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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1352–1354

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Zachhuber, Johannes

Titel/Untertitel:

Theology as Science in Nineteenth-Century Germany. From F. C. Baur to Ernst Troeltsch.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2013. 336 S. = Changing Paradigms in Historical and Systematic Theology. Geb. £ 75,00. ISBN 978-0-19-964191-8.

Rezensent:

Christian V. Witt

»The place of theology within institutions of higher education has once again become controversial in recent years« (VII) – mit dieser Problemanzeige beginnt die anzuzeigende Monographie, und die Betonung liegt auf dem »once again«. Denn das Ringen um die Beantwortung der Frage, ob und inwiefern die Theologie überhaupt als Wissenschaft gelten und so ihre Existenzberechtigung im akademischen Fächerkanon behaupten könne, hat eine reiche Tradition, die ihrerseits im 19. Jh. theologiegeschichtlich besonders fruchtbare Impulse freigesetzt hat. Damit ist der Gegenstand der höchst informativen und vor allem anregenden Studie von Johannes Zachhuber, die auf eine Berliner theologische Habilitation zurückgeht (VIII), bezeichnet. Sie stellt sich explizit auch in den Dienst der Bemühung, dem gelehrten englischsprachigen Raum die hochkomplexe und wirkmächtige deutsche Theologiegeschichte der genannten Epoche zu erschließen (ebd.).
Die Konzentration auf die zweischichtige Fragestellung nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie im Vergleich zu anderen Fächern außerhalb ihrer selbst einerseits, nach der innertheologisch geführten Debatte über die Art und Weise des Theologietreibens, die sich überhaupt wissenschaftlich nennen darf, andererseits gibt Z. das inhaltlich-methodologische Instrumentarium in die Hand, mittels dessen er sich seine Schneisen durch jene an hochkarätigen Denkern und Systemen so reiche Zeit schlagen kann. Und so nimmt er seinen thematischen Ausgangspunktim ersten Teil bei F. Chr. Baur (25–50), dessen (potentielle) Vor-läufer, Inspiratoren und Quellen er ebenso wenig außer Achtlässt (1–20.51–72) wie exemplarisch die personell die »Tübinger Schule« formierenden Epigonen Baurs (73–130). Der zweite Teil umfasst dann die Darstellung der sich gleichermaßen den Ge-danken Baurs verdankenden wie sich von ihnen absetzenden Systementwürfe Albrecht Ritschls (135–174.211–249), ihrer philosophisch-theologischen Einflüsse (175–210) sowie exemplarisch ihrer prominenten Ausläufer und Fortbildungen bis ins 20. Jh. hinein (250–296).
Den argumentativen Dreh- und Angelpunkt Z.s markiert dabei die Annahme, Baur habe letztlich zwei Programme zur Identifizierung und Legitimierung der Theologie als Wissenschaft entwi-ckelt, die miteinander in einem spannungsreichen Verhältnis stehen: »In Baur’s Die christliche Gnosis, then, two very different programmes for theology as science can be seen coexisting side by side, namely, an idealist and a neo-rationalist one« (49). Das idealistische Programm Baurs gehe davon aus, Theologie »is science insofar, as it works both, and at the same time, philosophically and historically. Only to the extent that it succeeds in reconciling these poles can it live up to its task« (ebd.). Demgegenüber stehe allerdings – grob gesprochen – ein gleichermaßen programmatischer Ansatz, »in which history and philosophy represent diametrically divided opposites« (ebd.; zu den ausgemachten Wurzeln beider Programme s. 51–72).
»These two programmes, their tension and their interference, determine the Tübingen concept of theology as science or Wissenschaft. This oscillation between a vision of theological unity in-spired by philosophical Idealism on the one hand and a practical separation of historical and systematic work makes their project Janus-headed and, ultimately, unstable.« (23) Die sich daraus ergebende Dynamik hat theologiegeschichtlich gewirkt, und zwar durch die Fortbildungen jener zwei von Baur geprägten Programme: Während Denker wie Strauss (73–95), Baurs Schwiegersohn Eduard Zeller (98–123) und Adolf Hilgenfeld (124–130) sich das neo-rationalistische Programm ihres Lehrers produktiv aneigneten, stünden Albrecht Ritschl und seine Schüler für die konstruktive Reaktivierung jenes idealistischen Ansatzes (pointiert 131–134).
»The diastasis of religion and history we have found in Strauss essentially corresponds to Baur’s ›neo-rationalist programme‹. Nevertheless, Strauss is no mere executor of this programme but acuminates it in a way that entails its thoroughgoing transforma-tion.« (86; s. auch 74 f.) Zentral ist in diesem Zusammenhang der Terminus der Unvoreingenommenheit: »For Strauss, the historian and the exegete fulfil this ideal by approaching their object of study critically and without (religious or ideological) presuppositions.« (86) Genau diese Grundannahme, mit der Strauss’ Herangehensweise nach Z.s Wahrnehmung »neatly resembles Baur’s neo-rationalist programme, in which history and philosophy of religion were de-fined antithetically« (80), und die selbst wieder bestimmte hermeneutische sowie methodologische Probleme aus sich heraus setzt (dazu besonders 90–95), stellt nun Albrecht Ritschl massiv in Frage (135 f.) – und setzt ihr ein Programm entgegen, dessen Ausgangsp unkt Z. wiederum in Baurs idealistischem Programm lokalisiert(s. vor allem 147–162). Mit anderen Worten: »Ritschl’s concept of theology as science stands in the tradition of Baur’s idealist programme; both rest on the idea of full integration of historical and systematic theology. In fact, Ritschl’s commitment to this programme is partly responsible for his growing estrangement from the Tübingen School of his own day which had fully adopted the neo-rationalism inherent in Baur and loudly propagated by Strauss.« (133)
Das spannungsreiche Verhältnis zur Tübinger Schule insgesamt (zur Auseinandersetzung mit Zeller s. 143–162), aber eben auch zu Baur insbesondere, verdeutlicht dabei exemplarisch der Umgang Ritschls mit dem Neuen Testament als Quelle zur Erforschung des frühen Christentums: In direkter Aufnahme methodisch-hermeneutischer Überlegungen Baurs gelangt Ritschl be­kanntlich zu Grundeinsichten bezüglich der Kirchengeschichte der ersten zwei Jahrhunderte, die den Einschätzungen des großen Tübingers kategorisch widersprechen (erhellend 162–174 mit 92–95). Die historiographischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Baur und Ritschl offenlegend resümiert Z.: »His (scil. Ritschls, C. W.) ambition was to be a theologian in a way that al-lowed him to combine the ideal of Wissenschaft with the personal commitment to ›the ground of Christianity‹. It was to this end that he sought to assimilate the basic principle of Baur’s idealist programme, the postulate of the identity of historical and theological truth with all its formal and material implications.« (173) Doch genauso wenig wie Baurs bleibt Ritschls Versuch monolithisch:Die Spannungen in seinem System veranlassen ihn immer wieder zu Modifikationen (250–267); und es sind schließlich seine Schüler wie Kaftan, Herrmann, Harnack und – im weiteren Sinne – auch Troeltsch, die in ihrer eigenen gedanklichen Fortführung und Vertiefung des Programms ihres Lehrers theologisch-systematisch ­originelle und nicht minder erschließungsmächtige Wege be­schreiten (267–296).
Das Bild, das Z. im Rahmen seiner Fragestellung von der deutschen evangelischen Theologie des 19. Jh.s zeichnet, ist freilich um ein Weites facettenreicher und differenzierter, als es diese wenigen skizzenhaften Striche möglicherweise glauben lassen. Doch bei aller Differenziertheit im Detail sind es vor allem die beizeiten holzschnittartig anmutenden terminologisch-inhaltlichen Zu­ord­nungen, die Z. zur Sortierung seiner Protagonisten in Anschlag bringt, die zum Weiterdenken anregen. So rückt u. a. Schleiermacher zwar immer wieder in Blick (s. beispielsweise 12–20.137–140.284–289), doch bliebe zu fragen, ob seine Wirkung auf die Historische Theologie und den Historismus im Gegenüber zur Systematischen Theologie und Philosophie nicht doch unterschätzt und daher unterbelichtet bleibt (vgl. 14–17.288 f.), was sich dann zwangsläufig auch auf die aufgezeigten Sortierungen auswirken muss.