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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

703–707

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Barthel, Jörg

Titel/Untertitel:

Prophetenwort und Geschichte. Die Jesajaüberlieferung in Jes 6-8 und 28-31.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1997. XIV, 522 S. gr8 = Forschungen zum Alten Testament, 19. Lw. DM 198,-. ISBN 3-16-146746-9.

Rezensent:

Rainer Stahl

Das zu rezensierende Buch stellt die Dissertation des Verfassers aus dem Jahre 1996 dar. Er hat mit der Untersuchung von Jes 6-8 und 28-31 einen gewichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Jesaja-Diskussion geleistet. Dabei ist es ihm gelungen, die vorliegenden Texte wieder wesentlich näher an den historischen Jesaja des 8. Jh.s v. Chr. heranzurücken (465). Dafür gilt ihm - wenngleich die Sprache der Hypothesenbildung überwiegt und die Arbeitsergebnisse nur Annäherungen darstellen - besondere Anerkennung.

Leider wird keine Gesamtübersicht über die literaturhistorischen Ergebnisse gegeben. Deshalb will ich sie hier versuchen: Grundsätzlich gilt, daß auch alle echten Jesaja-Worte nur in literarischer Verarbeitung vorliegen. Der Rückblick in den Ablauf einer konkreten Streitsituation z. B. ist also in keinem Fall möglich. Aber doch kann der Vf. ein ausgesprochen lebendiges Bild der Wirksamkeit des Jesaja nachzeichnen.

Die Diskussionen um den Textbestand der Kapitel 6-8 löst der Vf. so, daß er Kap. 6 und 8 auf Jesaja selbst zurückführt (61). Für Jes 6 rechnet er mit Beeinflussung durch die Erfahrungen der Wirksamkeit des Propheten während des syrisch-ephraimitischen Krieges (88). Den Blick in diese Zeit erlauben Jes 8,1-4 (186); Jes 8,5-8 (198); Jes 8,11-15 (220 f. - wobei hierfür auch eine andere Verortung innerhalb der Wirksamkeit des Jesaja denkbar bleibt) und Jes 8,16-18 als Abschluß der Denkschrift (229).

Die eigentliche Botschaft des Jesaja in der konkreten Bedrohung zur Zeit des syrisch-ephraimitschen Krieges begreift der Vf. als Zuspruch des Heils und der Hilfe durch Gott: Jes 7,4-9a*.14b.16 (150).

Allgemein dem Jesaja zugeordnet bzw. besonders in die Zeit der Auseinandersetzung mit der antiassyrischen Politik seitens Hiskijas eingeordnet werden: Jes 7,18 f.20 (182 f.); Jes 28,1-4 (269.285 f. - mit Unsicherheiten bei der Einordnung); Jes 28,7-13 (295); Jes 28,14-18 (316 f.); Jes 28,21 (314 - auch mit Unwägbarkeiten); Jes 28,23-29 (345 f.); Jes 29,1-4 (269.355. 363); Jes 29,9 f. (381); Jes 29,13-16 (269.381); Jes 30,1-5 (269.381.402 - wobei auch in Jes 30,12-14.15-17 originale Prophetenworte durchscheinen [410]); Jes 31,1-3.4 (269.381. 436.442 - mit Infragestellung 447, A. 101).

Als Ergebnis einer Bearbeitung in vorexilischer Zeit (63 f.), vielleicht seitens "oppositioneller Jesaja-Anhänger während der Manassezeit" (154), wird Jes 7,1-17 begriffen. Dabei dreht der Vf. die meisthin gewohnte Verhältnisbestimmung zu den Jesaja-Hiskija-Erzählungen in Jes 36-39 und 2Kön 18-20 um: "Man wird die Parallelen zu Jes 36-39 par. daher umgekehrt darauf zurückzuführen haben, daß sich die Verfasser der Jesaja-Hiskia-Erzählungen unter anderem auch an der Erzählung in Jes 7 orientiert haben (daß sie Hiskia zu einem Gegenbild des Ahas machen wollten, ist durchaus möglich)" (63). Vielleicht muß hier Jes 28,19 f.22a eingeordnet werden (313 ff.).

In Aufnahme der These von H. Barth rechnet der Vf. mit einer "Assur-Redaktion" zur Zeit des Königs Joschija: Jes 29,5-8 (263.365-368); Jes 30,27-33 (263); Jes 31,5-9* (263.442). An dieser Stelle wird der Zusammenhang zu den Jesaja-Hiskija-Erzählungen genauer deutlich: "Es scheint gerade so, als ob Jes 31,5.8 f. eine Art Schlüsseltext sowohl für die Formulierung der älteren Erzählung von der Bedrohung und Rettung Jerusalems als auch für ihre interpretierende Erweiterung in 37,9b-36 gebildet hätte" (442). In dieselbe Zeit werden eingeordnet: Jes 9,1-6 (267); Jes 32,1-5 (267) und damit der gesamte Abschnitt Jes 28,1-32,2 (5)* (268, vgl. aber auch: 269.278 f., wo der Grundbestand von Jes 28-31 näher an die Zeit nach 701 v. Chr. gerückt wird).

Spätere Anfügungen und Bearbeitungen werden identifiziert in: Jes 6,12-13b (65.77); Jes 7,1*.4b.18 f.20 (64 f.); 7,23 ff. (65); Jes 8,9 f. (65.208 f.214 f.); Jes 8,19 f.21 f. (65); Jes 28,22b (314); vielleicht auch Jes 29,11 f. (383); Jes 30,6-8.9-11 (414-416); Jes 32,9-14 (267 f.). Alle diese Texte reflektieren den Untergang des Jahres 587 v. Chr.

Nachexilische Zusätze erkennt der Vf. in: Jes 6,10b, (69.78); Jes 6,13b, (65.77); Jes 7,8b (134); Jes 7,15 (142); Jes 7,21 f. (65); Jes 28,5 f. (284); Jes 29,17-24; 30,18-26; 32,15-20 (259. 268); Jes 31,6-7 (436).1

Schon aus dieser Übersicht wird deutlich, daß der Vf. in der Verkündigung des Jesaja einen bedeutenden Wechsel ausmacht: In der Stunde des syrisch-ephraimitischen Krieges 733 v. Chr. habe er die helfende Zuwendung Gottes zu verkündigen gehabt, im Zusammenhang mit der antiassyrischen Politik des Hiskija ab 705 v. Chr. die Ablehnung und das Gericht Gottes. Dies wird noch deutlicher an der Interpretation von Jes 7, die der Vf. vorlegt und die hier nur in Grundzügen angedeutet werden kann:2 "Wenn die oben entwickelte Rekonstruktion zutrifft, dann hatte das jes. Geburtsorakel ursprünglich einmal die Funktion, dem König die Geburt eines Sohnes anzusagen, der mit seiner Existenz und seinem Namen den Bestand der Dynastie und die baldige Befreiung von der aktuellen Bedrohung verbürgen sollte" (174). "Im Rahmen der vorliegenden Erzählung gewinnt das Geburtsorakel einen neuen Sinn: Wie die Zusage von V. 4 ff. im Horizont von V. 9b ihre unbedingte Heilsbedeutung für das Haus Davids einbüßte, so verliert nun auch das in V.14b.16 angesagte Geschehen im Kontext des Gerichtswortes von V. 13-17 seinen angestammten Heilsbezug und wird zum Zeichen des Gerichts für Ahas und das Davidshaus" (177).

War hier die Wandlung von Heil zu Unheil das Ergebnis redaktioneller Arbeit, so muß doch auch die Positionsveränderung des Jesaja selbst verstanden und begriffen werden. Der Vf. setzt sich damit in der Weise auseinander, daß er eine Deutung des Verstockungsauftrages versucht. Zum einen macht er deutlich, daß die Rückprojizierungsthese - die These also, daß Jesaja im Rückblick auf das Scheitern seiner Verkündigung zur Formulierung des Verstockungsauftrages gekommen sei - durchaus ihr Recht hat (93). Zum anderen hält er fest, daß es noch andere Sachgründe für den Verstockungsauftrag geben müsse (94). Als solch anderen Grund arbeitet der Vf. die Begegnung mit dem heiligen Gott heraus, die auch das Volk nicht länger wertfrei wahrnehmbar sein läßt (105). Zugleich bestätigt er, daß mit dem Verstockungsauftrag die Verwerfung der Botschaft im göttlichen Beschluß verankert wird (107.423). "In der fortgesetzten Weigerung, das klare und verständliche Prophetenwort zu hören, erkennt der Prophet am Ende einen von diesem Wort und damit von Jahwe selbst initiierten Prozeß. Verstockung ist also keine Haltung, die es unabhängig von der prophetischen Verkündigung ,gibt’, sie entsteht vielmehr erst in der Konfrontation mit dem Prophetenwort" (474).

Dieses Prophetenwort wurde besonders in politische Zusammenhänge hineingesprochen. Insofern hat der Vf. einen interessanten Beitrag zum Verhältnis von Prophetie und Politik geliefert. Er weckt das Verständnis dafür, "daß der Aufruf Jesajas zur Passivität, gerade weil er einer Deutung der Geschichte aus ,jahwistischer Perspektive’ entspringt, auch eine der konkreten Situation angemessene politische Entscheidung bezeichnet" (165) - bezogen auf die Herausforderung des syrisch-ephraimitischen Krieges. Aber natürlich kann der Vf. solche politischen Entscheidungsmöglichkeiten nicht konkret angeben, weil vor allem grundlegende Haltungen erkennbar werden: "Der Konflikt des Propheten mit den Politikern seiner Zeit läßt sich darum nicht auf die Frage der richtigen oder falschen Einschätzung politischer Machtverhältnisse reduzieren. Hinter ihm verbirgt sich vielmehr die Opposition zweier Wahrnehmungen der Wirklichkeit im ganzen. Für Jesaja ist die Geschichte das Feld, auf dem Jahwe seinen Plan, auch gegen die Pläne der Menschen, verwirklicht" (414) - bezogen auf die Herausforderung der antiassyrischen Politik des Hiskija. Insofern stellt der Vf. abschließend zu diesem Problemkreis fest, daß "Jesaja ... im Unterschied zur Politik seiner Zeit offensichtlich gerade nicht von einer funktionalen Differenzierung von selbstbestimmter politischer Vernunft und Jahweglauben aus(geht). Für ihn ist die Politik vielmehr unmittelbar der Bereich des Handelns Jahwes und der Konfrontation seines ,Planes’ mit den Plänen der Menschen" (426). Diese - und viele, gar nicht erwähnte3 - Ergebnisse werden in methodisch wohlüberlegter und -begründeter Weise erarbeitet:

Zu Beginn referiert der Vf. Tendenzen der modernen Jesajaforschung (2-24), formuliert methodische Folgerungen (25-29), begründet die Fragestellung nach dem Verhältnis von Prophetenwort und Geschichte (29-32) und erläutert die Anlage der Arbeit (32-33). Die Textuntersuchung ist in zwei Teile gegliedert - für Jes 6-8 und für Jes 28-31. Jeweils am Anfang stehen allgemeine Untersuchungen zu diesen Textkomplexen (37-65 zum Problem der Denkschrift in Jes 6-9, 245-279 zu Jes 28-32). Die Textuntersuchungen sind immer gleich aufgebaut: exegetisch begründete Übersetzung, sprachliche Probleme, Analyse der Einheit, Interpretation. Im Ergebnis liegen kenntnisreiche Kommentare vor zu: Jes 6 (66-117); Jes 7,1-17(18-20) (118-183); Jes 8,1-4 (184-193); Jes 8,5-10 (194-215); Jes 8,11-15 (216-227); Jes 8,16-18 (228-242); Jes 28,1-4(.5-6) (280-289); Jes 28,7-13 (290-305); Jes 28,14-22 (306-328); Jes 28,23-29 (329-348); Jes 29,1-8 (349-376); Jes 29,9-16 (377-390); Jes 30,1-17 (391-427); Jes 31 (428-454). Schlußfolgerungen zum gebrochenen Geschichtsbezug der Prophetenworte (455-466) und zur Tradition, Gegenwartskritik und Zukunfts-erwartung bei Jesaja (466-478) beschließen die Arbeit.

Am Schluß steht das Literaturverzeichnis (479-503), das Bibelstellenregister (505-518) und das Sachregister (519-522), die insgesamt die Arbeit mit dieser verdienstlichen Publikation deutlich erleichtern.

Fussnoten:

1) In dieser Aufstellung fehlt Jes 32,6-8. Dafür bleibt die literaturgeschichtliche Zuordnung m. E. offen.

2) Eine Diskussion der Einzelheiten kann nicht geleistet werden. Für mich wäre sie auch deshalb spannend, weil sich der Verfasser kritisch mit einem Versuch meinerseits auseinandersetzt.

3) Auf Druckfehler habe ich die Publikation eigentlich nicht durchgesehen. Ich vermerke aber doch:

Ich frage den Ausdruck bei folgendem Satz an: "Steck hat überzeugende Gründe dafür beigebracht, daß Jes 35 ... von vornherein mit dem Zweck formuliert worden ist, eine Brücke zwischen dem zunächst sich gewachsenen ersten und dem ebenfalls vorgegebenen zweiten Teil des Buches zu schaffen" (22, Z. 4).

Auf Grund des Zusammenhangs und der dort festgehaltenen Arbeitsergebnisse muß es heißen: "... den argumentativen Charakter von V. 24 f. und V. 27 f. ernst ..." (338, Textzeile 4 v. u.).

Ohne zweites "bildet": "... bildet das Arielwort nunmehr den Schluß ..." (376, Z. 1).

Wohl besser: "... 31,1-3.4 in die Situation der Bündnisverhandlungen..." (381, Textzeile 11 v. u. - vgl. 447).

Mit Komma zwischen Kapitel- und Versangabe: "... der auch den Sinn von 6,9 f. weiter zu erhellen vermag" (381, Textzeile 1 v. u.).

Die richtige Reihenfolge muß sein: "Auffällig ist zunächst die enge Parallele ..." (388, Z. 15).

Ohne "die" muß es heißen: "Wenn unsere Rekonstruktion ..." (431, Textzeile 9 v. u.).