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Ausgabe: | November/2014 |
Spalte: | 1278–1280 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Ven, Johannes A. van der, and Hans-Georg Ziebertz [Eds.] |
Titel/Untertitel: | Human Rights and the Impact of Religion |
Verlag: | Leiden u. a.: Brill 2013. VI, 256 S. = Empirical Research in Religion and Human Rights, 3. Geb. EUR 109,00. ISBN 978-90-04-25135-9. |
Rezensent: | Uta Andrée |
Dies ist der dritte Band der Reihe »Empirical Research in Religion and Human Rights«, die die Ergebnisse von Studien eines seit 2005 laufenden Forschungsprojekts an der katholischen Radboud University Nijmegen in den Niederlanden unter Leitung von Johannes A. van der Ven vorstellt. Sowohl in dem Vorgängerband »Tensions between Religions and Human Rights« als auch in diesem Band werden Vorträge zugänglich, die auf Konferenzen 2008 und 2010 zur Frage des Einflusses von Religion auf die Haltung von Menschen zu Menschenrechten und auf die mögliche gesellschaftliche und politische Implementierung von Menschenrechten gehalten wurden.
Mit dem Thema Menschenrechte und Religion und ihrem Projekt einer Reihe von Untersuchungen zum Verhältnis von religiöser Prägung einerseits und der Überzeugung von der Würde des Menschen und dem Engagement für deren Anerkennung andererseits stehen die Herausgeber in aktueller Nachbarschaft zu anderen Forschungsinitiativen, die sich mit der ambivalenten Rolle von Religion in den unterschiedlichsten Feldern von Gesellschaft und Politik beschäftigen. Seit 2006 erscheint ebenfalls in den Niederlanden die Zeitschrift Religion and Human Rights, die sich als akademisches Forum für den interdisziplinären und internationalen Austausch über die Beziehung von Religion und Menschenrechten versteht. Das 2006 in Norwegen gegründete Oslo Center beschäftigt sich mit Frieden, Menschenrechten und Interreligiösem Dialog. Die Emory University in Atlanta/USA hat schon seit Anfang der 1990er Jahre mit ihrem Centre for Study of Law and Religion Fragen auf die Tagesordnung gesetzt wie »Christentum und Demokratie« und hat inzwischen eine ganze Abteilung für Recht, Religion und Menschenrechte ins Leben gerufen. 2012 fand in Kooperation mit dem Lutherischen Weltbund im Missionswerk der Bayrischen Landeskirche eine internationale Tagung zu »Religion and Development« statt. Es gäbe viele andere Beispiele für die Brisanz und das breite Interesse in Wissenschaft, Politik, Kirche und Gesellschaft für dieses Themenspektrum. Schließlich bewegen derartige Fragen auch die Player in der Landschaft der kirchlichen Entwicklungswerke, die von diesen Debatten unmittelbar betroffen sind, und zwar als diejenigen, die aus einer religiösen Motivation heraus im Einsatz für Menschenrechte, Entwicklung, Frieden und Gerechtigkeit stehen. Wie Religion also in diesen Zusammenhängen bewertet wird, ist von großer Bedeutung. Van der Ven selbst beschreibt die Gemengelage folgendermaßen: »In general, religion has an ambivalent standing in many current debates. Some want to remove it from civil society altogether and refer exclusively to the private sphere, others publicly value its high levels of public participation in the voluntarist, philanthropic, non profit sector.« (193 f.)
Der Aufsatzband, den Johannes A. van der Ven und Hans-Georg Ziebertz herausgegeben haben, umfasst zehn Beiträge. Sechs zeichnen empirische Untersuchungen nach, die sich zumeist an einem Forschungsdesign (the international human rights questionaire), das Teil des »International Research Program Religion and Human Rights« an der Radboud University Nijmegen ist, orientieren (vgl. 155). Nach der klassischen Unterscheidung werden die Menschenrechte in drei Gruppen bzw. Generationen klassifiziert: 1. Freiheits- und Beteiligungsrechte, 2. wirtschaftliche und soziale Rechte, 3. umweltbezogene und auf Minderheiten bezogene Rechte – in anderen Zusammenhängen auch als kulturelle und kollektive Lebensrechte bezeichnet (vgl. 98). Die hier vorliegenden Untersuchungen sind auf die zweite Gruppe von Menschenrechten fokussiert. Die zentrale Frage der unterschiedlichen Erhebungen formuliert Pål Ketin Botvar so: »What are the effects of different religious orientations on attitudes to socio-economic rights?« (246) Diese wird anhand unterschiedlicher Ausschnitte der Menschenrechte der zweiten Generation und für exemplarische geographische bzw. kulturelle Kontexte aufgegriffen.
Manche Fragen bleiben offen, die sicherlich bei den Konferenzen zu diesen Texten in die Debatte eingeflossen sind: Wenn beispielsweise in einer Untersuchung festgestellt wird, dass Muslime in nordeuropäischen Ländern einen positiveren Bezug zu Rechten von Flüchtlingen haben als die befragten Christen und nicht Religiöse, dann liegt es nahe zu fragen, ob die biographische Situation und die gesellschaftliche Gruppenzugehörigkeit hier einen stärkeren Einfluss auf die Meinungsbildung haben könnten als die Religionszugehörigkeit.
Der Beitrag von Hans-Georg Ziebertz und Marion Reindl beschäftigt sich mit der Korrelation der Einstellungen zu Abtreibung und Euthanasie einerseits und den religiösen Überzeugungen andererseits bei muslimischen und christlichen Jugendlichen in Deutschland. Die Autoren geben an, dass sie sich konzentrieren wollen auf »several dimensions of religious convictions, value orientations and world views as well as their attitude towards human rights, among which the right to life« (132; Hervorhebung U. A.). Obwohl ein ausführlicher Teil dieses Aufsatzes sich mit Abtreibung und Euthanasie sowohl in der christlichen als auch in der muslimischen Ethik beschäftigt, bleibt die Diskussion merkwürdig offen, ob eher das Recht auf Abtreibung und Euthanasie oder deren Ablehnung im Sinne eines Rechts auf Leben zu verstehen ist. Diese Beobachtung kann auf andere Beiträge dahingehend übertragen werden, dass eine kritische Auseinandersetzung der Autoren mit den empirischen Ergebnissen und deren angemessener Anwendung auf Veränderungsprozesse noch aussteht und diese Leerstelle mit Spannung weitere Bände dieser Reihe erwarten lässt. Das Ziel der Untersuchungen – wie J. A. van der Ven es in seinem Vorwort beschreibt – liegt außerhalb der vorliegenden Texte, nämlich »to enable people to determine these factors (positive, negative or zero effects of religion on human rights acceptance; U. A.) and find in them the terminus a quo for the progress of change to be enacted in the perspective of supporting human rights as terminus ad quem« (3). Die interessanten Einlassungen von Rik Torfs und Ruud Peters zum ambivalenten Verhältnis der katholischen Kirche zu Menschenrechten innerhalb ihrer eigenen Organisationsstruktur einerseits und den grundsätzlichen Anfragen des Islam an eine westlich geprägte Menschenrechtstradition andererseits fließen in die Beiträge mit empirischer Ausrichtung nur wenig ein.
Außer diesen zwei Texten von Torfs und Peters bietet der Sammelband zwei weitere Beiträge, die unabhängig von einer empirischen Untersuchung das Verhältnis von Religion und Menschenrechten beleuchten. John Witte, Leiter des Centre for Studies on Law and Religion (Emory University, Atlanta/USA) und ursprünglich als Jurist in dieses Feld eingestiegen, hat sich in zwei hervorragenden Aufsätzen mit reformatorischen Zugängen zu politischen Rechten und Vorstellungen von Demokratie und Mitbestimmung befasst. Im ersten wird u. a. anhand der Freiheitsschrift von 1520 Luthers Anthropologie auf ihre Resonanzfähigkeit in Bezug auf Menschenwürde und Menschenrechte hin befragt. Im zweiten Beitrag rückt die Genfer Reformation in Gestalt von Theodor Beza in den Horizont eines christlich begründeten und menschenrechtlich vertretbaren Verhältnisses von Herrschenden und Unter-tanen.