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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

715–716

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Keulen, Percy S. F. van

Titel/Untertitel:

Manasseh through the Eyes of the Deuteronomists. The Manasseh Account (2 Kings 21:1-18) and the Final Chapters of the Deuteronomistic History.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. VIII, 249 S. gr.8 = Oudtestamentische Studiën, 38. Lw. hfl 135.-. ISBN 90-04-10666-9.

Rezensent:

Walter Dietrich

Diese Untersuchung - die erweiterte Fassung einer von A. van der Kooij betreuten Leidener Dissertation - widmet sich in der Hauptsache einem einzigen, freilich bedeutsamen Kapitel der deuteronomistischen (dtr) Geschichtsschreibung: 2Kön 21. Der Text wird sorgfältig und textkritisch abgesichert übersetzt (53-60) und dann zuerst einer synchronen (61-160), danach einer diachronen Analyse (161-203) unterzogen. Dieser durch ein Summary abgerundete (204-206) exegetische Mittelteil wird gerahmt von einer ausführlichen Darstellung der neueren Forschung am dtr Geschichtswerk (4-51) und einem Abschnitt über den historischen Stellenwert der biblischen Manasse-Berichte (207-222). Bibliographie und Register (Autoren und Bibelstellen) beschließen den Band.

Der einleitende Forschungsbericht steht in einer Reihe mit nun doch schon recht vielen Darstellungen dieser Art.

Zu erwähnen sind neben den Einleitungs-Lehrbüchern die Anfangskapitel der Monographien von M. A. O’Brien, The Deuteronomistic History Hypothesis, 1989; I. W. Provan, Hezekiah and the Book of Kings, 1988; S. L. McKenzie, The Trouble with Kings, 1991; G. N. Knoppers, Two Nations under God, Vol. 1, 1993; dazu die Übersichten von H. Weippert in ThR 1985; S. L. McKenzie in ABD 2, 1992; H. D. Preuß in ThR 1993; schließlich und erschöpfend die Retrospektive in McKenzie/ M. P. Graham [Eds.], The History of Israel’s Traditions. The Heritage of Martin Noth, 1995. Vielleicht muß also nicht mehr in jeder einschlägigen Arbeit dieser Stoff nochmals wiedergekäut werden.

Das heißt nicht, daß die vorliegende Darstellung überflüssig wäre, legt sie doch einen Sonderakzent auf das Thema ,Manasse’; zudem zeichnet sie sich durch besondere Gründlichkeit und Ausgewogenheit aus. Die kritische Durchsicht der bekannten redaktionsgeschichtlichen Modelle erbringt folgende Einsichten: Diejenigen, die von einer einheitlichen, späten Abfassung des dtr Geschichtswerkes ausgehen (Hoffmann, Van Seters, Polzin u. a.), sehen dessen Autor viel zu sehr als frei gestaltenden und erfindenden Schriftsteller. Die Vertreter des sog. Schichtenmodells, die mit mehreren Redaktionsgängen zur Exilszeit rechnen (Smend und seine Nachfolger), präsentieren gar zu unterschiedliche Einzelergebnisse und signalisieren damit ihr Hauptproblem: die zuweilen fehlende Trennschärfe zwischen den angenommenen Bearbeitungen. Am sog. Blockmodell, das ein vorexilisches Grundwerk und eine exilische Bearbeitung postuliert (Cross und seine Nachfolger), besticht zwar die Möglichkeit einer klaren historischen Profilierung der Schichten, doch will es einfach nicht gelingen, "to adduce conclusive arguments in support of the existence of a pre-exilic DH" (51); auch gibt es "no obvious grounds to assume that beyond 2Kgs. 23:25 a different dtr. author took up writing" (48).

Der Vf. beginnt seine eigene Untersuchung mit einer narratologisch-strukturalistischen Analyse von 2Kön 21. In Anlehnung an Bar-Efrat und Talstra befragt er den jetzt vorliegenden Text auf "The Narrative World", "Roles", "Point of view" usw., um auf Grund dessen unter der Überschrift "Contents" eine äußerst intensive, versweise Auslegung zu bieten (89-144). Was die Einbindung des Textes in den Kontext anlangt, zeigt sich, daß Manasse mit Jerobeam I. und Ahab, den negativen Leitfiguren des untergegangenen Nordreichs, parallelisiert und so der bevorstehende, nicht mehr vermeidbare Untergang des Südreichs signalisiert wird.

Die diachrone Analyse erweist die Verse 2Kön 21,4.8.9a.15, die schon bei der synchronen Betrachtung als nicht voll integriert aufgefallen sind, als sekundäre Zutat aus (spät-)exilischer Zeit. Der Rest- bzw. Grundbestand ist einheitlich (einschließlich der Prophetenszene V. 10-15!), und nichts in ihm deutet auf vorexilische Entstehung. Damit zeichnet sich ein reduziertes Schichtenmodell ab: mit einer (,historischen’) Grund- und einer (,nomistischen’) Nachbearbeitung, beide aus der Exilszeit, jedoch ohne (,prophetische’) Zwischenschicht.

Über die Quellenhaftigkeit einzelner Textteile äußert sich der Vf. nicht. Er scheint den gesamten Passus 2Kön 21,1-16 für dtr zu halten und stellt daraufhin fest: "the assessment of its value as a historical source must be negative" (212). Aufgrund allgemeiner historischer Erwägungen sei es jedoch glaubhaft, daß sich im Juda der Manassezeit synkretistische Tendenzen breitgemacht und Widerspruch hervorgerufen hätten. Viel Sympathie bringt der Vf. der Nachricht 2Chr 33,11-13 entgegen, derzufolge Manasse in Babylon gefangengesetzt wurde. Der Vorgang ließe sich gut auf die Jahre um 670 oder 648 v. Chr. datieren (220) - wenn nicht doch zu viele, vor allem sprachliche Gründe für eine chronistische Fiktion sprächen.

Die besondere Bedeutung dieses Buches liegt darin, daß es zwei zuweilen für unvereinbar gehaltene methodische Instrumentarien - diejenigen synchroner und diachronen Textanalyse-, gleichwertig zur Anwendung und auch miteinander in Einklang bringt. So gelingt es einerseits zu zeigen, daß am Ende dtr Redaktionsarbeit nicht ein Textwirrwarr, sondern ein sinnvolles Textganzes steht, und daß es lohnt, dessen Intention wahrzunehmen, ehe man es historisch-kritisch hinterfragt. Andererseits wird deutlich, daß an 2Kön 21 mehrere Hände mitgewirkt haben, und zwar keine schon in vorexilischer Zeit. Ob freilich der Prophetenabschnitt V. 10-15 nicht doch ein Stück sui generis ist, wird man allein aufgrund der nicht eben typisch dtr Sprache in V. 12 f. zu fragen haben. Und wieso sollten mit dem ,Himmelsheer’ in V. 3 "Canaanite astral deities" (211) und nicht die mesopotamischen bzw. assyrischen Astralgottheiten gemeint sein? Der Bericht wirkt hier historisch plausibel (und auch quellenhaft). Leider erfährt man auch nichts über den historischen Aussagewert von V. 16 (Manasse als politischer Tyrann) oder von 2Chr 33,14 (Manasse als Großbauherr in Jerusalem). Doch solche kleineren Aussetzungen können und wollen den Wert dieser feinen und genauen Arbeit nicht herabsetzen.