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Ausgabe:

November/2014

Spalte:

1273–1275

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Barth, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Konfessionslos glücklich. Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christsein.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. 272 S. Geb. EUR 19,99. ISBN 978-3-579-08161-8.

Rezensent:

Andreas Kubik

Nicht der aktiven Gottesleugnung gilt in diesem Buch das Augenmerk, sondern dem Versinken der Religion in die Bedeutungslosigkeit, dem Grundgefühl zahlreicher Zeitgenossen, schlechterdings keiner Religion zu bedürfen. Diese Menschen möchte Hans-Martin Barth unbedingt ernstnehmen – und ihnen doch zugleich »die Lebenskraft des Evangeliums […] nahe bringen und erschließen« (115). Diesem doppelten Interesse verdankt das Buch seine Entstehung.
Jene Ernstnahme bedeutet für B. ein Doppeltes. Zum einen sei theologisch die Selbstdefinition der Religionslosen zu respektieren und nicht durch einen weiten, fremdidentifizierenden Religionsbegriff zu überspielen. Ebenso helfe ein funktionaler Religionsbegriff nicht weiter, da alle Funktionen der Religion auch von anderen Instanzen übernommen werden könnten. Schließlich ist nach B.s Ansicht die Gegenposition eng mit der Annahme eines »religiösen Apriori« verbunden. Weite Strecken der ersten Hälfte des Buchs sind deshalb dem Nachweis gewidmet, dass es keine empirische Evidenz für ein religiöses Apriori gibt.
Diese Kapitel sind jeweils für sich durchaus lehrreich, weil B. sich in verschiedenste Diskurse um Religion eingearbeitet hat: von der Hirnforschung (82–88) über die Paläontologie (89–96) bis zur neueren Religionspsychologie und Religionssoziologie (96–113). In der Summe bleibt es etwas ermüdend, weil der Ertrag ja schon von vornherein feststeht.
Zu vermerken ist, dass die Auseinandersetzung mit einem transzendentalen Religionsbegriff fehlt. Auch ein solcher wird freilich einen Konfessionslosen nicht davon überzeugen, dass er »eigentlich« religiös ist. Aber das ist auch nicht seine theologische Funktion, da er doch lediglich allgemeine humane Bezugssysteme ausweisen will (Ulrich Barth). – Im Übrigen führt die Strategie, sich unter allen Umständen an das Selbstverständnis der Konfessionslosen zu binden, zu der merkwürdigen Konsequenz, dass letztlich diejenigen über die Definition von Religion bestimmen (vgl. 27), die keine zu haben meinen.
Zum anderen will B. den Religionslosen zugestehen, dass sie nicht einmal ein »religiöses Bedürfnis« haben. Irrtümlich vermute man, dass, wenn sie nur hinreichend »religiös sensibel« (115) ge­macht würden, der christliche Glaube dann schon plausibel werde. Es muss denkbar sein, dass areligiöse Menschen »gläubige Chris­ten werden können« (115), ohne dass sie zuvor »religiös« geworden wären. Die Menschen, die B. vor Augen hat, sind solche, denen Jesus durchaus etwas sagen könnte, die aber mit dem »Religiösen« am Christentum – dem Singen, dem Beten, dem Meditieren, dem Fasten, dem Bibellesen – nichts anfangen können.
Anders gesagt: B. bricht eine Lanze für die Hellsichtigkeit von Bonhoeffers – häufig kritisierter – Zeitdiagnose aus der Zwischenkriegszeit, nach der wir einer religionslosen Zeit entgegengehen (vgl. 63 f.140–145): Wer mit der religiösen Gießkanne über die Konfessionslosen geht, verkenne das religionsgeschichtlich absolut Neue der modernen Entwicklung hin zu massenhafter Religionslosigkeit.
Die Re-lecture von Bonhoeffer ist für sich sehr erhellend. Trotzdem: B. zeigt deutlich genug, dass dies Buch so nur von jemandem geschrieben werden konnte, der noch zu einer Zeit theologisch sozialisiert wurde, in der »Religion« zutiefst verdächtig war. Diese Reserve gegen die »Religion« zieht sich durch das gesamte Buch. B. kauft sich damit – in meinen Augen völlig unnötigerweise – aber auch alle Schwierigkeiten ein, welche die Gegenüberstellung von »Religion« und »Glaube« immer schon gehabt hat. – Anders allerdings als sein Schweizer Namensvetter hält B. sowohl religiöse als auch nichtreligiöse Wege zum Glauben für möglich.
Der zweite Teil des Buches begreift die Konfessionslosigkeit als Herausforderung. Wie geht Kirche mit ihr um? Vor allem: Wie geht sie mit den Menschen um? In dieser Hinsicht strebt das Buch eine innerchristliche Selbstklärung betreffs Religionslosigkeit an. Und als solche macht es eine Fülle interessanter und nachdenkenswerter Vorschläge, die in der Sache vermutlich den Ansichten der von ihm inkriminierten Religionstheologen durchaus nahekommen dürften.
Was hat er also anzubieten? Zunächst also natürlich einmal das Ethos der Nächstenliebe, an das sich der Begriff der Nachfolge andocken lässt. Doch B. zielt darüber hinaus, möchte auch so etwas wie eine nach-religiöse Spiritualität denken, in der sich Gebet und Sakramente in einem neuen Licht zeigen (vgl. 147 f. u. ö.). Die vielbeschworene Sprachmächtigkeit der Bibel hängt nach B.s nüchterner Einschätzung doch mehr als vermutet an einer gewissen Vorvertrautheit mit der religiösen Metaphorik. Deshalb müssen Versuche gemacht werden, die biblische Sprache radikal zu übersetzen:
B. formuliert etwa Vaterunser (172 f.) und Apostolikum (180 f.) gänzlich um – nicht, um die alten Texte zu ersetzen, sondern um sie den Areligiösen allererst zu erschließen, die sich schon auf die Sprachgestalt nicht einlassen können. Auf dem Gipfel dieser neuen Spiritualität wartet ein (dem Buddhismus naher) »Glaube, der nichts als Glaube ist« (231) – die Begegnung mit der Religionslosigkeit wäre ein Weg, auch die Religiösen wieder daran zu erinnern, dass sie ihren Schatz nur in irdenen Gefäßen haben: »Religionstranszendentes Christentum könnte zu einem gemeinsamen Lernprozess einladen.« (233)
Das Problem ist, dass für solche Übersetzungs- und Lernarbeit meist die Foren fehlen. Wo soll das denn stattfinden, mit wem soll eigentlich genau ein »Dialog« geführt werden (211)? Welches Interesse hätten Religionslose daran? Ein solcher Dialog muss allererst angebahnt werden. Die Suche nach »Überschneidungszonen« (218) ist dabei bestimmt nicht der schlechteste Weg. – Realistischer und unmittelbarer hilfreich erscheinen mir daher die Vorschläge, die eher auf eine Selbstbesinnung der Kirchen abzielen: Was sollen die hohen (auch ­religiösen) Zugangsschwellen zum Abendmahl? Sollte man nicht verstärkt ­darüber nachdenken, Taufe und Kirchenmitgliedschaft zu entkoppeln, wie es in der Ökumene hier und da praktiziert wird? Sollte nicht auch so etwas wie ein Gaststatus gedacht werden können, ohne dass man sich gleich »entscheiden« muss (vgl. 206)? Könnte die Kirche nicht gerade dadurch auch wieder gastfreundlicher werden?
B. hat einen wichtigen Beitrag verfasst zu einer Materie, die zwar nicht mehr ganz neu ist, aber noch längst nicht die Aufmerksamkeit und die Diskussionsbreite hat, die sie verdient, und die in ihrer Bedeutung weithin unterschätzt wird. B. macht auf die geistlichen Aspekte der Mitgliederkrise aufmerksam: kein Aufruf zur Geschäftigkeit, sondern eher zum neuen Durchdenken der eigenen Grundlagen.
Im Grunde müsste sich jetzt aber noch ein Buch anschließen. B. setzt nämlich bei aller Reserve gegen die »Religion« die Relevanz des Christentums und »Gottes Plan« (235) umstandslos voraus, und deshalb auch die Notwendigkeit der »Verkündigung« (224 u. ö.) Warum eigentlich? Wenn die Menschen doch konfessionslos »glücklich« sind, wie es der Titel behauptet, warum muss man sie dann mit dem Christentum behelligen? Warum möchte B. »ihnen nahe sein« (15 f.)? »Der christliche Glaube muss einen Weg suchen […], auch für areligiöse Menschen kommunikabel zu werden.« (79) Muss er das?
Trotz allem Verzicht auf Rechthaberei und Bekehrungswillen ist das Buch – auch dies »dialektisches Erbe« – in der Logik des Kerygmas gedacht. Es wäre nötig, das, was hier überall vorausgesetzt wird, noch einmal eigens zum Thema zu machen. Wenn ich das Buch selbst schreiben würde, ich würde mir Mk 10,51a zum Obersatz wählen.