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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1212–1214

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Markova, Hristina

Titel/Untertitel:

Exzellenz durch Wettbewerb und Autonomie? Deutungsmuster hochschulpolitischer Eliten am Beispiel der Exzellenzinitiative.

Verlag:

Konstanz u. a.: UVK Verlagsgesellschaft 2013. 316 S. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-86764-456-3.

Rezensent:

Nils Ole Oermann

Diese Arbeit von Hristina Markova wurde 2012 als Dissertation im Fach Soziologie an der Universität Heidelberg angenommen. In zehn Kapiteln versucht M., am Beispiel der sogenannten »Exzellenzinitiative« des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen darin enthaltene Deutungen einer »Wettbewerbs- und Autonomieförderung« (20) und inhärente Deutungsmuster »politischer Eliten« in »wissenschaftssoziologischer Perspektive« (98–103) herauszuarbeiten. Als empirische Grundlage wählt M. dabei als Stichprobe die qualitative Analyse von 15 Interviews, die sie mit Bundes- und Landespolitikern sowie leitenden Beamten aus dem Bereich Bildung und Wissenschaft parteiübergreifend geführt hat (120).
In ihrer Einleitung bringt M. zwei ihrer Kernthesen »als Tatsachen in die Argumentation« ein (14): Die eine sei eine zu beobachtende »Neoliberalisierung der Gesellschaft«, welche als kritische Reaktion deren »neoliberales Prinzip des Wettbewerbs« hervorruft, da dieses Marktprinzip politischen Eliten als Steuerungsmechanismus der Forschungs- und Wissenschaftspolitik diene – exemplarisch sichtbar an der Exzellenzinitiative als Untersuchungsgegenstand. Zweite »Tatsache« sei ein »Funktionsverlust gesellschaft-licher Teilsysteme und Entdifferenzierung« (14), die Kritik darum hervorrufe, weil sie einen Einzug »ökonomischer Rationalität« in alle Bereiche der Gesellschaft und damit auch den Bildungssektor befördere.
Angesichts dieser von M. identifizierten »Tatsachen« der Ökonomisierung der Gesellschaft im Allgemeinen und der Neoliberalisierung der Wissenschaft auf Grundlage des Wettbewerbs mit der Exzellenzinitiative als Steuerungsinstrument der politischen Eliten im Besonderen will M. in den von ihr geführten Interviews untersuchen, welche »Deutungs- und Handlungsregeln […] hochschulpolitische Eliten im Gespräch über die Exzellenzinitiative als politische Idee« beschreiben und wie sich deren Überzeugungen und Positionen nach Geschlecht, Herkunft oder Parteizugehörigkeit der Interviewten unterscheiden (15). Auf dieser Grundlage wird dann die Beantwortung der Frage versucht, ob es Anzeichen für den Einzug »neoliberaler Deutungen in die deutsche Hochschulpolitik im Sinne der Institutionalisierung eines neoliberalen Menschenbildes, Bildungs- und Universitäts- und Staatsverständnisses« (15) gebe.
Dafür umreißt M. zunächst in einem zweiten Kapitel die von ihr identifizierten Linien »neuer Hochschulpolitik« (19–31), um dann im dritten Kapitel »Gegenwartsdiagnose: Primat der Wirtschaft« (33–66) die wissenschaftspolitische Ausgangslage und danach den aktuellen Forschungsstand zu »bestehenden Strukturen des deutschen Bildungssystems« (67) in einem vierten Kapitel zu skizzieren (67–80). Anschließend werden in einem »theoretischen Rahmen« die »Wirklichkeitskonstruktionen und gesellschaftliche Wissensbestände politischer Eliten« analysiert (81–103), wobei der Schwer punkt auf den Begriff »soziale Deutungsmuster« sowie dessen elitetheoretischen Bezüge gelegt wird.
Anschließend werden nach Ausformulierung der bereits eingangs formulierten Thesen/»Tatsachen« der Ökonomisierung und Neoliberalisierung der Wissenschaftspolitik die Anlage und Me­thodik der Interviews sowie das Auswertungsverfahren erläutert (109–127). Der empirische Befund/die Interviewauswertung aus dem stichprobenartig untersuchten hochschulpolitischen Rahmen wird im 8. Kapitel (129–262) als Kern der Arbeit dargestellt, um resümierend »Deutungs- und Handlungsregeln im hochschulpolitischen Feld« zu identifizieren (263–289), und zwar mit folgendem Ergebnis:
Aus Sicht M.s werde politischerseits eine zunehmende »Internationalisierung« und »Wettbewerbsorientierung« und staatliche geförderte Profilierung der deutschen Hochschulen bei den meisten Interviewten konstatiert wie gewollt. Markt und Wettbewerb, so M., seien zwar schwerlich auf homogene Nenner wie »neoliberale Ökonomisierung« zu bringen. Dennoch sei ein staatlicher Interventionismus am Beispiel der Exzellenzinitiative mit all seinen Nebenwirkungen zu konstatieren, so dass man eher von einer »Politisierung« als einer »Ökonomisierung« von Wissenschaft sprechen müsste (289).
Die Stärke der vorgelegten Arbeit ist der Versuch, eine mit einem diffusen Eliten- und Wettbewerbsbegriff angetretene Exzellenz-initiative systematisch zu untersuchen, die zu rechtlich wie wissenschaftspolitisch kontroversen Folgeproblemen u. a. im Bereich des Föderalismus und der Forschungsförderung geführt hat. Jedoch allein auf Grundlage einer Stichprobe von nur 15 anonymisierten Interviews eine Ausgangsthese »neoliberaler Ökonomisierung« von Wissenschaft als »Tatsache« qualifizieren zu wollen, erweist sich bereits einleitend als wesentliche Schwäche der Arbeit. Die geführten Begriffsdiskussionen zu »Elite« und »sozialem Konstrukt« werden im Rekurs auf die einschlägige Sekundärliteratur iteriert, um dann in einem in der Forschungsfragestellung anspruchsvollen, aber empirisch wenig überzeugenden Kernteil der qualitativen In­terviewauswertung an der Oberfläche zu verharren. Dies scheint M. selbst aufzufallen, wenn man am Ende der Arbeit die Liste der von ihr identifizierten, künftig zu behandelnden Forschungsfragestellungen im »Ausblick« (291–293) betrachtet: Eine kritische »Überprüfung der Ökonomisierungsthesen« hätte man in einer Dissertation genauso erwartet wie »die nötige empirische Basis für die in der öffentlich und wissenschaftlich geführten Diskussion wie selbstverständlich reproduzierte Annahme einer Dominanz ökonomischer Deutungen im hochschulpolitischen Feld« (292 f.).
Ohne diese Vertiefung und systematische Einordnung werden 15 Interviews mit Hochschulpolitikern, deren Auswahl sich nicht zwingend erschließt, dem komplexen Gegenstand der in der Tat nicht unproblematischen Ökonomisierung von Wissenschaft und Hochschule nur zum Teil gerecht. M.s Verdienst ist das Stellen der richtigen Fragen. Die Schwäche der Arbeit liegt jedoch in der mangelnden systematischen Interpretation ihrer selektiven empirischen Befunde.