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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1399–1400

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Weyel, Birgit, Gräb, Wilhelm, u. Hans-Günter Heimbrock [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie und empirische Religionsforschung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 249 S. = Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theo-logie, 39. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03369-0.

Rezensent:

Christian Grethlein

Der Band umfasst einen »Bruchteil« (11) der auf Tagungen der Projektgruppe »Empirische Religionsforschung« in der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie zwischen 2008 und 2010 vorge-tragenen Beiträge. Die einzelnen Artikel wurden in drei Rubriken eingeordnet: »I Historische Anschlüsse«; »II Systematische Perspektiven«; »III Methoden und Methodologie«.
Im ersten Teil führen Wilhelm Gräb und Andreas Kubik/Cornelia Queisser in die Geschichte der Praktischen Theologie. Gräb stellt das Schleiermachersche Theologiekonzept und das darin lozierte Verständnis Praktischer Theologie vor. Überzeugend zeigt er, dass die Fokussierung der Praktischen Theologie auf die Anwendung nur im Kontext eines Theologiebegriffs zu verstehen ist, der noch der später üblichen strengen Disziplingliederung vorausliegt. Das Schwergewicht der Argumentation liegt auf der Profilierung der gesamten Theologie als »empirisch-praktische Wissenschaft vom Christentum« (15). Die sich dann stellende Frage, welche Bedeutung dieses Verständnis von Praktischer Theologie für heutige Enzyklopädie hat, bleibt offen. Kubik und Queisser stellen u. a. die bleibende Bedeutung des von Paul Drews entworfenen Projekts der religiösen Volkskunde heraus. Dabei zeigen sie dessen allgemein wissenschaftlichen Kontext, aber auch dessen Besonderheit gegenüber der Volkskunde mit ihrer damaligen nationalen Färbung und Konzentration auf den Bauernstand. Es folgt der Beitrag einer Ethnologin, Angela Treiber, die das Forschungsfeld der »preußisch-protestantischen Wissenschaft« (Brückner, zitiert 46) Volkskunde vermisst. Dabei werden deren zentrale Paradigmen, angefangen von dem der Primitivität bis hin zur Spiritualität, instruktiv in Leitungsvermögen und Problemen skizziert. Eine Spezialstudie steuert der Soziologe Ralph Winkle zum Thema »Kriegsvolkskunde« bei, in der er entsprechende Forschungen während des Ersten Weltkriegs vorstellt. Die Fülle der sich auch widersprechenden Ansätze und Ergebnisse ergibt ein facettenreiches Bild, das auch apologe-tische Bemühungen kirchlicher Kreise umfasst. Abgeschlossen wird der historische Teil durch einen Rekonstruktionsversuch von »Em­pirischer Theologie« durch Hans-Günter Heimbrock.
Die dabei erfolgte Vorstellung des eigenen Ansatzes eröffnet auch gleich den systematisch ausgerichteten zweiten Teil, der wiederum mit einem Aufsatz Hans-Günter Heimbrocks beginnt, der unter der Überschrift »Leben« den Begriff der Erfahrung in phänomenologischer Weise darstellt. Dem stehen Thesen Wilhelm Gräbs zur Seite, der sein allgemeines Religionsverständnis präsentiert. Anregend, aber erst skizzenhaft ausgeführt bringt Birgit Weyeldas Netzwerk-Konzept ins Spiel. Nicht zuletzt hinsichtlich der Medienentwicklung liegt hierin zweifellos ein erhebliches Potenzial. Allerdings wäre zu überprüfen, ob die dabei übliche Rede von den »Akteuren« so ohne Weiteres an den sonst in der (Praktischen) Theologie üblichen Begriff des Subjekts anschließbar ist (162). Es folgen zwei auf konkrete praktische Vollzüge bezogene Aufsätze. Kristian Fechtner und Christian Mulia zeigen anhand neuer Forschungen zur Taufe, dass hier empirische Ergebnisse bisherige pastorale (Vor-)Urteile widerlegen. Christoph Müller stellt knapp wichtige Einsichten des großen Berner Projekts »Rituale und Ritualisierungen in Familien. Religiöse Dimensionen und inter-generationelle Bezüge« vor. Dieses zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass hier aus Sicht der »Laiinnen und Laien« wichtige Handlungsvollzüge (Taufe; Weihnachten; Zu-Bett-Bringen von Kindern) analysiert wurden. Dabei ergeben sich interessante Einblicke in deren pastoraltheologisch lange übersehene »religiöse Kompetenzen« (185). Einen neuen theoretischen Gesprächsgang eröffnet dagegen Kristin Merle, die anhand der Sinnthematik dem Verhältnis von empirischer Religionsforschung und Alltagsphänomenologie nachgeht. Dabei orientiert sie sich an den entsprechenden Einsichten von Alfred Schütz.
Einen Höhepunkt des Bandes stellt der den dritten Teil einleitende Aufsatz von Christoph Morgenthaler dar. Er stellt in großer systematischer Klarheit und sachlicher Umsicht wichtige Methoden der Religionsforschung vor und arbeitet dabei deren jeweiliges Leistungsvermögen heraus. Abschließend schlagen Lars Charbonnier und Peter Meyer den Bogen zur praktisch-theologischen Ausbildung. Dass hier großer Nachholbedarf ist, wird präzise gezeigt. Zugleich verweisen die beiden Autoren auf die Bedeutung entsprechender Methodenkompetenz für den theologischen Beruf.
Insgesamt gibt der Band noch keine Kartographie für das Thema »Praktische Theologie und empirische Religionsforschung«. Wichtige semiotische und kommunikationstheoretische Ansätze bleiben unbedacht. Die (weitgehende) Beschränkung auf den Bereich des Protestantismus – unter Ausblendung etwa des Katholizismus – schmälert die Reichweite der Überlegungen. Auch wird der – im Einzelnen wohl unterschiedlich gefasste – Religionsbegriff noch ganz selbstverständlich verwendet, ohne dessen deutliche christlich-protestantische Konnotation zu bedenken. Doch kündigen die Herausgeber im Vorwort eine Weiterarbeit der Projektgruppe in verändertem Format an. Auf deren Ergebnisse kann man gespannt sein.