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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

712–714

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jacob, Benno

Titel/Untertitel:

Das Buch Exodus. Hrsg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Shlomo Mayer unter Mitw. von J. Hahn u. A. Jürgensen.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1997. XXV, 1098 S. gr.8. Lw. DM 198,-. ISBN 3-7668-3535-7.

Rezensent:

Werner H. Schmidt

Grob sechs Jahrzehnte nach Entstehung des umfangreichen, gut tausendseitigen Kommentars, der seinerseits auf älteren Vorarbeiten (Mose am Dornbusch, 1922) aufbauen kann, wird das "deutschsprachige Originalmanuskript" (XVII) veröffentlicht. So erfährt die bekannnte Genesis-Auslegung (Das erste Buch der Tora, 1934) eine gewichtige Fortsetzung. Über Person und Werk, ihrer beider Schicksal, geben zwei Vorworte die heute nötige Auskunft.1 Die Publikation holt längst Überfälliges nach, bildet einerseits ein würdiges Erinnerungsmal, erschließt andererseits eine ungeheure, kaum ausschöpfbare Fülle von Einzelbeobachtungen dieser Auslegung.2 Die Intensität der Beschäftigung, die dem biblischen Text gewidmete Mühe und Sorgfalt, sind offenkundig und verdienen höchsten Respekt: "Für den Exegeten ist die Hauptsache nicht der sogenannte historische Kern, sondern Sinn und Absicht des Textes."3 Auf den Reichtum kann die Besprechung nur hinweisen, vermag nur weniges anzudeuten.

Die Erläuterung des Gottesnamens Ex 3,14 umschreibt Jacob (66) einfühlsam als Antwort an Mose - "halb abweisend, halb vertröstend und verheißend": Ich werde "auftreten, als der ich sein und auftreten werde - wie ich es mir vorbehalte ... Du brauchst nur zu wissen, daß, nicht wie ich helfen und mich erweisen werde."

J. führt ein Gespräch mit den Kommentaren von A. Dillmann, H. Holzinger, H. Greßmann, gelegentlich (etwa 345) auch mit J. Wellhausen u. a.4

Literarkritischer und überlieferungsgeschichtlicher Untersuchung steht J. zurückhaltend oder gar ablehnend gegenüber, wendet sich häufiger ausdrücklich gegen die sog. Quellenscheidung.5

Die Vielfalt der Phänomene - nicht nur der Wechsel des Gottesnamens6, sondern auch Doppelungen oder gar Widersprüche (vgl. Ex 6,2 f. mit Gen 28,13), Brüche, Unebenheiten, Spracheigentümlichkeiten u. a. - läßt sich durch die sog. Quellenscheidung allerdings leichter erklären.7 Sie ergibt - vor allem, aber nicht nur innerhalb der sog. Priesterschrift - sprachlich und auch sachlich stärker in sich geschlossene Darstellungen in einer Erzählfolge.8 Dabei brauchen sich diachrone und synchrone Erklärungen nicht zu widersprechen, sondern können zusammenstimmen.

Zurückhaltung übt J. außerdem gegenüber religionsgeschichtlichem Vergleich "durch Heranziehung von außerisraelitischen ,Parallelen’ ... Analogien und Parallelen aus fremdartigen Gebieten sind keine Beweise."9 So spricht sich J. auch gegen eine "Entwicklung" aus.10 Er befragt die - ja verschiedenen- Texte auf ihre Einheitlichkeit, betont jeweils "einen Zusammenhang mit der Umgebung".11 Könnte die Auslegung aber nicht Unterschiedlichkeit und Zusammenhang verständlich machen? Durch das Bekenntnis von der Befreiung aus dem "Sklavenhaus" scheint noch die ältere Überlieferung durch, die von der "Fron" in Ägypten (Ex 1,11) spricht (zu 12). Mose ist kaum ein hebräischer, eher ein ägyptischer Name, der - von der Pharaonentochter (Ex 2,10) - hebräisch gedeutet wird.12

Vom Moselied Ex 15 urteilt J. (435): "Der Verfasser ist Mose, er ist das Ich, das anhebt. Es ist kein Grund vorhanden, ihm die Autorschaft abzusprechen." "Das Lied war eine ausschließliche Dichtung von Mose, noch kein Gesang für die Gemeinde und kein ,Psalm’. Erst Mirjam macht es dazu." (448) Ist das Moselied - mit seinen auch jüngeren Sprachanteilen- nicht doch eher eine Ausgestaltung des knappen Mirjamlieds (Ex 15,21)? "Das Ringen zwischen Mose und Pharao" sollte (nach Ex 12,12) "eine Entscheidung über die Obmacht des wahren Gottes und die Nichtigkeit der ägyptischen Götter sein"; ihrer "Unwirklichkeit" steht "ein lebendiger Gott" gegenüber (320). "Daß es für den Dekalog keinen andern Gott auf der Welt gibt als den Einen, zeigt er hinreichend"; "doch eine allgemeingültige dogmatische Belehrung über falsche Götter" geben - "das will der Dekalog gerade nicht" (555).

"Das goldene Kalb ist die schwerste religiöse Verirrung Israels in der Wüste." Die Geschichte zeigt "den Gottesmann Mose in der vollen Größe seiner Persönlichkeit; in dem Schmerz und heiligen Zorne über den tiefen Fall, aber auch der unlöslichen Verbundenheit mit seinem verirrten Volke, für das er in heißem Gebete um Vergebung und Wiederaufnahme bei Gott ringt, ohne die sein Leben wie sein Führertum keinen Wert und Sinn haben."13 "Ohne Schonung und Beschönigung werden die Missetaten und Untugenden Israels bloßgestellt." (940) Begegnet man Offenlegung von Selbstkritik nicht auf angemessene Weise, indem man sich wiederum zur Selbstkritik anregen läßt?

Auf ältere und zeitgenössische Vorwürfe14 sucht J. zugleich exegetisch zu antworten; so wirkt die Auslegung mehrfach hintergründig, text- und situationsbezogen. "Die Humanität spricht immer hebräisch. Es ist ihre Ur- und Muttersprache. Es ist die hebräische Tora, die den Begriff des Menschen entdeckt hat, indem sie zuerst die einheitliche Abstammung aller Menschen auf dem ersten Blatt gelehrt hat." (30) "Alle Völker sind ,Kinder Gottes’, also auch Ägypten."15

Im Alten Testament werden die Pyramiden, das Wunder Ägyptens, nicht erwähnt: "Als ein Sohn Israels hatte er [Mose] kein Auge für architektonische und künstlerische Wunder, wenn sie um den Preis von Freiheit und Menschenwürde geknechteter Brüder entstanden waren." Allerdings (506): "Amalek ist also in Israels Geschichte die Verkörperung der skrupellosen Unmenschlichkeit und als solcher unvergänglich."

Eigene Worte des Autors sollen auch diesen nur knappen Hinweis beschließen: Die - mühevolle - Herausgabe des überaus kenntnisreichen und engagierten Werks ist ein nobler "Ausdruck der Dankbarkeit" (31), "ein konkretes und bleibendes Zeichen und Denkmal" (497).

Fussnoten:

1) Den Abschluß bildet ein "Bibliographisches Verzeichnis der Veröffentlichungen Benno Jacobs". Als eigene Publikation ist angekündigt: A. Jürgensen, Benno Jacob und die Hebräische Bibel. Zum Leben und Werk eines jüdischen Bibelwissenschaftlers.

2) Der Reichtum der mitgeteilten Materialien wird insbesondere dort deutlich, wo der Text eine gewichtige jüdische Wirkungsgeschichte hat, wie beim Passa Ex 12 f.

3) 500; vgl. 484.

4) Leider wird der eindringliche, ebenfalls hochachtenswerte Kommentar von B. Baentsch (HK 1900) unter den Literaturangaben nicht genannt (1077; vgl. aber die Andeutung 1073). Wird dort irrtümlich "Bähr, Exodus-Kommentar" (o. J.) angegeben? Vier angeführte und mit Bae gekennzeichnete Zitate (338.506.535.543) stimmen mit dem Kommentar von B. Baentsch (101.161.170.174) überein.

5)Vgl. 41 f.46.59 f.139.149 f.236.299.333.420 f.500.744.949 u. a.; dazu XV.

6) Ha-Elohim deutet B. Jacob in Ex 19 als "die göttliche Erscheinung und ihr Ort" (535; vgl. 49) und übersetzt Ex 24,11: "sie schauten das Göttliche" (ähnlich 3,6). - Eine sachliche Erklärung des Wechsels der Gottesnamen bzw. von Gottesnamen und Gottesbezeichnung ist kaum möglich; verschiedene Intentionen sind nicht erkennbar. Vgl. etwa schon R. de Vaux, Réflexions sur l’état actuel de la critique du Pentateuque: Congress Volume Copenhagen. VT.S I (Leiden 1953) 182-198 = Bible et Orient (Paris 1967) 41-57.

7) B. Jacob (138) empfindet - mit der Massora - etwa zwischen Ex 6,1 und 6,2 "einen tiefen Einschnitt"; Ex 6 ist aber "nichts anderes als die zweite Hälfte von Moses Berufung". M. Buber (Moses: Werke II, München und Heidelberg, 1964, 55 f.) findet schon im Zwiegespräch Ex 4 zwar nicht "Stücke einer Quellenschrift", aber "Bearbeiter-Zusätze": "Der Stil ist hier ein anderer als in den zweifellos echten Teilen der Dornbusch-Erzählung, loser, gedehnter, aufgefüllter ..., während dort jede Antwort Wesentliches vom Willen und Werken des Gottes kundgibt." Verschiedenen Schichten entsprechen oft andere Intentionen, die im vorliegenden Text zu einer spannungsvollen Ganzheit verbunden werden. So besteht - für literarkritische oder auch formgeschichtliche Forschung - mit einem Grundsatz B. Jacobs (500) weithin Übereinstimmung: "Es ist jedesmal der andere Gegenstand und die andere Lehrabsicht, die eine andere Sprache verlangen und die einheitliche Tora verfügt über viele Töne."

8) Vgl. beispielhaft: W. H. Schmidt, Die Intention der beiden Plagenerzählungen (Exodus 7-10) in ihrem Kontext: M. Vervenne (Hrsg.), Studies in the Book of Exodus. BEThL CXXVI (Leuven 1996), 225-243.

9) 321; vgl. 101.568 f.926 f. u. a.

10) 325; vgl. 333 ff.949 f. u. a. B. Jacob ging "von der Einheitlichkeit der Schrift und der Treue der Überlieferung aus" (XV).

11) 101. Gelegentlich wirkt die Auslegung ausgleichend, etwa: "Das Pesachgesetz des Deuteronomiums widerspricht in keinem Punkte dem Exodustext." (389; vgl. 314 f.)

12) Zu 28 ff. Vgl. S. Herrmann, Mose: Gesammelte Studien zur Geschichte und Theologie des Alten Testaments. TB 73 (München 1986), 47-75; zusammenfassend: W. H. Schmidt, Exodus, Sinai und Mose: EdF 191 (Darmstadt 31995); ders., Mose: P. Antes (Hrsg.), Große Religionsstifter (München 1992), 32-48; E. Zenger, Mose ...: TRE XXIII (1994) 330-341; R. Smend, Mose als geschichtliche Gestalt: Bibel, Theologie, Universität. KVR 1582 (Göttingen 1997), 5-20.

13) 923. Das Opfer der "Jünglinge" (Ex 24,5) kann "ein Zeugnis für die Freiheit sein, mit der Mose sich, wenn die Stunde es rechtfertigt, über den (späteren) Buchstaben hinwegsetzen durfte" (747).

14) Die Geschichte Ex 2,12 "gehört zum eisernen Bestand der antisemitischen Angriffe gegen das AT" (32), ähnlich Ex 12,35 f. (347 f.). Vgl. auch 586 u. a.; dazu XIII f.

15) 98; vgl. 121 f.