Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1318–1320

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Löblein, Friedrich

Titel/Untertitel:

Prediger der Barmherzigkeit im 16. Jahrhundert. 2 Bde.

Verlag:

Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2013.Bd. 1: Predigt und Diakonie in südwestdeutschen Reichsstädten. 358 S. = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, 19. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-8253-6124-2. Bd. 2: Biografien reichsstädtischer Prediger und ausgewählte diakonische Predigten. VIII, 263 S. m. 6 Abb. = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, 20. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-8253-6125-9.

Rezensent:

Andres Straßberger

Es verdient zunächst per se hohen Respekt und uneingeschränkte Anerkennung, wenn ein »Ruheständler« sich der Herausforderung stellt, im Anschluss an einen vieljährigen kirchlichen Dienst den Faden des Jahrzehnte zurückliegenden akademischen Theologiestudiums gewissermaßen wieder aufzunehmen, um die theologische Forschung nun mit einer umfänglichen wissenschaftlichen Arbeit zu bereichern. Dazu scheint Friedrich Löblein maßgeblich durch seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Leiter der Personalabteilung des Diakonischen Werkes der EKD angeregt worden zu sein, richtet sich doch seine Untersuchung auf die diakonische Dimension von Predigten im 16. Jh. Die von Heinz Schmidt (Diakoniewissenschaftliches Institut der Universität Heidelberg) ebenfalls im Ruhestand betreute Arbeit wurde im Sommersemester 2011 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen und liegt hier nun im Druck vor.
Um es vorweg zu sagen: Wer sich für Fragen der diakonischen Mentalität bzw. der sozialen Relevanz reformatorischer Verkündigung interessiert, wird durch L.s Ausführungen vorzüglich in die Thematik eingeführt. Dass dies anhand ausgewählter Prediger eines begrenzten Territoriums geschieht, gereicht der Arbeit keineswegs zum Nachteil, sondern eher zum Vorteil. Denn in Fokussierung auf ganz konkrete Träger evangelischer Verkündigung und die konkreten sozialen Kontexte ihrer Predigten wird die eminente soziale, seelsorgerliche und pädagogische Konsequenz von deren homiletischer Wirksamkeit auch auf sehr konkrete Weise anschaulich. Kirchenhistorisch interessiert eben nicht selten auch das Detail, und diesem widmet sich L. in seiner Arbeit gelegentlich in mikrohistorischer Genauigkeit. Die Predigtinhalte begegnen dem Leser daher auch nicht in theologisch-überzeitlicher Gestalt, sondern erscheinen in ihrer historischen Bedingt- und Konkretheit. Es zählt zu den großen Verdiensten der Arbeit, dass es L. auf diese Weise gelungen ist, aufzuzeigen, dass und inwiefern die untersuchten Predigten ein Kommunikationsmedium zur Veran­kerung eines diakonischen Bewusstseins in den Gemeinden und damit die Grundlage für eine diakonische Praxis in den nachfolgenden Generationen darstellen. En passant liefert die Arbeit, die die herangezogenen Predigten ebenso theologisch wie auch historisch kompetent und sensibel interpretiert, einen veritablen Beitrag für eine zukünftig erst noch zu schreibende Kommuni­ka-tionsgeschichte der evangelischen Predigt in der Frühen ­Neuzeit.
In seiner Einführung (13–26) gibt L. ausreichend und differenziert Rechenschaft über grundlegende methodische Fragen seiner Untersuchung. In einem ersten, allgemein-grundlegenden Kapitel (27–74), das Fragen zur homiletischen Entwicklung und zum homiletischen Kontext der späterhin untersuchten Predigten thematisiert, insbesondere aber auf instruktive Weise das spezifische Profil der Prädikantenstellen in den südwestdeutschen Reichsstädten zur Darstellung bringt, wird der predigtgeschichtliche Rahmen analysiert. Im daran anschließenden zweiten Kapitel (75–99) wird prägnant und aufschlussreich in die sozialen Kontexte der Predigten im 16. Jh. eingeführt, mithin der sozialgeschichtliche Aspekt transparent gemacht. Im umfangreichen dritten Kapitel (100–252), das den Hauptteil der Untersuchung bildet, werden die von L. zum Teil neu entdeckten Texte südwestdeutscher Prediger in acht Unterkapiteln nach verschiedenen Aspekten hin analysiert. Im Mittelpunkt stehen hier theologische Fragestellungen. So gibt L. hier u. a. einen Überblick über die Entwicklung der südwestdeutschen Predigten in Hinsicht auf ihre Aussagen über gute Werke und Nächstenliebe, untersucht deren Aussagegehalt zur sozialen Verantwortung der Gemeinde sowie der städtischen Obrigkeit und thematisiert die sozial-seelsorgerliche Anwaltschaft in Bauernkriegs- bzw. Predigten während der Verfolgungszeiten von »Hexen«. Ein viertes Kapitel (253–310) widmet sich daran anschließend rezeptionsgeschichtlichen Fragestellungen. In einem ab­schließenden fünften Kapitel (311–325) bündelt L. seine Untersuchungen und fragt nochmals gezielt nach den sozialen Wirkungen der Prediger und ihrer Predigten in der Reformationszeit. Der in Band 1 vorliegende Untersuchungsteil wird sinnvoll und hilfreich ergänzt durch einen Materialteil (Band 2), in dem die Biographien der behandelten reichsstädtischen Prediger sowie ausgewählte diakonische Predigten dem Leser zur ergänzenden und vertiefenden Benutzung dargeboten werden.
Dem Rezensenten scheint mit beiden Bänden ein ebenso profunder wie auch bequemer Zugang zum Thema diakonischer Predigt im 16. Jh. vorzuliegen. Neben dem Interesse, das die Arbeit bei dem einschlägigen Fachpublikum verdient, bietet sie sich, nicht zuletzt auch durch den Materialteil, gut zur weiteren Erschließung in akademisch-theologischen Seminarveranstaltungen an. Wenn man an den beiden Bänden überhaupt etwas bemängeln möchte, dann den bedauerlichen Umstand, dass auf ein Personen-, Orts- und vor allem auf ein Bibelstellenregister verzichtet wurde. Dieser Mangel wird jedoch von dem vielfältigen Gewinn, den L.s Arbeit für die Reformations-, südwestdeutsche Territorialkirchen-, Predigt- und Diakoniegeschichte zweifelsohne darstellt, mehr als aufgewogen.