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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1304–1306

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dillon, Richard J.

Titel/Untertitel:

The Hymns of Saint Luke. Lyricism and Narrative Strategy in Luke 1–2

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical As­sociation of America 2013. X, 181 S. = The Catholic Biblical Quarterly. Monograph Series, 50. Kart. US$ 15,00. ISBN 0-91517049-3.

Rezensent:

Reinhard Feldmeier

In dieser Studie, deren einigermaßen dramatische Ursprünge im vorkonziliaren Katholizismus liegen, weist der langjährige Pro-fessor der Fordham University durch eine Kombination synchroner und diachroner Methodenschritte in vielem überzeugend nach, dass die Hymnen der lukanischen Vorgeschichte, zu denenD. auch das Gloria in Excelsis von Lk 2,14 rechnet, nicht nur Ausschmückung sind, wie seit Gunkel immer wieder behauptet wird. Als »Metasyntax« brechen sie vielmehr aus der Ereignisabfolge aus, um gerade so die eschatologische Bedeutung des im Folgenden geschilderten Geschehens als »history’s climax« aufzuzeigen.
Dabei geht D. davon aus, dass der nur auf Johannes bezogene Erzählkreis, in dem für sich genommen kein Platz ist »for another figure besides John and his God« (71), in Kreisen der Täuferjünger als Reaktion auf die Tempelzerstörung geschaffen wurde, um die wunderbare Geburt des Kindes durch zwei betagte, aus priester-lichem Geschlecht stammende alte Eltern als »omen of restaura-tion« für das nach der Zerstörung Jerusalems am Boden liegende Gottesvolk zu deuten. Dieser Erzählkreis samt dem Benedictus habe dann die Vorlage gebildet, an der sich der Evangelist orientiert hat – samt den von ihm dazu in Anlehnung an die Sprache des Alten Testaments gebildeten weiteren Hymnen. Man hätte gerne etwas genauer gewusst, wie ein solcher komplexer Vorgang in dem relativ knappen Zeitraum von der Tempelzerstörung bis zur Abfassung des Doppelwerkes vonstatten gegangen sein soll, aber unmöglich ist die Annahme wohl nicht. Das unbestreitbare Verdienst dieser Studie besteht nicht in dieser (literarkritisch sorgfältig begründeten) historischen Rekonstruktion, sondern im Aufzeigen der vielfältigen und bisweilen unerwarteten, aber doch immer gut begründeten Bezüge der Vorgeschichte zu alttestamentlichen Prätexten und frühchristlichen Kontexten, in erster Linie zum lukanischen Doppelwerk, aber auch zu paulinischen Aussagen.
Dazu gehört das schon im Magnificat, einem »literary product« des Evangelisten (46), eindrücklich vorgeführte »reversal theme«, mit dem ein Leitgedanke des Evangeliums intoniert wird. Zum ersten Mal klingt dabei auch schon die Bedeutung der »an Abraham und seinen Samen« ergangenen Verheißung an, als deren Erfüllung Lukas seine im Doppelwerk entfaltete Heilsgeschichte präsen-tiert. Im Benedictus, das Lukas durch die Hinzufügung der VerseLk 1,69 f. mit seiner Vorgeschichte verknüpft hat, wird für ihn das Verheißung-Erfüllung-Schema zentral mit dem in Christus er-füllten Abrahamsbund als der entscheidenden Legitimation der neuen eschatologischen Heilsgemeinschaft, die nun umkehrwil­-lige Juden und Heiden umgreift. In der ›Weihnachtsgeschichte‹ geht es weniger um die Geburt Jesu als um deren soteriologische Folgen, die Rettung Israels (99). Wichtigster kontextueller Bezugspunkt ist dabei die Parallele des Gloria von Lk 2,14 zu Lk 19,38, wo in Entsprechung zur »Menge der himmlischen Heerscharen, die Gott loben« (Lk 2,13) die »Menge der Jünger« zwar auch Gott lobt; aber während das Engelsheer bei der Geburt des Erlösers »Frieden auf Erden« ankündigte, ist dieser Friede nun, da der Erlöser verworfen wird und Jerusalem das Gericht bevorsteht, wieder in den Himmel zurückgekehrt. Die hier angedeutete Scheidung innerhalb des empirischen Gottesvolkes setzt sich fort im letzten Hymnus, dem Nunc Dimittis des Simeon, »giving nothing less than a condensed program of the whole story to be told in the Gospel and Acts«(120 f.). Wenn die Kindheitsgeschichte mit den zwei vorbildlichen gerechten Israeliten Simeon und Hanna im Tempel endet, so ist das auch ein inkludierender Rückbezug auf ihren Anfang, wo sie mit zwei anderen Repräsentanten des »faithful Israel«, Zacharias und Elisabet, begann (und sich in zwei weiteren – Maria und Joseph – fortsetzte). Die Weissagung Simeons vom Fall und Auferstehen vieler bezieht D. auf dasselbe Subjekt, auf Israel: auf die Katastrophe von 70 und seine eschatologische Wiederherstellung. Lukas macht damit nochmals deutlich, dass die von ihm im Evangelium verkündigte Erlösung bei aller Anfechtung über den Widerstand Israels an dessen heilsgeschichtlichem Primat festhält: Wie Paulus in Röm 11,11 f.25–32 stellt der lukanische Simeon die Rettung der Heiden als Teil der Bestimmung Israels dar, ein Motiv, das im Folgenden wieder aufgenommen wird (vgl. besonders Apg 3,24 f.; 15,15 ff.). Im Licht von Röm 11 deutet dies D. einigermaßen kühn dahingehend aus, dass er selbst den Misserfolg der paulinischen Mission unter Juden und dessen Begründung durch die Schrift (Apg 13,44–48 und vor allem 28,17 ff.) als Beschreibung der Realität der Mission relativiert, die ein weiteres Rettungshandeln durch Gott nicht ausschließe, so dass er von Lukas sagen kann: »He has not been able to answer the question of how Israel will come to the ἀνάστασις that Simeon anticipated, so, like Paul (Rom 11:33–36), he leaves the matter to God« (145 f.).