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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1379–1382

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kleffmann, Tom

Titel/Untertitel:

Grundriß der Systematischen Theologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XI, 274 S. = UTB 3912. Kart. EUR 22,99. ISBN 978-3-16-150886-8 (Mohr Siebeck); 978-3-8252-3912-1 (UTB).

Rezensent:

Christian Danz

Der an der Universität Kassel Systematische Theologie lehrende Tom Kleffmann hat in seinem Grundriß der Systematischen Theologie einen kompakten und in sich geschlossenen Entwurf dieser Disziplin vorgelegt. Deren Aufgabe sei es, »das Ganze des christlichen Wahrheitsanspruches in seinem Zusammenhang darzustellen« (V). Dieses Ganze bietet das Buch freilich lediglich in einem Grundriss, der »Orientierung in der scheinbaren Vielfalt der theologischen Themen, Traditionen und Begriffe« (ebd.) geben möchte. Das geschieht in vier Kreisen. Auf die Einleitung (1–7), welche die Funktion Systematischer Theologie sowie deren Anfangsproblem und Hinweise zur Gliederung des Bandes vorstellt, folgt im ersten Kreis ein Vorbegriff des Ganzen (8–21). Der zweite Kreis widmet sich unter der Überschrift Die Vernunft des Glaubens (22–82) Themen der Prolegomena der Dogmatik. Im umfangreichen dritten Kreis Gott und Mensch (83–248) wird die materiale Dogmatik erörtert. Ans Ende seines Grundrisses setzt K. mit dem vierten Kreis Das Leben Gottes (249–255) die Trinitätslehre. Dieser Gliederung des Stoffesin vier Kreise tritt ergänzend eine Untergliederung in 17 Leit-themen der Dogmatik zur Seite, welche jeweils am Anfang der Unterabschnitte deren systematischen Gehalt zusammenfassen (vgl. 6 f.). Ein sehr kurzes Literaturverzeichnis (257–260), ein Bibelstellen- (261–266), Personen- (267 f.) sowie Begriffsregister (269–274) beschließen den Band.
Der Grundriß von K. behandelt die theologische Dogmatik und nicht die gesamte Disziplin der Systematischen Theologie. Der eine Leitgedanke der Dogmatik ist die »Kommunikation Gottes mit dem Menschen« (1). Mit dieser Formel nimmt K. den Glaubensbegriff der lutherischen Lehrtradition auf, welche diesen an das Wort Gottes bindet. Christus wird folglich als die Identität der Kommunikation Gottes mit dem Menschen verstanden und der Glaubensakt als »das Sichverstehen in dieser Kommunikation« (2). Für die Bestimmung der Dogmatik, welche von dem unmittelbaren Vollzug des Glaubensaktes unterschieden ist, resultiert aus dieser Problemfassung, dass sie der Versuch ist, »die Antizipation des Ganzen, die Christus bedeutet, in gegenwärtiger Sprache zu denken« (ebd.). Die Dogmatik hat die Funktion, das unableitbar in Kommunikationsprozessen entstehende Sich-Verstehen des geschichtlich eingebundenen Subjekts in seinen Voraussetzungen und Aufbauelementen zu explizieren (vgl. 4). Deren Konstruktionsprinzipien entfaltet der zweite Kreis in der Abfolge von Verstand, Vernunft und Glaube (40–65). Der Abschnitt setzt mit einem theologiegeschichtlichen Überblick ein, welcher Stationen der Verhältnisbestimmung von Vernunft oder Verstand und Glaube (23–40) thematisiert. In den Blick nimmt K. die Bestimmungen dieses Verhältnisses bei Paulus, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin, Luther, Kant, Ha­mann, Schleiermacher, Hegel, Nietzsche und Tillich. Den Ab­schnitt beendet eine Kritik neuerer religionsphilosophischer Konzeptionen, in denen der Deutungsbegriff zum Leitbegriff avancierte. K. kritisiert an den sinntheoretischen Religionsbegriffen den Ausfall eines Kriteriums für die Wahrheit des christlichen Glaubens. In einer Deutungstheorie sei »kein Kriterium für eine wahre oder falsche Deutung möglich« (39). Zudem impliziere der »Begriff der Religion als Deutung«, dass »der Mensch als in gewisser Weise absolutes Subjekt dieser Deutung vorausgesetzt wird« (ebd.). In-sofern kann eine solche Religionsphilosophie nicht mit »dem Selbstverständnis des Glaubens, es mit einem Anderen zu tun zu haben« (40), zusammen bestehen. K.s Kritik an deutungstheore-tischen Religionsbegriffen, seine Betonung der Andersheit Gottes sowie seine Deutung der Offenbarung als Kommunikation Gottes mit dem Menschen zielen – vor dem Hintergrund seiner eigenen selbstbewusstseinstheoretischen Deutung der Religion – auf die kontingente Einsicht des Einzelnen in die Negativität des Fürsichseins. Ähnlich wie in der Religionsphilosophie des Deutschen ­Idealismus werde in der sinntheoretischen Religionstheorie das Sündersein des Menschen ausgeblendet (vgl. 252). Auch das Kriterium, welches K. zur Unterscheidung von wahrer und falscher Deutung geltend macht, scheint in dem reflexiven Wissen um die Unableitbarkeit des Sich-Verstehens zu liegen. Andernfalls müsste er ein gleichsam supranaturales Kriterium für die von ihm in Anspruch genommene Unterscheidung zwischen einer wahren und falschen Deutung des christlichen Glaubens annehmen (vgl. 52.180, Anm. 192). Wie sich freilich ein solches Kriterium begründen ließe, ist nicht abzusehen.
Negativität im Selbstverhältnis bzw., wie K.s Terminus technicus lautet, im Fürsichsein, bildet das Konstruktionsprinzip seiner Dogmatik. Es wird in der Abfolge von Verstand, Vernunft und Glaube als Dialektik von Gesetz und Evangelium entfaltet. Während der Verstand als Prinzip eines Selbstverständnisses fungiert, in dem die Negativität in positive Bestimmungen überführt wird, welche, da das Selbstverhältnis formal ist, zu einem leeren Fürsichsein sowohl auf einer lebensweltlichen Ebene als auch in der Wissenschaft führt (40–45), ist die Vernunft die Einsicht in die Leerheit der Reflexion. »Das Subjekt des Verstandes erfährt sich als leer, als leeres Fürsichsein, als leeres Selbstverhältnis in allem Welterkennen. Der Mensch erfährt sich einer an sich sinnlosen Welt gegenüber. Der Mensch realisiert seine absolute, das All der ihm bewußten Welt einschließende Einsamkeit.« (48) In der Vernunft realisiert der Verstand seine Grenze, sie vermag jedoch die Leerheit der Reflexion nicht zu überwinden. Dies ist die Funktion der Glaubens als Sich-Verstehen des Menschen. Er besteht in dem Aufbau einer menschlichen Identität, welche die Negativität des Fürsichseins integriert (vgl. 57).
Die Dogmatik entfaltet den inneren Zusammenhang von Verstand, Vernunft und Glaube in ihren einzelnen Lehrstücken. Im dritten Kreis des Grundrisses thematisiert K. zunächst die Sündenlehre, also die Negativität im Selbstverhältnis (83–109), sodann die Christologie als Überwindung der Negativität des Fürsichseins (109–157), die Schöpfungslehre (157–183) und schließlich die Pneumatologie als das wahre Leben (183–248). Die Konstruktion der Sündenlehre – Das unwahre Leben – führt die Negativität im Fürsichsein im Wechselverhältnis mit der Lehre vom wahren Leben aus (vgl. 84). »Die Grund- oder Erbsünde ist eine Verkehrtheit des Fürsichseins oder eine Verkehrtheit des Selbstverhältnisses.« (87) Die Bestimmung der Negativität im Selbstverhältnis durch Reflexionsakte bedeutet nichts anderes als diese durch diesen Akt zu verleugnen. Dadurch verstrickt sich der Menschen in eine unendliche Dialektik von Macht und Ohnmacht. Da jeder Reflexionsakt die Leere im Selbstverhältnis reproduziert, kann sie durch Handeln nicht überwunden werden. »Das heißt für das Wesen der Sünde: obwohl der Mensch die Leere, die reine Entfremdung des Fürsichseins realisiert, durch die er allererst vor Gott als dem Anderen steht – setzt er das Prinzip der Selbstentfremdung fort.« (89)
Zur Überwindung der Leerheit des Selbstverhältnisses kommt es durch die Kommunikation Gottes mit dem Menschen. Diese expliziert die Christologie, welche K. unter die Überschrift Die Offenbarung Gottes als Mensch stellt. Die Funktion der offenbarungsgeschichtlich (112–130) konstruierten Christologie besteht darin, die Einsicht in die Negativität des Selbstverhältnisses sowie deren Überwindung auszuführen. Der Aufbau der materialen Christologie folgt der lutherischen Dialektik von Gesetz und Evangelium (Kreuz und Auferstehung Christi, vgl. 139–147) und beschreibt somit den Glaubensakt, welcher von K. durch eine spekulative Exegese an die neutestamentlichen Texte zurückgebunden wird. Die historisch-kritische Rekonstruktion der Geschichte des Nazareners wird ebenso wie die Aufklärungstheologie ob ihrer Verstandesreflexion als produktives Missverständnis eingestuft. »Obwohl also der Ursprung der kritischen Frage nach dem historischen Jesus ein Mißverständnis war, eröffnete sie die Möglichkeit eines tieferen Verständnisses. Gerade indem die Differenz zwischen Jesu Ankündigung der eschatologischen Gottesgemeinschaft und der nachösterlichen Verkündigung ihres Eingetretenseins herausgestellt wird, ergibt sich die Möglichkeit, theologisch zu verstehen, wie sich die nachösterliche Christus-Verkündigung auf das Reden, Handeln und Sterben Jesu als ihre notwendige Voraussetzung bezieht.« (134) Die offenbarungstheologische Fassung der Christologie tritt bei K. an die Stelle der überlieferten Zwei-Naturen-Lehre (vgl. 155–157).
Der Sinn der Welt als Äußerung Gottes wird im Anschluss an die Christologie erörtert. Diese Anordnung leuchtet insofern ein, weil die Deutung der Welt als Schöpfung Gottes die kontingente Einsicht des Menschen in die Negativität seines Fürsichseins als konstitutives Element im Selbstverhältnis – und damit die Christologie – bereits voraussetzt. Ob deren Stellung als »Exkurs« (183) zwischen Christologie und Pneumatologie allerdings sinnvoll ist, mag man fragen, da erst mit der Pneumatologie die Explikation des Glaubensbegriffs abgeschlossen ist, so dass sich von dieser aus eine Darstellung der Schöpfungslehre nahelegen würde. Der Abschnitt Das wahre Leben erörtert den Begriff des heiligen Geistes (183–189), das wahre Leben im unwahren (189–219), Aspekte der Ethik (220–229), Grundzüge der Ekklesiologie (229–240) sowie die Eschatologie (240–248). Die Trinitätslehre schließlich, welcher der letzte Ab­schnitt des Grundrisses gewidmet ist, fasst ähnlich wie bei ­Schlei­ermacher »zusammen, was über seine [sc. Gottes] Offenbarung als Mensch, den Sinn der Welt als seiner Äußerung, und den Geist und die Ewigkeit des wahren Lebens des Menschen zu sagen war« (249). In K.s Ausführungen zum Leben Gottes tritt die immanente Trinitätslehre hinter die Entfaltung des konkreten Prozesses des Ereignisses des Sich-Verstehens des Menschen in der Kommunikation Gottes mit dem Menschen zurück (vgl. 250f.). Hierin do­kumentiert sich ein gegenüber den spekulativen Grundbegriffen von K.s Dogmatik ge­genläufiges Interesse an der konkreten ge­schichtlichen Bestimmtheit und Unableitbarkeit des Glaubensaktes.
Der von K. vorgelegte Grundriß der Systematischen Theologie weist eine hohe innere Geschlossenheit auf, die sich seinem Leitgedanken der Kommunikation Gottes mit dem Menschen verdankt, der auf der Folie der Negativität des Selbstverhältnisses (mitunter etwas redundant) entfaltet wird. Unklar bleiben allerdings das Verhältnis von Glaube und Geschichte sowie der Überbietungsanspruch gegenüber deutungstheoretischen Religionstheorien.