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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1229–1231

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Adam, Gottfried

Titel/Untertitel:

Biblische Geschichten kommunizieren. Studien zu Kinderbibeln, Daumen-Bibeln und Bibelfliesen.

Verlag:

Müns­ter: Comenius-Institut 2013. 183 S. m. Abb. Kart. EUR 12,00. ISBN 978-3-943410-04-4.

Rezensent:

Burkard Porzelt

Die preiswerte Publikation vereint neun Aufsätze zur Kinderbibelforschung, die Gottfried Adam entweder erstmals vorstellt oder für dieses Buch überarbeitet hat.
Zwei historische Längsschnitte eröffnen den Band. Wissensreich und prägnant beleuchtet A., wie sich das Medium ›Kinder-bibel‹ zwischen Martin Luthers »Passional« von 1529 und Johann Hübners »Biblischen Historien« von 1714 wandelte (13–28). Dabei treten markante Modi des Umgangs mit der Heiligen Schrift hervor, die wir auch heute antreffen können. Während Luther wie Hübner zentrale Bibeltexte fokussieren (vgl. 17 und 27), strebt Justus Gesenius nach »größtmögliche[r] Vollständigkeit« (25). Ethisch zugespitzt wird die biblische Botschaft durch Otto Braunfels, Hartmann Beyer, Georg Fabricius und Hübner, in ein historisierendes Korsett zwängen Beyer und Gesenius die Schrifttexte. Dem 18. Jh. widmet sich der folgende Beitrag (29–40). Anschaulich stellt A. vor Augen, wie Kinderbibeln der Aufklärungszeit ethisierende (Jakob-Friedrich Feddersen), rationalistische (Johann Friedrich Heynatz) und individualisierende (Rudolph Christoph Los-sius) Tendenzen der aufkommenden Moderne aufnahmen.
Drei markante Bibelausgaben stehen im Fokus der nächsten Artikel, A. ergründet Genese und Konzept des jahrhundertelang vergessenen Prototyps einer Bilderbibel für ›kinder und einfeltige‹, nämlich Luthers »Passional« von 1529, dessen Bebilderung Georg Lemberger zugeschrieben wird (43–59). Die heilsgeschichtliche Orientierung (47), inhaltliche »Konzentration« und sprachliche »Elementarisierung« (53) des »Passionals« geben bis heute ebenso zu denken wie dessen eindrückliche »Korrespondenz von Text und Bild« (58). Die Seiten 65 bis 84 charakterisieren das schlichte, biblizistische Erzählkonzept der 1832 erstveröffentlichten »Biblischen Geschichten« von Christian Gottlob Barth (und Gottlob Ludwig Hochstetter), die trotz »ausgesprochen schlecht[er]« (75) Bildqualität als »Weltbestseller« (65) »in mindestens 87 Sprachen übersetzt« und wohl »über fünf Millionen« (82) Mal gedruckt wurden. A. widmet sich sodann Jörg Erbs unter der Obhut der Bekennenden Kirche entstandenem Werk »Schild des Glaubens« von 1941, für dessen Bildprogramm Paula Jordan verantwortlich zeichnete (85–103). Der Erzählstil dieser in den 1950er und 1960er Jahren weit verbreiteten Haus- und Schulbibel suchte »dem kindlichen Verständnis« ebenso gerecht zu werden wie »der Hoheit des göttlichen Wortes« (so Erb, s. 90 und 95).
Vergleichend analysiert A., wie die Perikope vom zwölfjährigen Jesus (Lk 2,40–52) in Bild und Wort unterschiedlichster Kinderbibeln rezipiert wurde (105–122). Virtuos zeigt er auf, welch vielfäl-tige Deutungen ein und derselbe Bibeltext in Abhängigkeit von den hermeneutischen, theologischen und pädagogischen Vorentscheidungen der Autorinnen und Autoren sowie Illustratorinnen und Illustratoren erfahren kann – bis hin zu seiner (andernorts schon von Anton A. Bucher herausgearbeiteten) ›Instrumentalisierung‹ (114) für moralische Lernziele. Wohl begründet präferiert A. einen Darstellungsmodus, der im Einklang mit der aus Lk 2,46 f. ablesbaren Interaktionsstruktur einen »dialogischen Jesus« (119) ins Licht rückt, der »mit seinen Gesprächspartnern ›auf Augen-höhe‹« (119) kommuniziert. Die Fronarbeit sorgsamer Werkanalysen voraussetzend mündet der spannend zu lesende Vergleich, den der Rezensent als Höhepunkt des Bandes wertet, in erhellende Einsichten für eine verantwortete Bibeldidaktik. Wie Kinderbibeln mit dem brisanten Begriff der Sünde umgehen, erkundet A. auf S. 123–134. Ausgehend von drei historischen Kontrastbeispielen (Luther, Hübner und Anne de Vries) rekonstruiert er Strategien des Ausweichens oder aber Neuübersetzens in gegenwärtigen Kinderbibeln.
Zwei abschließende Beiträge widmen sich eher ungewöhnlichen Formaten der Kommunikation biblischer Motive. Das kurios erscheinende Genre der Thumb Bibles (137–148), die bis ins 19. Jh. vor allem im angelsächsischen Raum Verbreitung fanden, dekodiert A. als radikalen Versuch biblisch-theologischer Elementarisierung (vgl. insbesondere 147). Als religiöse Gebrauchskunst, die im 17. bis 19. Jh. kommerziell vermarktet wurde, erlaubt das niederländische Medium der Bibelfliesen (149–168) Rückschlüsse auf jenen Kanon im Kanon, der wohlhabenden Bürgerinnen und Bürgern des Protestantismus am Herzen lag. Der begrenzte Raum und die serielle Form der Herstellung erzwingen »eine klare und auf das Wesentliche konzentrierte Bildsprache« (168), die A. als »einen Vorgang der Elementarisierung« deutet, »der nicht durch Fachtheo-logen, sondern durch Laien durchgeführt wurde« (166).
Mit diesem Band präsentiert A. ein gelungenes Beispiel reli-gionsdidaktischer Kasuistik. Was religiöse Bildung ausmacht und wie sie sich verantworten und fördern lässt, wird hierbei nicht generalisierend postuliert, sondern an konkreten Einzelfällen problematisiert und nachbuchstabiert. Historisches For­schen solcher Art bereichert die aktuelle Reflexion, weil es die Sinne schärft für die Raumzeitlichkeit jeder bildenden Kommunikation des Gottesglaubens. Kinderbibeln versuchen, die Gottesüberlieferung in be­stimmten Konstellationen authentisch, verstehbar und lebensförderlich zum Vorschein zu bringen. In ihrer Textauswahl, Sprachgestalt und Bebilderung materialisieren sie anthropologische und hermeneutische, theologische und pädagogische Überlegungen. Wege und Irrwege, denen wir beim Studium von Kinderbibeln be­gegnen, zeichnen nicht vor, wie der Gottesglaube zukünftig kommuniziert werden kann und muss. Wohl aber inspiriert die Auseinandersetzung mit Exempla der Vergangenheit die Wahrnehmung, Urteilskraft und Phantasie angesichts heutiger didaktischer Herausforderungen. Wenig ist das nicht.