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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1283–1286

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Borchardt, Francis

Titel/Untertitel:

The Torah in 1Maccabees. A Literary Critical Approach to the Text.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. XIV, 352 S. = Deuterocanonical and Cognate Literature Studies, 19. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-032298-9.

Rezensent:

Michael Tilly

Die literarische Einheitlichkeit des 1. Makkabäerbuches wird gemeinhin vorausgesetzt, ohne einen eingehenden Blick auf solche Textphänomene zu werfen, die als Indizien für eine allmähliche Genese dieser hasmonäerfreundlichen Darstellung der Vorgeschichte und des Verlaufs der makkabäischen Erhebung betrachtet werden können. Zugleich vermögen der Geltungsbereich und die Funktion der Tora als wichtige Themen der antiken Geschichtserzählung zu gelten. Vor diesem zweifachen Hintergrund erscheint eine durchgehende literarkritische Analyse und Interpretation des Buches unter besonderer Berücksichtigung des jüdischen Gesetzes, wie sie Francis Borchardt in seiner im Sommersemester 2012 von der Theologischen Fakultät der Universität Helsinki als Dissertation angenommenen Studie unternimmt, durchaus berechtigt.
Der erste Hauptteil der Untersuchung besteht aus einer Einleitung (3–46) und einer kommentarartigen fortlaufenden Analyse von 1Makk (47–186). B. benennt zunächst den Kriterienkatalog seiner literarkritischen Operationen (33 f.) und bietet eine kurze Darstellung der Forschungsgeschichte als »continuous attempt to read 1Maccabees as a unity, only to fail at some very crucial points« (42). Dies wiederum habe zur Folge, dass die Wahrnehmung der Tora in 1Makk tatsächlich als »an amalgam of multiple separate, and perhaps competing interpretations« anzusehen sei (43). B. ist sich der Problematik bewusst, die daraus resultiert, dass der erhaltene griechische Text von 1Makk wohl die Übersetzung eines verschollenen hebräischen oder aramäischen Originals darstellt. Seine Untersuchung konzentriert sich deshalb weniger auf Eigentümlichkeiten des Stils und des Vokabulars als auf den Inhalt und den Kontext der Textpassagen, auf die literarische Darstellung der Charaktere und auf die interne Chronologie.
In 1Makk 1 erkennt B. mehrere Unterbrechungen des Erzählfortschritts, die auf »two sources for the troubles visited upon Israel« hindeuteten (47). Sowohl 1Makk 1,14 f. als auch 1,43.52 seien deshalb als zusammengehörige sekundäre Ergänzungen einer redaktionellen Grundschicht zu betrachten. Die Erkenntnis, dass die Textaussagen der Ergänzungen von dieser rekonstruierten Grundschicht abweichen, beruht freilich auf einem argumentativen Zirkelschluss. Als Unterbrechungen der Erzählung gelten B. sodann 1Makk 2,22–26 und 42–44. Hauptargument für den sekundären Charakter der ersten Passage ist ihr Bezug auf Num 25,6–8; ihre Funktion sei »to elevate Mattathias to a full-fledged father of the rebellion« (69). Die Identifikation des Preisgedichts 1Makk 3,3–9 als eines Zusatzes argumentiert in Bezug auf V. 8: »The report is en-tirely wrong. Judas never removes his opponents entirely from the land« (64). Berücksichtigt man hier die Perspektive (bzw. den historischen Ort) des Erzählers, ist dem Argument kaum Durchschlagskraft beschieden. 1Makk 5,18 f. sei »a group of mythologizing legends being added to the text« (73); in 5,55–62 weise der Wechsel der Terminologie auf einen Einschub hin. Es wäre meines Erachtens zu prüfen, ob dieser Wechsel nicht einfach kontext- bzw. themenbedingt ist. Einen »lack of unity and change of focus« findet B. in 1Makk 6,21–27.42–46; eine pointiert prohasmonäische Tendenz (als Kennzeichen ihrer sekundären Einfügung) in mehreren kürzeren Abschnitten in 1Makk 7. 1Makk 8,1–32 gehe vollends auf das Konto einer nachträglichen Redaktion, denn der Inhalt des Kapitels »does not seem to add anything to the outcome of the book« (96). Vielmehr sei die ausführliche Beschreibung des Bündnisses mit Rom ein »step to the recognition of the Hasmonean autonomy« (103). Ja, was denn sonst? Weitaus gewichtiger erscheint mir hier das Argument, dass das Kapitel dem fremdenfeindlichen Grundtenor des Buches erkennbar widerspricht.
Als nachträgliche, da inkonsistente Einfügungen zu betrachten seien sodann die (Alkimus betreffenden) Passagen 1Makk 9,1.23f. 34–42.54–61.69.73d. In Bezug auf die Verse 34 und 43 stellt sich mir allerdings die Frage, ob das vermeintliche literarkritische Problem der offensichtlichen Dopplung nicht in Wirklichkeit ein textkritisches Problem (Dittographie) ist. In 1Makk 10 findet B. »three levels of composition« (127), und in 1Makk 11 könne man die Verse 21 und 25 als Hinzufügungen identifizieren. Die in 1Makk 12 dargestellten Bündnisse Jonathans mit Rom und Sparta seien wegen ihrer erzähltechnischen Funktionslosigkeit ebenso zu isolieren wie die Beschreibung der Grabstätte der Makkabäer in 1Makk 13,25–30. Letztere Passage »elevates Simon and the other Hasmoneans as Heroes« (150). Allzu überraschend ist auch das angesichts der Gesamtintention des Buches nicht. Auf festerem Boden bewegt sich B. bei seiner Analyse der letzten drei Kapitel. Dass 1Makk 14,16 – 16,24 als eine (möglicherweise sekundäre) literarische Einheit betrachtet werden kann, deren besondere Funktion darin besteht, die politische Legitimation der Hasmonäerdynastie besonders zu akzentuieren, ergibt sich aus den Beobachtungen, dass Flavius Josephus den Teil der Erzählung nicht zu kennen scheint und dass das Loblied auf Simon in 1Makk 14,1–15 bereits einen abschlussartigen Charakter hat. Freilich interpretiert B. auch diese Versdichtung aufgrund der in ihr enthaltenen Glorifizierung des letzten überlebenden Makkabäerbruders als »secondary not only to the main story, but also to the addition« (154).
Auf der Basis der Textanalysen erkennt B. in den einzelnen Buchpassagen in synthetisierender Weise 1. eine 132 bis 128 v. Chr. zur Zeit des Johannes Hyrkan verfasste Grundschrift (1MaccG), die vor allem am Jerusalemer Tempel und seiner Reinigung durch die Makkabäer interessiert sei (174), 2. eine 120 bis 104 v. Chr. in Angriff genommene, insbesondere die Machtposition Hyrkans stützende Fassung (1MaccD), 3. eine 88 bis 86 v. Chr. eingefügte, die hasmonäischen Auseinandersetzungen mit konkurrierenden jüdischen Strömungen widerspiegelnde Bearbeitung (1MaccO) und 4. eine 76 bis 74 v. Chr. entstandene, abschließende Redaktion (1MaccH), zu deren markanten Kennzeichen die Verherrlichung der hasmonäischen Dynastie gehöre.
Der zweite Hauptteil des Buches (189–234) will zeigen, »how the first book of Maccabees depicts the nomos and places it in the broad­er scope of the Judean religion and society« (189). Bei der Untersuchung verschiedener thematischer Aspekte des Wortfeldes »Gesetz« (warum fehlt hier δικαιοσύνη? – vgl. 1Makk 2,29.52; 14,35) ist eine prinzipielle inhaltliche Differenz zwischen den einzelnen Redaktionsschichten vorausgesetzt. Eine erste Beobachtung ist die Häufung einschlägiger Textaussagen in 1MaccG und ihr weitgehendes Fehlen in 1MaccD (191). Im Hinblick auf die Stellung des Gesetzes innerhalb der Hierarchie religiöser Werte weise das Zeugnis von 1MaccG indes auf keinen besonderen Rang hin (193). 1MaccD betrachte den Nomos als »ethnic symbol« (195), 1MaccO wiederum betone seine »supreme religious importance« (196). In 1MaccH trete die besondere Heilsbedeutung des hasmonäischen Herrscherhauses an seine Stelle (197). Die Beachtung des Gesetzes als Kriterium der intendierten Bewertung der Erzählfiguren durch den gedachten Leser hat in 1MaccG keine und in 1MaccD nur eine geringe Bedeutung, während dem Leser in 1MaccO ein »strong link between the law and the judgment upon people or acts as good or evil« entgegentrete (202). Hinsichtlich 1MaccH erlaube der schmale Textbefund keine belastbaren Aussagen. Im Hinblick auf das Verhältnis der Tora zu Bund, Kult und Prophetie zeige sich nur in 1MaccG und 1MaccD ein gesteigertes Interesse an letzterem Medium der Gottesbeziehung Israels (206). Hinsichtlich ihrer identitätstiftenden Funktion für das Gottesvolk Israel bleibe 1MaccG merklich ambivalent, während 1MaccD Gesetz und Volk geradezu in eins setze (213) und 1MaccO die Beziehung zwischen den beiden Größen minimiere (214). Die Frage, ob das – weitaus jüngere – halachische Konzept des »Zauns um die Tora« implizit bereits in 1Makk begegne, lasse sich hinsichtlich 1MaccG und (mit Abstrichen) für 1MaccD nur negativ beantworten. Allein 1MaccO betrachte die Tora als »a clear fence to protect the members of the torah-community« (218). Die Funktion der Tora als Verfassung lasse sich in 1MaccD nur noch partiell (220) und in 1MaccO und 1MaccH überhaupt nicht mehr erkennen (222 f.).
Zusammenfassend vermag B. festzuhalten, dass die wesentliche Bedeutung der Tora anfangs (bzw. in 1MaccG) in ihrer Bedeutung als Staatsgesetz des Tempelstaates bestehe (225), später (bzw. in 1MaccO) allein das religiös bestimmte Weltbild des Redaktors bestimme (227) und schließlich (bzw. in 1MaccH) nur noch als eine ideale Größe begegne (229). Als historische Haftpunkte bzw. Funktionsbereiche der einzelnen Redaktionen erkennt B. die aktive Unterstützung des hasmonäischen Machtstrebens (1MaccG), die Akzentuierung ihrer erlangten Machtstellung und außenpolitischen Souveränität (1MaccD), die Bestreitung interner antihasmonäischer Umtriebe (1MaccO) und den Lobpreis des jüdischen Herrscherhauses (1MaccH) (230).
Ein ausführlicher Appendix (235–329) enthält den griechischen Text von 1Makk und eine von B. angefertigte englische Übersetzung auf der Grundlage der Göttinger Septuagintaedition (ohne Anmerkungen zur Textkritik). Diese Übersetzung kann durchweg als korrekt und genau gelten, wenn auch ganz vereinzelt sachliche Anfragen zu stellen sind. So erkennt B. in 1Makk 3,9 die Dittographie nicht (248). In 1Makk 4,51 f. folgt er der (unter Berücksichtigung des parataktischen Erzählstils wohl unzutreffenden) Satz-zäsur der Göttinger Textausgabe (257). In 1Makk 6,11 gerät aus dem Blick, dass τῇ καρδίᾳ hier hebräisch יבל »ich« entspricht (266). ­Beigegeben sind eine Bibliographie (330–336) sowie Verzeichnisse der modernen Autoren (337 f.) und Stellen (339–352).
Die Arbeit stellt einen eigenständigen Beitrag zur Forschung dar und enthält zahlreiche zutreffende Einzelbeobachtungen, wenn auch die generelle Annahme eines sukzessiven bzw. additiven Textwachstums von 1Makk in seiner verlorenen hebräischen bzw. aramäischen Textgestalt mir nicht hinreichend plausibel begründet erscheint. So lassen sich die einzelnen zeitgleichen Textabschnitte nicht immer bruchlos miteinander verbinden. Hingegen schließen sich die differenten Intentionen der von B. postulierten Redaktionsstufen mehrheitlich gegenseitig keineswegs aus, sondern ergänzen einander, zumal die Annahme ihres jeweils singulären »Sitzes im Leben« Behauptung bleiben muss. Insbesondere der »Sitz im Leben« von 1MaccG bleibt erkennbar unkonturiert. Auch die Erstgestalt des Buches wurde jedoch nicht nur deshalb verfasst, weil seinem Autor langweilig war. Der Großteil der Hinweise auf angebliche Redaktionsstufen lässt sich meines Erachtens auch als Quellenmaterial differenter Provenienz deuten, auf das der umfangreich gebildete Verfasser der prohasmonäischen Schrift zurückgreifen konnte, um es in seine Geschichtserzählung zu integrieren. Dass er dabei nicht unseren neuzeitlichen Kohärenz- und Konsistenzbedürfnissen folgte, sollte ohne Weiteres nachvollziehbar sein.