Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1245–1248

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Herms, Eilert, u. Lubomir Žak[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Sakrament und Wort im Grund und Gegenstand des Glaubens. Theologische Studien zur römisch-katholischen und evangelisch-lutherischen Lehre.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck; Lateran University Press 2011. XIV, 293 S. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-16-151005-2.

Rezensent:

Helmut Hoping

Die seit 2001 tätige internationale Forschergruppe »Themen der Fundamentaltheologie in ökumenischer Perspektive« mit Sitz an der Päpstlichen Lateranuniversität legt mit dem vorliegenden Band die Ergebnisse ihrer zweiten Arbeitsphase (2007–2010) vor. Die Ergebnisse der ersten Arbeitsphase (2001–2006), die sich mit der Bildung und den methodischen Grundsätzen der Forschergruppe beschäftigte, wurden bereits 2008 publiziert. Neben Eilert Herms und Lubomir Žak gehören zur Forschergruppe Guiseppe Lorizio, Christoph Schwöbel, Wilfred Härle, Massimo Serretti und seit 2007 Antonio Sabetta. Nach gemeinsamer Überzeugung der Gruppe ist das Geschehen, das den Glauben begründet und zugleich ihr Ge­genstand ist, das »trinitarische Geschehen der Selbstvergegenwärtigung der Wahrheit des am Kreuz vollendeten Lebenszeugnisses des in Jesus von Nazareth inkarnierten Schöpferlogos« (VII). Als Vorbereitung für die weiteren Arbeitsphasen, in denen sich die Forschergruppe mit den Sakramenten beschäftigen wird, war das Thema der zweiten Arbeitsphase das Verhältnis von Sakrament und Wort in der römisch-katholischen und evangelisch-lutherischen L ehrgestalt. Die Ergebnisse zu Taufe, Altarsakrament, Amt und Buße sollen in einem dritten Band präsentiert werden. Die hier publizierten Beiträge wollen zeigen, dass trotz unterschiedlicher Lehrgestalt die Zuordnungen von Sakrament und Wort bzw. Wort und Sakrament sich auf dieselbe res der christlichen Offenbarung und ihrer Wirklichkeit im Glauben beziehen. Bei den Texten der Forschergruppe handelt es sich naturgemäß nicht um Lehrtexte, sondern um wissenschaftliche Studien zu selbigen Lehrtexten.
Auffällig ist, dass mit Eilert Herms nur ein evangelisch-lutherischer Autor vertreten ist, allerdings gleich mit zwei langen Beiträgen: »Sakrament und Wort in der reformatorischen Theologie Luthers« (1–49) und »Sakrament und Wort nach römisch-katholischer Tradition« (140–211). Auch das ausführliche Protokoll der Diskussion (213–269) wurde von Herms verfasst. Daneben enthält der Band die Beiträge »Wort und Sakrament« (50–75) von Antonio Sabetta, »Wort, Sakrament, Personen in der römisch-katholischen Lehre« (76–109) von Massimo Serretti und »Die Sakramentalität des Wortes von ›Dei Verbum‹ zu ›Verbum Domini‹« (110–139) von Guiseppe Lorizio. Die Übersetzungen aus dem Italienischen besorgte Andreas Linderer. Eingeleitet wird der Band mit einem längeren Vorwort von Guiseppe Lorizio und Eilert Herms (VII–XIV), den Leitern der Forschergruppe. Ein sehr ausführliches und differenziertes Sachregister schließt den Band ab. Als Hauptergebnis der Arbeiten zum Verhältnis von Sakrament und Wort bzw. Wort und Sakrament sehen die Autoren des Bandes, dass die Rede von Wort und Sakrament in der evangelisch-lutherischen und der römisch-katho-lischen Lehr- und Sprachgestalt jeweils eine gleich weite Grund-bedeutung habe und dieselbe res bezeichne, sofern über den Wortcharakter des Sakramentes und die Sakramentalität des Wortes in der Sache heute ein weitreichender Konsens bestehe.
Nach Herms ging es Martin Luther in seinem Sakramentsverständnis vor allem um den heilsamen Gebrauch der Sakramente und ihre Stiftung durch Jesus Christus. Dies war der Kontext, in dem er auch das Verhältnis von Wort und Glaube reflektierte (23). Beim Altarsakrament spielen die verba testamenti als ipsissima vox Dei und Summe des Evangeliums Jesu Christi eine zentrale Rolle (31). Die Kirche in ihrer sakramentalen Leibhaftigkeit (Taufe, Altarsakrament) lebt von Christus und seinem Wort (Kirche als creatura verbi). Doch hat Christus seine leibhafte Gegenwart an den leibhaften Grundvollzug der Kirche und ihrer Sakramente gebunden. Das Sakrament ist dem Wort nicht einfach nachgeordnet, sondern davon untrennbar, denn der inkarnierte Logos und sein leibhaftes Wort begegnen jedem Einzelnen in der sichtbaren Glaubensgemeinschaft. Christus, das Grund-Sakrament, und die Sakramente der Kirche gehören unlöslich zusammen, wobei Luther unter Sakrament die gesamte gottesdienstliche Feier und das sacrum signum im engeren Sinne versteht.
Das römisch-katholische Verständnis von Sakrament und Wort skizziert Herms ausführlich, ausgehend von der Dogmatischen Konstitution »Dei Verbum« (1965) über die göttliche Offenbarung des Zweiten Vatikanischen Konzils, den »Katechismus der Katholischen Kirche« (1997; dt. 2003/2005) und die Lehrentscheidungen der Konzilien von Florenz und Trient zu den Sakramenten. Geht man zunächst von »Dei Verbum« aus, so zeigt sich, dass nach geltender katholischer Lehre das, was Sakrament genannt wird, Anrede- und damit Wortcharakter hat, und das, was Wort genannt wird, Sa­kramentscharakter besitzt. In der neueren katholischen Sprach- und Lehrgestalt werden aber nicht nur Christus und die sacramenta ecclesiae als Sakrament bezeichnet, sondern auch die Kirche. Die Kirche ist aber Sakrament von Christus her und mit Blick auf die Feier der Sakramente, die immer ein Handeln der Kirche in ihrer Ganzheit als Leib Christi und Volk Gottes darstellt.
Auf diesen Zusammenhang wird von Herms mit Recht mehrfach hingewiesen, ebenso auf den einheitlichen Wirkungszusammenhang der sieben Sakramente. Es ist aber keineswegs so, dass der Reflexionsbegriff »Sakrament« in römisch-katholischer Sicht eine solche »universale inhaltliche Weite« (207) hätte, dass man sagen könnte, der weite Sakramentsbegriff sei mit dem Offenbarungsbegriff koextensiv. Denn auch wenn es die Offenbarung nicht unabhängig von Zeichen gibt, sie also immer eine leibhafte Dimension hat, werden in der Tradition doch nur bestimmte Zeichen als Sakramente des Alten Bundes bezeichnet, etwa die Beschneidung als Typos (Vorausbild) des Sakraments der Taufe oder das Opfer Melchisedeks als Typos des Altarsakramentes. Der entscheidende Dissens zwischen evangelischem und katholischem Kirchenverständnis wird bis heute in der ekklesiologischen Verwendung des Sakramentsbegriffs gesehen. Hier bieten vor allem die Beiträge von Herms, der immer wieder auf die Polysemie von Sakrament und Wort im Grund und Gegenstand des Glaubens aufmerksam macht, Anknüpfungspunkte für eine Annäherung der divergenten konfessionellen Standpunkte.
Antonio Sabetta konzentriert sich in seinem Artikel, ausgehend von der Einheit von Zeichen und Wort im Sakrament, auf Luthers zentrale Texte zu Taufe und Abendmahl. Die Taufe, das Bad der Wiedergeburt, der Tod der Sünde und des Sünders, ist für Luther ein objektives sakramentales Geschehen, denn wir werden nicht auf den Glauben getauft, sondern auf Gottes Wort und Gebot. Ein fruchtbarer Empfang des Sakraments ist aber nicht ohne den Glauben möglich (47). Bei den Texten zum Sakrament des Leibes Christi unterstreicht Sabetta den »Realismus« Luthers und die sakramentale Bedeutung der Verba Testamenti. Die Einsetzungsworte sind nicht nur Figuren oder Metaphern, sondern im buchstäblichen und klaren Sinne zu verstehen. Doch auch beim Altarsakrament hängt seine Wirksamkeit in dem, der es empfängt, vom Glauben ab, was aus römisch-katholischer Sicht nicht anders ist. Taufe und Altarsakrament, so machen die von Sabetta analysierten Luthertexte deutlich, gehören aufgrund des sakramentalen Charakters des Wortes Gottes und des vom sakramentalen Zeichen untrennbaren Wortes Christi unlösbar zusammen. Das Sakrament ist nicht nur eine Verdeutlichung des im Wort zugesagten Heils, denn durch Taufe und Herrenmahl erhalten die Gläubigen Anteil an dem einen Heilsmysterium Christi (75).
Ausgehend von Cyprian von Karthago, Augustinus, der mittelalterlichen Theologie der Mysterien des Lebens Jesu und des Glaubens der Kirche, erschließt Massimo Sarretti den inneren Zusammenhang von Sakrament und Wort als Grundvollzügen der Kirche. Es ist immer Gott, der uns durch Christus im Geist das Sakrament schenkt, doch geschieht dies durch die Kirche, die von Christus her das »Sakrament in den Sakramenten« (Joseph Ratzinger) ist. Sarretti unterscheidet drei Existenzweisen des Wortes Gottes: das Verbum caro factum, das Wort der Heiligen Schrift und die Kirche. Nach Sarretti ist die sakramentale Wirklichkeit als göttliche Selbstkommunikation zu verstehen (106). Die Kirche relativiert nicht das göttliche Handeln in Wort und Sakrament. Das ex opere operato unterstreicht die Unbedingtheit des göttlichen Handelns im Sakrament; es geht dabei nicht um die Fruchtbarkeit des Sakraments im Empfänger. Nach Sarretti reicht es nicht aus, die Sakramente nur im Lichte der Rechtfertigungslehre zu sehen. Es bedarf einer intensiveren Reflexion auf das göttliche Handeln im und durch den Leib Christi, der die Kirche ist (95–103). Die sakramentale Wirklichkeit gründet in der Offenbarung und Menschwerdung Gottes sowie der leib-geistigen Verfasstheit des Menschen.
Die Sakramentalität des Wortes Gottes aus römisch-katholischer Sicht ist das Thema des Beitrags von Guiseppe Lorizio. Wort und Sakrament stellen nicht zwei einander gegenüberstehende Wirklichkeiten im Grund und Gegenstand des Glaubens dar. Vielmehr gehören sie untrennbar zusammen. Dies zeigt Lorizio an­hand der Offenbarungskonstitution »Dei Verbum«, der Enzyklika »Fides et ratio« (1998) und dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben »Verbum Domini« (2010). Am deutlichsten unterstreicht das letzte Dokument die Sakramentalität des Wortes Gottes ( qualitas sacramentalis Verbi). Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gehört es zur Grundüberzeugung der katholischen Kirche, dass das Wort Gottes eine sakramentale Struktur hat. Im gottesdienstlichen Leben der katholischen Kirche haben deshalb auch Feiern des Wortes Gottes (Wort-Gottes-Feiern) neben der Feier der Sakramente einen eigenen Stellenwert. Lorizio unterscheidet bei der Sakramentalität des Wortes Gottes die Sakramentalität des offenbarenden und geoffenbarten Wortes (113–129), die Sakramentalität des Wortes in Bezug auf das Ereignis und die Taten der Offenbarung (129–134) und die Sakramentalität des Wortes der Heiligen Schriften (134–139), die im Gottesdienst der Kirche verkündet werden und die Wahrheit un­seres Heils lehren (DV 11). Die von Lorizio untersuchten Lehrdokumente machen deutlich, dass die katholische Kirche sich als Kirche des Wortes und des Sakramentes versteht, weil Sakrament und Wort bzw. Wort und Sakrament eine Offenbarungswirklichkeit bilden.
Das Protokoll der Diskussion ist konsensorientiert und hält, un­beschadet einer differenten konfessionellen Lehr- und Sprachgestalt, den von den Teilnehmern erzielten Konsens fest. Dieser be­trifft die Sakramentalität der Offenbarung (1.), Christus als Sa­krament (2.), die Sakramentalität von Taufe und Altarsakrament (3.), die Einheit von Sakrament und Wort im Grund und Gegenstand des Glaubens (4.), das Verhältnis von Glaube und Sakrament (5.), die Fruchtbarkeit des Sakraments durch den Glauben (6.) und die Leibhaftigkeit des Wort- und Sakramentsgeschehens (7.). Einigkeit besteht auch darin, dass wir es beim evangelisch-lutherischen Sa­kramentsverständnis (Christus als Sakrament und die einzelnen Sakramente) und dem katholischen Sakramentsverständnis (Chris­tus als Wurzel-, die Kirche als Grundsakrament und die einzelnen Sakramente) mit einer Polysemie des Sakramentsbegriffs zu tun haben.
Die Erweiterung des Sakramentsbegriffs auf die Kirche in der katholischen Lehre wird positiv gewürdigt: Richtig verstanden, er­zeuge sie keine Unklarheit, wie immer wieder behauptet werde. Es ist aber zweifelhaft, ob es sich bei der Frage der Sakramentalität der Kirche nur um eine terminologische Differenz handelt (263). Denn mit der Sakramentalität der Kirche sind nicht nur die episkopale Struktur der Kirche und des geistlichen Amtes verbunden, sondern auch das Verhältnis von sichtbarer und un­sichtbarer Kirche, Evangelium und Institution sowie Gnade und Gesetz. Die von Herms und Žak herausgegebenen Studien der ökumenischen Forschergruppe bieten zahlreiche An­sätze, um auch auf kirchlich-lehramtlicher Ebene über das evangelisch-lutherische und römisch-katholische Kirchenverständnis ins Gespräch zu kommen. Weitere Fortschritte können aber nur erzielt werden, wenn es gelingt, beim Kirchenverständnis, wie bei der Rechtfertigungslehre, zu einem differenzierten Konsens zu kommen.