165-178) vertritt Werner Eiss die These, die erstmals sicher im Jub zu greifende Interpretation des Wochenfestes als Bundeserneuerungsfest habe sowohl in der Qumran-Gemeinde als auch im rabbinischen Judentum weitergewirkt. Beide Gruppen hätten wegen des Verlusts des Tempelkultes zu einer Neuinterpretation des Erntefestes kommen müssen und dazu wohl auf die im Jub belegte Tradition zurückgegriffen. Allerdings fehlen wirkliche Belege für diese These (4QDa 11,17 kann m. E. die ihm aufgebürdete Last nicht tragen); hinzu kommen terminologische Ungenauigkeiten, etwa wenn im Kontext des antiken Judentums von "Sonntag" oder "Pfingsten" gesprochen wird.

Lutz Dörings Artikel "The Concept of the Sabbath in the Book of Jubilees" (179-205) stellt die Aussagen des Jub über den Sabbat zusammen und vergleicht sie mit entsprechenden Nachrichten aus dem hellenistischen und rabbinischen Judentum. Er zeigt, daß hier durch Pointierung biblisch belegter Traditionen der Sabbat als Fest eigener Güte dargestellt wird, das Israel mit der Schöpfung als identitätsstiftendes Zeichen gegeben wurde. Damit passen auch die Sabbat-Vorstellungen zu der Darstellung VanderKams, daß das Jub besonders an der Abgrenzung zwischen Judentum und Umwelt interessiert sei. Der Beitrag ist über die Beschäftigung am Jub hinaus eine gute Einführung in die Frage nach dem Sabbat in zwischentestamentlicher Zeit.

In einem kurzen Aufsatz "Heilige Zeit - heiliger Raum - heiliger Mensch" geht Beate Ego (207-219) der Frage nach der Begründung der ersten im Jub überlieferten Weisungen nach und zeigt, daß die Gebote aus der Schöpfungs- und Paradieszeit (Sabbat, Wöchnerinnen, Bekleidung) aus dem Handeln Gottes oder seines Engels abgeleitet werden. Sabbat und Paradies markieren darüberhinaus heilige Zeit und heiligen Ort, die so zur Voraussetzung des Kultus werden. Gerade bei diesem Artikel ist schade, daß die Vfn. keinen Bezug auf den voranstehenden Artikel zum Sabbat oder den folgenden zur Weltordnung nimmt.

Einen besonders wichtigen Beitrag hat Christfried Böttrich "Gottesprädikationen im Jubiläenbuch" (221-241) verfaßt. Nach einer kurzen Einführung in das Problem der Gottestitulatur im frühen Judentum folgt ein kommentierter Katalog der Prädikationen, die im Jub zu verzeichnen sind. Dabei wird deutlich, wie überlegt im Jub die Vorgaben des biblischen Textes aufgenommen und für das eigene theologische Interesse dienstbar gemacht werden. Die Erläuterungen zu den einzelnen Prädikaten wie die gesammelte Literatur lassen dem Aufsatz über die Arbeit am Jub hinaus grundlegenden Wert zukommen.

Florentiono García Martínez steuert die Übersetzung eines bereits auf Spanisch veröffentlichten Aufsatzes bei. "The Heavenly Tablets in the Book of Jubilees" (243-260) zeigt, daß es im Jub eine differenzierte Vorstellung von den himmlischen (Gesetzes-)Tafeln gibt, die sogar den Rang einer mündlichen Tora über die schriftlich fixierten Gebote hinaus einnehmen können. Damit steht Jub deutlich in der Tradition der Henoch-Literatur und ist von dem abzusetzen, was später (bei Josephus) für die sadduzäische Gruppe gilt.

Der von Jörg Frey verfaßte Aufsatz "Zum Weltbild im Jubiläenbuch" (261-292) zeigt, wie im Jub durch Neuinterpretation von Elementen des Genesis-Textes ein konsistentes Weltbild entworfen wird. Zur schöpfungsgemäßen Ordnung der Welt gehört, daß Israel in der Mitte der Zeit (im 50. von 100 Jubiläen) in sein Land in der Mitte der Welt (markiert durch den Zion) eingezogen ist. Jede Veränderung dieser Zeit- und Raumordnung wäre ein Verstoß gegen Gottes Gebot. Damit wird erneut deutlich, daß die Entstehung des Jub am besten vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um den Einfluß des Hellenismus zu verstehen ist.

Der einzige Artikel des mit "Reception" überschriebenen 3. Hauptteils stammt von James S. Scott und befaßt sich mit "The Division of the Earth in Jubilees 8:11-9:15 and Early Christian Chronography" (295-323). Er bemüht sich um den Nachweis, daß Jub 8-9 bereits in Hippolyts Chronicon aufgenommen wurde, was zu der Annahme führen würde, daß die (verlorene) griechische Übersetzung des Jub früher angesetzt werden muß als bisher üblich. S. stellt gute Gründe für seine These zusammen, doch aufgrund der gänzlich unsicheren Textüberlieferung bleibt sie notwendig hypothetisch. Es ist positiv hervorzuheben, daß die Leser über den Grad der Unsicherheit nicht im Unklaren gelassen werden.

Ausführliche Stellen, Sach- und Autorenregister beschließen den sorgfältig gestalteten Band. Nur wenige Fehler sind aufgefallen, diese allerdings öfter bei der Wiedergabe des Hebräischen (s. etwa 46.98.196.311). Wenig verständlich ist, weshalb die Literaturangaben der englischsprachigen Beiträge einem anderen Muster folgen als die deutschsprachigen, bei denen gar die Ortsangaben bei unpublizierten Dissertationen fehlen (37). Es legt sich zudem die Überlegung nahe, bei solchen Sammelbänden die einzelnen Literaturverzeichnisse zu einer (hier weitgehend vollständigen!) Bibliographie zusammenzufassen; das würde die Nutzerfreundlichkeit steigern, Platz sparen und Wiederholungen vermeiden können.

Auch wenn sich, wie das bei einem Sammelband fast unvermeidlich ist, die einzelnen Beiträge nicht auf einem einheitlichen Niveau bewegen, wird die künftige Beschäftigung mit dem Jub nicht an den hier zusammengetragenen Studien vorbeikommenen. Wichtiger erscheint dem Rez. noch, daß etwa die Aufsätze zur Chronologie, zum Sabbat oder zum Gottesbild für jegliche Bearbeitung dieser Fragen von Interesse sind. Der weiteren Verbreitung des Bandes sollte daher nur der m. E. überhöhte Preis im Wege stehen.