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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1293–1296

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Blenkinsopp, Joseph

Titel/Untertitel:

David Remembered. Kingship and National Identity in Ancient Israel.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2013. 231 S. Kart. US$ 26,00. ISBN 978-0-8028-6958-6.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Im gegenwärtigen Spannungsfeld zwischen minimalistischer Zu­rückhaltung gegenüber Rekonstruktionen der historischen Davidgestalt einerseits und vom Vertrauen in die historische Größe des Dynastiegründers geprägten Synthesen andererseits liefern wirkungsgeschichtliche innerbiblische Entwicklungslinien hilfreiche Erkenntnisse zum Verständnis der Davidüberlieferung insgesamt. In Ergänzung zu seinen Einzelstudien in »Judaism, The First Phase: The Place of Ezra and Nehemiah in the Origins of Judaism« (Grand Rapids 2009) stellt Joseph Blenkinsopp hier die Prägekraft der Davidtradition anhand ihrer Bedeutung für die judäische Identität vom späten 6. Jh. v. Chr. bis zum frühen 2. Jh. n. Chr. dar. Themenfelder von B.s metageschichtlicher Reflexion der Daviddynastie sind die dynastischen Restaurationsversuche, die Organisation des politischen und religiösen Lebens in Juda, die Haltungen, Strategien und Parteiungen der politischen und militärischen Mächte vom neubabylonischen bis zum Römischen Reich. B. erhebt den Niederschlag der Davidüberlieferung und die aus ihr abgeleiteten Ansprüche schwerpunktmäßig aus prophetischen und apokalyp-tischen (Endzeit-)Szenarien. Im Vordergrund stehen historische, politische und militärische Aspekte (2). Die Einzelkapitel sind im ersten Teil detaillierter und gegen Schluss eher summarisch angelegt.
Ausgangspunkt ist das Ende der Daviddynastie nach Josia unter den letzten vier judäischen Königen im Spiegel des dtr Rückblicks (Kapitel 1; 11–27). Kapitel 2, »Die Benjamin-Saul Alternative«, be-schreibt das Wiederaufleben vor-davidischer Saulüberlieferung aus der frühen Königszeit in dynastischen Kontexten nach dem Zusammenbruch der Daviddynastie, u. a. im Spiegel des genealo-gischen Materials 1Chr 8,33–40//9,39–44. B. verteilt die 12 idealtypischen Generationen, die er mit je drei Jahrzehnten veranschlagt, als historisches Zeugnis für etwa 360 Jahre vom Ende der Saulidendynastie bis zur Josiazeit (39). Indirekte Belege für eine wirkungsgeschichtliche Bedeutung sieht B. durch die Gestalt eines mutmaßlich benjaminitischen, gleichwohl mit Saul nicht affiliierten Kommissars, Gedalia. Die Tendenz zur Abwertung Sauls beschränke sich, so B., nicht auf dtr Geschichtskonzepte, sondern zeige sich ebenso im Fehlen der Saulüberlieferung in anderen Überlieferungsbereichen im Frühjudentum, z. B. bei Ben Sira, der mit der Gestalt des Samuel lediglich das prophetische Erbe eines Königseinsetzers erwähne, während er Saul übergehe (Sir 46,13.20); ebenso verschwiegen hellenistische (Esther, Josephus) und rabbinische Traditionen (b. Meg 13a) Sauls Herrschaft; gleichwohl bemängelten diese sein Vergehen, Agag zu verschonen (40).
Kapitel 3, die Gedaliaepisode im Kontext der Davidüberlieferung (42–53), diskutiert wesentliche Elemente der Gedaliaüberlieferung: Die Verwandtschaftsverhältnisse des Sohnes Ahikams (2Kön 25,22/Jer 40–41[42]), die Einbindung der Shaphanfamilie im Jeremiabuch (Jer 29,3; 1Chr 8,3) in den Kontext der Haltung zur babylonischen Eroberung und Oberhoheit gegen nationalistische Erhebung etwa eines Hananiah (Jer 28,1–17[44]) und die genaue Funktion sowie Beauftragung Gedalias. B. beleuchtet Gedalias Einsetzung (vermutlich) als Statthalter – eine Funktion, die allerdings nur vergleichsweise unpräzise beschrieben werde, da hipqîd in 2Kön 25,22–23; Jer 40,5.7.11 und 41,2.18 ohne genaue Funktionsbezeichnung verwendet werde im Gegensatz zu Sheshbazzars (Esra 1,8) bzw. Serubbabels (Hag 1,1 u. a.) Einsetzung als peḥâ. Die Region um Mizpa bzw. Benjamin sei insgesamt als Zentrum der Gegnerschaft gegen Zedekiahs Aufstand bedeutsam geworden (51). B. behandelt das Ende der Epoche nach 2Kön 25 bzw. auf der Grundlage des zukunftsgerichteten Blicks der Chronikbücher nach dem Fall Babylons, Gedaljas vermutlich vierjährige Herrschaft (51–53) sowie Kyros’ Ankunft nach 2Chr 36.
In Kenntnis, jedoch unter Ausklammerung neuerer redaktionsgeschichtlicher Analysen ermittelt B. die theologische Politik Deuterojesajas (Kapitel 4; 54–70). Deuterojesaja stelle Kyros’ religiöse Legitimation in Babylon dar sowie seine Funktion als Oberherr Kambyses’ und der 27. Dynastie in Ägypten. Vergleichbar sei Kyros’ Herrschaft in Jerusalem als durch einen Provinzialkommandanten ausgeführt verstanden worden (70).
Kapitel 5 rekonstruiert wiederum historische Fragen der Einsetzung Serubbabels und dessen Wirkung als persischer Provinzverwalter (Hag 1,1.14), seine Identität und Wirkungsgeschichte (71) von 538 bis 520/516 v. Chr. (Esra 2,2/Neh 7,7), den Tempelbau (74) sowie die fünf Abschnitte Hag 1,1–11; 1,15a; 2,15–19; 1,15b–2,9; 2,10–14; 2,20–23 vom Herbst/Winter 520 v. Chr., ferner die Schilderung des kosmischen Aufruhrs Hag 2,20–23 (79). B. bestimmt Serubbabels Funktionen im Spiegel der Daviderwählung nach 2Sam 7,8;Ps 78,20; Ps 89,20b–21: Die Aufnahme des ’ ebed-Titels verweise u. a. auf Davids Nachkommen in der Dynastiezusage 2Sam 7,1–29 sowie auf Salomo im Tempelweihgebet 1Kön 8,24–26.66. B. analysiert sodann Serubbabel und die Krise des Perserreiches im Spiegel der sechsgliedrigen Visionenabfolge des Sacharjabuches; vgl. die Einleitungsformel »Ich sah auf und sah« mit Sach 1,7–17; 2,1–4; 2,5–9; 5,1–4; 5,5–11; 6,1–8 (82).
Beobachtungen zu Einzelabschnitten folgen: zum Auftrag, Babylon zu verlassen Sach 2,10–13 (85–88), zu den Vorstellungen des Hohepriesters Josua Sach 3,1–8.9b–10, zur Grundsteinlegung Sach 3,9a; 4,4–5.10b.6–10a auf dem Hintergrund gängiger, u. a. neubabylonischer, von Nabonid bekannter Tempelgründungsmotivik (94). Die Vision vom Leuchter und den Ölsöhnen Sach 4,1–3.11–14 wertet B. als symbolische Darstellung des israelitischen Gottes als »Herrn der ganzen Erde«; sie korrespondiere der universalen Ausrichtung sowie der unsicheren Zukunft jüdischer Gemeinschaften in der Perserzeit. B. reflektiert Serubbabels Verantwortung für die Aufgabe im Spannungsfeld seiner Funktion im Rahmen seiner möglichen Unterordnung unter den königlichen Oberherrscher (entsprechend der mutmaßlichen Rolle Sheshbazzars unter Kyros) so­wie andererseits als möglicherweise eher autonomer Herrscher. B. widmet die weiteren Abschnitte Josua und dem Hohepriester (89–91), dem Stein mit den sieben Augen (91), der Metapher des Sprosses Sach 3,8b.9b – möglicherweise in Anspielung auf seinen akkadischen Namen zēr bābili in Rekonstruktionen der textlich schwierigen Passagen Sach 3,9a; 4,4–5.10b.6–10a (91) – sowie der Vision der Ölsöhne (96) und der heimlichen Krönung Serubbabels Sach 6,9–15. Ein Teil der Gaben der Diaspora zur Errichtung des zukünftigen Tempels sollte für die symbolische geheime Krönung Serubbabels als Gouverneur der Provinz und als Vertreter der davidischen Linie abgezweigt werden; dies entspreche der politisch radikalen Sichtweise Haggais und Sacharjas; Serubbabels Mitwisserschaft von diesem Komplott gegen die persische Herrschaft müsse allerdings offen bleiben (103).
Kapitel 6, von Serubbabel bis Nehemiah und darüber hinaus (104–108), klärt Davids Funktion für die Leviten als Gründer und Patron von Sängergilden (1Chr 6,16–32; 16,4–6 usw.) sowie das durch kultprophetische Kreise vermittelte Davidbild als Prophet, Musiker (113) und Psalmensänger (114). Kapitel 7 widmet B. den eschatologisierenden Rezeptionsprozessen und den produktiven Neuinterpretationen der Davidherrschaft in der Prophetie (115–138). In Kapitel 8 behandelt B. den davidischen Messianismus der späten Sacharjaüberlieferung 9–14 (138–160). Ein Ausblick auf die Wirkungsgeschichte Davids und seiner Dynastie zur Zeit der Herrschaft Roms, die auch das Verständnis Jesu als Sohn Davids behandelt (Kapitel 9, 161–181), rundet den gut lesbaren, gehaltreichen Überblick ab.
Mit gutem Grund setzt B. in dieser knappen Darstellung eigene Schwerpunkte auf die mit der Daviddynastie verbundenen politischen Hoffnungen in der Prophetie und den Geschichtsbüchern, während er andere Rezeptionsstränge der Davidüberlieferung in den Hintergrund treten lässt. Relativ knapp behandelt er z. B. die Davidüberlieferung in den Psalmen (114) und die Wirkungsgeschichte des Themas der Daviddynastie in Sam/Kön klammert er ganz aus. Als Begründung gibt er an, dass die Bestimmung der Wachstumsprozesse von epischer oder erzählerischer Heldenüberlieferung letztlich methodisch unkontrollierbar sei (6–8), und verweist auf vergleichbar komplizierte Entstehungsprozesse der Ar­tussage. Derlei Akzentsetzungen schmälern keinesfalls den Verdienst der Synthese zur Wirkungsgeschichte der Davidüberlieferung in den anderen Überlieferungsbereichen, sondern weisen sie als gehaltvollen Beitrag zur Davidrezeption in den anderen Bereichen aus.