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Ausgabe: | November/2014 |
Spalte: | 1299–1300 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Förg, Florian |
Titel/Untertitel: | Die Ursprünge der alttestamentlichen Apokalyptik |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 546 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 45. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-374-03213-6. |
Rezensent: | Stefan Beyerle |
Die im Titel programmatisch genannten »Ursprünge« sind prophetisch (Ez, Sach), damit »alttestamentlich«, also literarisch, und sollen sich, wiederum nach Ausweis des Titels, auf die »alttestamentliche Apokalyptik« beziehen. Letztlich steckt also bereits der Titel der umfangreichen Dissertation von Florian Förg (TU Dortmund, Wintersemester 2011/12) den Rahmen ab und verweist dabei auf Inhalt und Aufbau der Untersuchung: Gegenstand ist die »Apokalyptik«, deren Aspekte, wie die »Erwartung einer künftigen, besseren Welt«, die Zwei-Äonen-Lehre oder die »Unterscheidung zweier Wirklichkeitsebenen«, dann der »globale Horizont«, die »Messiaserwartung«, »weisheitliche Elemente« und die Pseudonymität, am Danielbuch überprüft werden. Danach weitet die Darstellung die Quellenbasis aus, indem der Prüfprozess auch an den »JHWH-König-Psalmen«, an Hag und Sach und vor allem am Ezechielbuch fortgesetzt wird. Eine Einleitung samt Forschungsgeschichte und eine thesenartige Zusammenfassung umrahmen die exegetische Untersuchung, die sich in vieler Hinsicht den Arbeiten des Betreuers Thomas Pola (und Hartmut Geses) verpflichtet weiß.
Die Ergebnisse zur Überprüfung der Aspekte im kanonischen Danielbuch münden in der Beschreibung der Schrift als »apokalyptisch«. Ihre Apokalyptik ziele auf die künftige, weltumspannende Herrschaft JHWHs. Die pseudonym verfasste Überlieferung vereine prophetisches und weisheitliches Gut. Sie sei zudem »eindeutig kultisch ausgerichtet«. Schließlich führe schon ihre historische Verortung innerhalb der »antiochenischen« Krise zu einem Äonen-Dualismus. Es tue sich eine Herrschaftskonzeption kund, die der Vf., wenn auch nur eingeschränkt, in den JHWH-König-Psalmen findet. Unter den genannten Kriterien fehlen in den JHWH-König-Psalmen allerdings die Pseudonymität sowie die Erwartung eines zukünftigen Herrschers (»Messias«) völlig. Dennoch: Wie Hag und Sach (vor allem Kapitel 1–6), die ebenfalls vergleichsweise knapp behandelt werden, seien die Psalmen als »apokalyptisch« zu charakterisieren. Die nahezu die Hälfte der Studie einnehmende Überprüfung am Ezechielbuch blickt dann insbesondere auf Ez 11; 20; 34–37 und 40–48. Die Komposition, deren Kern auf eine historisch belegbare, auch schriftstellerisch wirk-same Prophetengestalt Ezechiel zurückgeführt wird, habe insbesondere den »globalen Horizont« und einen ausgeprägten Äonendualismus mit der Apokalyptik gemeinsam. Andererseits fehlten die apokalyptischen Kennzeichen der Pseudepigraphie und der erwarteten Herrschergestalt, also eines zukünftigen Messias, die etwa Dan 7 in dem durch Gott inthronisierten »Menschensohn« bereits vor Augen habe. So ergebe sich insgesamt für das Ezechielbuch ein Standort »zwischen klassischer Prophetie und voll entwickelter Apokalyptik«.
Die Thesen der Arbeit ergeben zusammengefasst: Nicht mit Daniel, sondern bereits mit Hag und Sach beginnt die Apokalyptik (vgl. auch H. Gese). Mindestens die unmittelbar vorausgehende Frühgeschichte der Apokalyptik spiegelt sich im Ezechielbuch wider. Sämtliche Traditionen rekurrieren dabei auf die »Wirklichkeitsunterscheidungen« bei Protojesaja. Dann: Die »noch immer offene Frage der Herleitung der Apokalyptik aus der Weisheit […] oder aus der Prophetie« (496) bietet keine Alternative, da beide Einflussnahmen deutlich sind. Damit kann aber die Apokalyptik nicht mehr als alttestamentliche »Randerscheinung« bezeichnet werden.
Die Lektüre dieser ausführlichen, manchmal etwas ausufernden und mit großem Fleiß verfassten Studie ist mühsam, weil durch das Aufbauprinzip, das die jeweils wiederkehrenden, oben genannten Kriterien der Apokalyptik an den Texten immer wieder neu überprüft, Wiederholungen nicht vermeidbar sind. Die These der Arbeit geht über bislang diskutierte Ansätze hinaus, indem sie die Apokalyptik innerhalb des alttestamentlichen Kanons breit, oder zumindest breiter, bezeugt sieht und ihre schon länger bekannten »Ursprünge« in Prophetie und Weisheit textlich ebenfalls ganz auf den Kanon beschränkt.
M. E. ist dieses Vorgehen hoch problematisch. Die Schwierigkeiten beginnen bereits beim Titel: Da sich die vom Vf. gewählten textlichen Paradigmen mit wenigen Abstrichen selbst als »apokalyptisch« erweisen, stellt sich die Frage, wo denn die »Ursprünge« der »alttestamentlichen Apokalyptik« zu finden sind. Jedenfalls offenbar nicht in Hag, Sach, Ez oder den JHWH-König-Psalmen, die ja die meisten der genannten Kriterien erfüllen. Dann sollen die oben genannten sieben Kriterien zu einer »Definition von Apokalyptik« (42–45) dienen. Daraus ergeben sich m. E. zwei Fragen: Da der Vf. nicht zwischen der »Apokalyptik« als Phänomen und der »Apokalypse« als literarischer Gattung unterscheidet, dann das Phänomen »definiert«, aber auf kanonische Texte, also auf eine literarische Größe, bezieht, fragt sich: In welcher Weise können Aussagen über Motivkonstellationen, Geisteshaltungen und Traditionen definitorische Auswirkungen auf literarische Größen und deren Charakterisierung besitzen? Und: Ist es verwunderlich, dass die Danielapokalypse bestens die Kriterien der »Apokalyptik« erfüllt, wenn diese in der Forschung u. a. aus dem Danielbuch selbst erhoben wurden?
Weitere Schwierigkeiten stellen sich bei Betrachtung der Einzelexegesen ein. Grundsätzlich fällt auf, dass sich die Diskussion nahezu ganz auf den masoretischen Text beschränkt. Angesichts erheblicher Abweichungen in den griechischen Überlieferungen zum Danielbuch und Ez 37–39, die bisweilen ältere Textformen bewahrt haben, relativiert dies die ausschließlich am hebräisch-aramäischen Text gewonnenen Ergebnisse. Dann scheint der Vf. beim Prüfkriterium »Pseudepigraphie« den antiken Brauch der Verfasserzuschreibung mit der literarhistorischen Frage nach der Verfasserschaft von biblischen Texten zu verwechseln. In Dan 7 sei der »Menschensohn« sowohl individuell als auch kollektiv interpretiert, aber vor allem: »messianisch«. Dies ist schon in Anbetracht der indeterminierten, nicht einmal titularen Formulierung im Aramäischen höchst unwahrscheinlich. Nicht einmal M. Albani, der in Dan 7 Anspielungen auf eine »königlich-davidische« Tradi-tion findet, begreift den »Menschensohn« als »Messias« (vgl. Daniel, Leipzig 2010, 171–188). Oder: Die novellistischen und apokalyp-tischen Partien im Danielbuch werden nicht unterschieden. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der Kriterienkatalog der »Apokalyptik« auch auf die Novellen in Dan 1–6* anzuwenden ist. Die Liste ließe sich erweitern. Bei aller Detailkritik besteht das größte Pro blem m. E. darin, dass sich die Apokalyptik eben nicht auf den alttestamentlichen Kanon eingrenzen lässt, zumal gerade ältere antik-jüdische Apokalypsen, wie der Kern des »Wächterbuches« (äthHen 1–36, vor allem Kapitel 6–11) oder das »Astronomische Buch« (äthHen 72–82), außerhalb des hebräisch-aramäischen Kanons überliefert sind.
»Apokalyptik« und »Apokalypsen« sollte man auch in Zukunft unterscheiden. Die »Ursprünge« der Apokalyptik wird man weiterhin in Prophetie und Weisheit verorten – hier liefert die Studie weitere Argumente. Phänomene wie Literatur bleiben auch nach dieser Studie ein Thema außerkanonischer Quellen im antiken Judentum. Alles in allem überzeugt nach Auffassung des Rezensenten die Studie in ihrer These nicht, stellt aber viele interessante Textbeobachtungen, vor allem zum Ezechielbuch, zusammen. Der Vf. wäre gut beraten gewesen, sich auf diesen Textbereich zu beschränken.