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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1223–1226

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ott, Bernhard

Titel/Untertitel:

Handbuch theologische Ausbildung. Grundlagen – Programmentwicklung – Leitungsfragen.

Verlag:

Schwarzenfeld: Neufeld Verlag 2013. XVII, 412 S. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-86256-041-7.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Die Reform des Theologiestudiums ist seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner. In den letzten Jahren zieht »Bologna« tiefgreifende Veränderungen in der Grundstruktur des Theologiestudiums nach sich, und das nicht nur aufgrund der konsekutiven Struktur von Bachelor- und Masterstudium sowie der damit verbundenen Modularisierung und Akkreditierung von Studiengängen. Neben den tra-ditionellen Ausbildungsgängen, die für den Pfarrberuf und das Lehramt an Schulen qualifizieren, entstehen zahlreiche neue theologische Studienangebote, z. B. berufsbegleitende Masterstudiengänge für theologisch Interessierte aus anderen Fachrichtungen oder Berufsfeldern. Die Europäisierung des Studiums soll zu einer größeren Durchlässigkeit führen, auch bei der Anerkennung von Studienabschlüssen, die an ausländischen Fakultäten, aber auch an Fachhochschulen oder an Theologischen Seminaren in (frei)kirchlicher Trägerschaft erreicht worden sind. Staatliche Fa­kultäten und Kirchliche Hochschulen sind daher gut beraten, sich mit den Entwicklungen in freikirchlichen Ausbildungseinrichtungen auseinanderzusetzen. Das »Handbuch theologische Ausbildung« von Bernhard Ott ist daher auch für Theologen, die an Universitäten und Kirchlichen Hochschulen lehren, eine lohnende Lektüre.
O. leitet das mennonitische Theologische Seminar Bienenberg in der Schweiz. Außerdem ist er Dekan für die akademischen Studiengänge der evangelikalen Akademie für Weltmission in Korntal und arbeitet für die Europäische Evangelische Akkreditierungsvereinigung (EEAA), die Mitglied der Europäischen Evangelischen Allianz ist. Die erste Auflage seines Handbuchs erschien 2007 im Brockhaus Verlag. Für die Neuauflage wurde es umfassend überarbeitet. Wenngleich O. – kaum überraschend – eine kritische Sicht auf die Aufklärung und ihre Folgen für Theologie und Kirche einnimmt, sind seine konzeptionellen Vorstellungen doch in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen stellt er die Diskussionen über zeitgemäße Formen und Inhalte des Theologiestudiums in den größeren internationalen und ökumenischen Zusammenhang. Das Handbuch orientiert sich an dem vom Weltrat der Kirchen 1997 veröffentlichten International Directory of Theological Colleges. Lesenswert und lehrreich sind die Einblicke, die O. in die nordamerikanische Diskussion über die Reform des Theologiestudiums von H. Richard Niebuhr bis in die Gegenwart gibt (28 ff.). Auch Stimmen aus der Zweidrittel-Welt kommen zu Wort (27). Zum anderen zeigt sich O. gegenüber der deutschsprachigen Universitätstheologie aufgeschlossen und übt an der herkömmlichen Abschottung und biblizistischen Verengung evangelikaler Theologie deutliche Kritik. Diese Aufgeschlossenheit macht das Buch besonders interessant, und man möchte wünschen, dass sich eine vergleichbare Gesprächsoffenheit an den staatlichen Fakultäten entwickelt, von der die Theologie insgesamt nur profitieren kann.
Das Handbuch gliedert sich in acht Kapitel. Nachdem O. im 1. Kapitel die Umbruchssituation der theologischen Ausbildung beschrieben hat (1–13), gibt er im 2. Kapitel einen Überblick über die internationale Diskussion (15–76). Das 3. Kapitel beschreibt ausführlich bildungstheoretische Grundlagen sowie Traditionen und Modelle theologischer Ausbildung (77–121). Das 4. Kapitel zeichnet die Umrisse einer Theologie der theologischen Ausbildung auf biblisch-theologischer Grundlage (123–178). Im 5. Kapitel geht es um die Integration von Theorie und Praxis in der theologischen Ausbildung (179–243). Um die problematische Opposition von Theorie und Praxis und eine gewisse Theoriefeindlichkeit evangelikaler Theologie zu überwinden, schlägt O. vor, » Praxis (Lebensgestaltung, Weisheit), als Theoria (Denken) und Poiesis (Handeln) umschließende und deshalb auch integrative Kraft zu verstehen« (243). Die Entwicklung theologischer Ausbildungsprogramme ist Thema des 6. Kapitels (245–314), während es im 7. Kapitel um Instrumente des Qualitätsmanagements geht (315–348). Das Schlusskapitel widmet sich den Aufgaben von Führungskräften in der theologischen Ausbildung (349–398). Eine ausführliche Bibliographie rundet das Handbuch ab (399–412).
Die Ausgangslage ist nach Ansicht O.s durch die negativen Auswirkungen der Aufklärung charakterisiert. In ihrem Gefolge und aufgrund der zunehmenden Spezialisierung der Wissenschaften sei »der eine Gegenstand der Theologie komplett zerrissen worden« (40). Im Anschluss an Edward Farley geht es O. darum, das wieder zu entdecken, was beide als Theologia bezeichnen, nämlich Theologie als Erkenntnis, die »darin besteht, reflektierend und nachdenkend Gott und das Leben umgreifender zu verstehen, in solcher Weise, dass wir befähigt werden, Gott tiefer zu erkennen (lieben) und als Christen in dieser Welt weiser und engagierter zu leben« (43). Wie Max L. Stackhouse – der übrigens ein gewichtiger Vertreter jener Bewegung ist, die man als »public theology« oder »öffentliche Theologie« bezeichnet – plädiert O. außerdem für eine Er­neuerung der apologetischen Dimension der Theologie, wobei freilich die Folgen der Aufklärung problematischerweise wieder nur einseitig als Verlust verbucht werden: »Theologie und theologische Ausbildung müssen auf intellektueller Ebene das Terrain wiedergewinnen, das sie durch die Aufklärung verloren haben: Religion ist eine Sache erster Ordnung« (45). Gleichwohl kommt z. B. mehrfach Schleiermacher zu Wort (z. B. 109 f.), der nun gewiss nicht als antimodernistischer Theologe gelten kann. Auch die Arbeit der »Gemischten Kommission« von evangelischen Fakultäten und EKD würdigt O. (62 ff.), wenngleich er nicht zu Unrecht ihre Verengung auf die deutsche Binnenperspektive kritisiert (64).
Die evangelikale theologische Ausbildung, um die es O. geht, steht nach seiner Ansicht im Spannungsfeld zwischen der akademisch-universitären und der praxisorientiert-missionarischen Ausbildungstradition (111). Zwar betont O. die Kirchlichkeit der Ausbildung und sieht in der Gemeinde bzw. der Kirche den primären Ausbildungsort, wendet sich aber gegen das in evangelikalen Kreisen vertretene Konzept einer gemeindeintegrierten Ausbildung (177). Scharf kritisiert er das evangelikale Ausbildungsmodell der Bibelschule, das den Tatbestand der Indoktrination erfülle. An seine Stelle müsse auch im evangelikalen Bereich »die selbständige, kritisch-hinterfragende Denkarbeit« treten (112). Für die Grundlegung einer »Theologie der theologischen Ausbildung« (125) sucht O. nach biblischen Bausteinen, warnt aber zu Recht vor biblizistischen Kurzschlüssen und fordert stattdessen ein Bewusstsein für die hermeneutische Problematik eines solchen Unterfangens.
Programmatisch erklärt O.: »In Theologie und theologischer Ausbildung geht es um Gott – muss es um Gott gehen.« (156) Und weiter: »Theologie ist reflektiertes und reflektierendes Verstehen Gottes.« (162) Ein solches Theologiekonzept passt wohl nicht unbedingt zum gegenwärtigen Mainstream an den Universitäten. Es zeigt aber durchaus eine gewisse Nähe zur Wort-Gottes-Theologie im Gefolge Barths und sogar zur Hermeneutischen Theologie in der Tradition von Bultmann, Fuchs und Ebeling. Letzterer kommt wiederholt zu Wort.
Bei aller Gesprächsoffenheit gegenüber der modernen Universitätstheologie trifft O. freilich eine hermeneutische Vorentscheidung, die er nicht weiter zur Diskussion stellt, nämlich diejenige, »die Bibel überhaupt als Offenbarung Gottes und deshalb als normatives Dokument zu lesen – auch im Hinblick auf theologische Ausbildung« (126). Die Vorordnung der Schrift wird freilich nicht durch »steile dogmatische Aussagen zur Inspiration und zur Irrtumslosigkeit der Schrift« (165) begründet. Vielmehr fordert O. »ein exaktes und offenes ›Hören‹ auf die biblischen Texte« (166). Auch lehnt es O. ab, Gottes Wort bzw. sein Reden auf den Wortlaut der Bibel zu reduzieren (167). Zurückzuweisen ist freilich die Pauschalkritik an der historisch-kritischen Methode, die als Resultat einer in die Irre gegangenen Theologie verurteilt wird, die sich dem »Diktat der kritischen Vernunft unterworfen« habe (211).
Mag man die Engführungen einer evangelikalen Theologie der theologischen Ausbildung aus universitärer Sicht auch kritisieren, so bleibt doch manches von diesem Handbuch zu lernen. So z. B. in Hinsicht auf Defizite in der geistlichen Bildung von Theologiestudierenden, ehedem auch als Praxis Pietatis bezeichnet. O. spricht lieber mit einem englischen Ausdruck von »spiritual formation« (187 ff.), wobei er mit Recht erklärt, es gehe nicht darum, ein Teilgebiet »Spiritualität« im Theologiestudium einzuführen, »sondern darum, das Ganze des theologischen Studiums als Spiritualität zu verstehen« (187). Inzwischen werden Spiritualität als Teil der Persönlichkeitsbildung und das Erwerben von »spiritueller Kompetenz« auch an den Universitäten zum Thema gemacht.
Die Bewertung der Aufklärung und ihrer Folgen bleibt freilich ein Streitpunkt. Die Verurteilung der Aufklärung als Abfall vom wahren Christentum und als Irrweg ist nicht minder eindimensional wie die These von der Vollendung der Reformation in Aufklärung, Moderne und Neuprotestantismus. Die Motive und Kräfte, die zur Aufklärung geführt haben und in ihr wirksam wurden, sind bekanntlich vielschichtig. Es ist und bleibt der Theologie aufgetragen, sich mit der Dialektik der Aufklärung und den Ambivalenzen ihres Erbes auseinanderzusetzen. Dazu leistet das vorliegende Handbuch freilich nur sehr begrenzt einen Beitrag.