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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1377–1379

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kessler, Hans

Titel/Untertitel:

Was kommt nach dem Tod? Über Nahtoderfahrung, Seele, Wiedergeburt, Auferstehung und ewiges Leben.

Verlag:

Kevelaer: Butzon & Bercker (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2014. 275 S. Geb. EUR 19,95. ISBN 978-3-7666-1755-2.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Das Christentum steht quer zum Zeitgeist und zwar immer. Es gibt aber epochal Verschiedenes, was Anstoß erregen könnte. Das wäre heute etwa die Frage nach Gottes Präsenz in der Evolution, seinem Eingreifen ins Geschehen, die Frage, was eigentlich Auferstehung meint oder eben, was wohl nach dem Tod kommt.
Betrüblich ist, dass manche Theologen solche anstoßerregenden Seiten des Glaubens so weit abmildern, dass sie niemandem mehr weh, aber auch niemandem mehr gut tun. Von dieser Art ist Hans Kessler nicht, der sehr lange an der Frankfurter Universität lehrte. In seinem Buch packt er heiße Eisen an: Was sollen wir uns unter Auferstehung vorstellen? Was bedeutet es, dass manche Menschen Nahtoderfahrungen machen? Gibt es eine Seelenwanderung? Und so weiter. Das Buch zeichnet sich nicht nur durch wissenschaftliche Gründlichkeit, sondern auch durch gute Lesbarkeit aus, zwei Eigenschaften, die gar nicht so oft zusammenfallen. Es ist gegliedert in sechs Abschnitte.
I. Grunderfahrungen, die über den Tod hinausweisen und die Frage nach einer transzendenten Dimension: K. fängt gewissermaßen empirisch an: Gibt es Erfahrungen, die jeder machen kann und die uns nach jener transzendenten Dimension fragen lassen? K. nennt vier Bereiche, die dem nahekommen: a) das Wissen um unsere radikale Endlichkeit, b) das Aufbegehren gegen den Tod und die sich daraus ergebende Sinnfrage, c) der Tod eines geliebten Mitmenschen, d) das nicht wieder gutgemachte Unrecht und die Frage nach der Schuld. Selbst ein dezidierter Atheist, wie Jürgen Ha­bermas, hat in einer berühmten Rede im Jahr 2001 darauf hingewiesen, dass die Frage nach einer Gerechtigkeit für die Opfer der Geschichte ein drängendes Problem für jeden sein müsste. Insgesamt sieht es so aus, als enthielte unser Leben ein nicht eingelöstes Versprechen auf Endgültigkeit, Stimmigkeit. Der Durst nach Erfüllung verweist auf eine Quelle, wo immer sie sich befinden möge. Allerdings will K. solche Überlegungen nicht als strikten Gottesbeweis verstanden wissen, sondern als eine Option, die zu ergreifen vernünftig ist, ohne dass sie das Gegenteil ausschließen würde, so dass man nicht sagen kann, der Atheist sei irrational. Aber das gilt auch für den Christen. Weiter sind alle Versuche, christliche Hoffnung aufgrund der Naturwissenschaft ad absurdum zu führen, selbst absurd, weil sie den naturwissenschaftlichen Weltzugriff ver­absolutieren, was keine Konsequenz aus der Physik oder der Biologie sein kann. Die Frage nach dem Sinn des Ganzen liegt nicht auf derselben Ebene wie die Frage nach empirischen Zusammenhängen.
II. Nahtod und Out-of-body-Erfahrungen: Indizien für ein vom Körper ablösbares Bewusstsein? Dies dürfte ein kontroverses Kapitel sein, denn der Streit um solche Erfahrungen ist ziemlich heftig. Manche sehen in solchen Out-of-body-Erfahrungen eine Art empirischen Gottesbeweis oder einen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele, während andere glauben, dass es sich um illusionäre Wunschvorstellungen handelt, die nichts bedeuten. Zunächst einmal sollte man K. dankbar dafür sein, dass er das Thema überhaupt behandelt, denn die meisten Theologen tun das nicht. Das hat dann zur Folge, dass Menschen, die solche Erfahrungen machen, in die Sekten oder in die Esoterik abgedrängt werden.
K. versucht, eine mittlere Position zwischen den beiden genannten Extremen einzunehmen: Einerseits beweisen solche Grenzerfahrungen nichts über ein Leben nach dem Tode, weil keiner von denen, die zurückkamen, wirklich gestorben ist. Andererseits scheinen Menschen in solchen Grenzsituationen Dinge erlebt zu haben, die eine empiristische Interpretation übersteigen, d. h. sie legen es nahe, dass die menschliche Seele nicht vollständig an ihr Körpersubstrat gebunden ist.
III. Projektionen und Hoffnungsentwürfe über den Tod hinaus: Ging es bisher um allgemein menschliche Erfahrungen, so jetzt um die Religion im engeren Sinn. Hier weist K. zunächst einmal die Prätention esoterischen Wissens über das Jenseits oder physikalis­tische Spekulationen zurück, wie man sie bei Frank Tipler, Markof Niemz usw. findet. Ernster zu nehmen sei die Reinkarnationslehre, die ursprünglich pessimistisch gemeint war, im Westen aber oft im Sinn einer Fortschrittsidee gedeutet wird. Aber selbst dann müsse man fragen, ob durch diese Vorstellung nicht womöglich behebbares Leid zementiert wird, weil es doch eine Strafe für eigenes Vergehen sein müsste.
IV. Der jüdische und der jesuanische Hoffnungsentwurf: Hier wird daran erinnert, dass das biblische Israel fast 1000 Jahre keine Hoffnung für die Toten kannte. Später leiteten sich Unsterblichkeitshoffnungen von der Idee eines gerechten Gottes ab, verzweigten sich aber vielfach in Vorstellungen der Apokalyptik oder der vom Griechentum inspirierten Unsterblichkeit der Seele, während Jesu Hoffnung sich an der Erfahrung des gegenwärtigen Gottes entzündet, der den Menschen auch im Tod nicht im Stich lassen wird.
V. Auferstehung Jesu und Auferstehung der Toten – neu bedacht: Unter Auferstehung ist nicht die Wiederbelebung eines Leichnams zu verstehen, so dass man auch nicht an ein leeres Grab glauben müsse. K. stellt zunächst einmal die ältesten biblischen Do­kumente des Auferstehungsglaubens vor, die sich aller inhaltlichen Ausmalungen enthalten. Weitere szenische Entfaltungen, wie die Emmauserzählung, wurden später hinzugefügt. Man sollte aber nicht so weit gehen, das Osterereignis nur als eine innerpsychische Angelegenheit stehenzulassen, sondern es müsse einen geistlichen Neuanstoß gegeben haben, der auf etwas Reales verwies, auf die Verwandlung Jesu in eine ganz neue Seinsweise. Fraglich ist, wie auch der gläubige Christ in diese Seinsweise übergehen könne. K. weist die beliebte These einer Neuerschaffung durch Gott zurück, die keine personale Identität garantiere. Ebensowenig löst das Problem die traditionelle Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele, da der ganze Mensch gerettet werden soll, was nur denkbar ist, wenn es andere, nicht durch Erdenschwere bedingte Existenzweisen gibt. In diese neue Existenzweise sind auch die Tiere eingeschlossen. Traditionell hat man ja auch ihnen eine Seele zugesprochen.
VI. Gott – das letzte Ziel unseres Lebens: Über diese letzten Dinge können wir Menschen nur uneigentlich reden. Gefordert werden muss allerdings, dass es so etwas wie ein Gericht geben wird, wenn das Böse nicht bagatellisiert werden soll. Allerdings handelt es sich weniger um ein Höllen- oder Fegefeuer, sondern um die schmerzhafte Einsicht in die eigenen Versäumnisse angesichts der Liebe Gottes. Was die Allversöhnung anbelangt, wonach keiner für ewig verloren sein darf, so scheint K. an sie zu glauben, was auch daraus folgt, dass der allgemeine Heilswille Gottes unwiderruflich ist.
Gemäß der Zielvorstellung dieser Zeitschrift können diese Be­merkungen nur eine grobe Skizze sein. Sich näher mit diesem Buch zu beschäftigen, wäre allerdings lohnend.