Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1207–1209

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Weber, Hubert Philipp, u. Rudolf Langthaler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube. Neue Perspektiven der Debatte.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress (Vienna University Press) 2013. 428 S. m. 4 Abb. = Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft, 1. Geb. EUR 54,99. ISBN 978-3-8471-0140-6.

Rezensent:

Fulvio Gamba

Das Buch vereint 19 Vorträge eines vom 23. bis 26. Februar 2010 im Rahmen der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien durchgeführten Kongresses zum Thema Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube. Äußerer Anlass dieser interdisziplinären Veranstaltung war das vorausgegangene Darwin-Jubiläumsjahr 2009. Dieses hatte Gelegenheit geboten, sich mit der Evolutionstheorie und deren Weiterbildungen in der modernen Evolutionsbiologie auseinanderzusetzen sowie deren Verhältnis zur (Schöpfungs-)Theologie neu zu bedenken. Gerade die vor einigen Jahren diesbezüglich neu entflammte Debatte durch Vertreter des Intel-ligent-Designs diagnostizieren die beiden Herausgeber dieses Sammelbandes R. Langthaler und H. Ph. Weber als Ausdruck eines Versäumnisses der letzten Jahrzehnte, das Verhältnis Evolution-Schöpfung vertiefter zu reflektieren. Die für die Publikation überarbeiteten Vorträge wurden für diese Ausgabe thematisch neu geordnet und unter vier Themenbereiche gestellt.
1. Grundlagen der modernen Evolutionstheorie: In einem ersten Beitrag »Evolutionary Theory Today« legt der in Wien lehrende Biologe G. Müller dar, welche Entwicklungen die Evolutionstheorie selbst seit Darwin gemacht hat und was heute aus fachlicher Sicht mit diesem Begriff (nicht) gemeint ist. Eine Quelle vieler Missverständnisse in der Debatte um Evolution und Schöpfung sieht der Biologe und Philosoph Ch. Kummer in den zum Teil divergierenden Verwendungsweisen des Begriffs »Evolution«. Entsprechend be­müht er sich in seinem Beitrag »Was meint der Biologe, wenn er von Evolution spricht?« um eine Klärung, indem er zwischen »Evolu-tion« als Phänomen, als Theorie und als Paradigma unterscheidet. In »Evolution – ein geschichtsmetaphysisches Deutungsschema« macht H. Poser deutlich, wie evolutionäre Denkmodelle über die Biologie hinaus die moderne Weltsicht geprägt haben. In den Beiträgen von E. Oeser »Evolution als universales Paradigma der Wissenschaft« und H.-D. Klein »Species, Deszendenz, Evolution« unterstreichen die beiden Autoren die universale Bedeutung des Evolutionsgedankens in Zusammenhang mit der Weltstellung des Menschen.
2. Die Autoren des zweiten Abschnitts Evolutionstheorie im Dialog drängt – aus verschiedenen Blickwinkeln – das Anliegen, das Verhältnis Evolutionsbiologie – Schöpfungstheologie neu auszuloten. So versucht Ph. Clayton in »Why the New Atheism is Bad Science«, von der neueren Systembiologie her den Gedanken des »Systems« für die Schöpfungstheologie fruchtbar zu machen. Von ganz anderer Seite stellt U. Kattmann, Fachdidaktiker für Biologie, anhand seiner Untersuchung »Glaube an die Evolution? Darwins Theorie im Spiegel der Alltagsvorstellungen von Schülern, Lehrern und Wissenschaftlern« die Frage, wie das Thema »Evolution« im Unterricht verständlich(er) und auch für andere Fächer in »an­schluss-fähiger« Weise nähergebracht werden kann. Nochmals ganz anders C. Deane-Drummond, die in »Believing Deeply in Creation: Christ and Evolution as Theodrama« das evolutive Paradigma explizit theologisch anhand des »theodramatischen« Ansatzes H. U. von Balthasars neu zu deuten versucht. H. Seidl seinerseits expliziert die Thematik »Evolution und Schöpfung aus naturphilosophischer und metaphysischer Sicht« im Rahmen einer traditionell-katholischen (tendenziell neuthomistischen) Sichtweise.
Einen wichtigen Beitrag leisten die Ausführungen des Physikers und Philosophen H.-D. Mutschler, der sich der konkreten Aufgabe stellt, »Minimalbedingungen für einen Dialog Naturwissenschaft – Theologie« zu formulieren. Er arbeitet die jeweils verschiedenen – zum Teil einander ausschließenden – ontologischen Voraussetzungen von Theologie und Naturwissenschaft heraus und zeigt, wie nur in der Beachtung dieser Implikationen ein Brückenschlag zwischen Naturwissenschaft und Schöpfungstheologie gelingen kann. U. Körtner hingegen vertritt in seinem Vortrag »›Schöpfung‹ und ›Evolution‹: quasi dasselbe mit anderen Worten?« die Ansicht, dass das evolutionäre Denken die Theologie grundsätzlich zu einem Verzicht auf jegliche metaphysische Spekulation zwinge und ein Dialog höchstens über einen hermeneutischen Diskurs möglich ist.
3. Der Abschnitt »Evolution« weiterdenken umfasst Beiträge dreier Autoren: Der in Oxford lehrende Philosoph W. Caroll möchte in seinem Beitrag »Creation and a Self-Sufficient Universe« anhand von Thomas von Aquins Aussagen über die creatio continua bzw. den innerweltlichen Sekundärursachen die »Autonomie des Ge­schaffenen« so wahren, dass eine Evolution der Welt mit Gottes Schöpfungswirken nicht (mehr) in Widerspruch gerät. V. Hösle, seinerseits Philosoph, zeigt in seinen interessanten Ausführungen »Über die Unumgänglichkeit teleologischer Prinzipien« die Entwicklungen der Naturphilosophie nach Darwin, dass im Hinblick auf eine philosophische Reflexion über die Natur als Ganze (d. h. inkl. des Menschen als erkennenden Subjekts) eine naturalistische Position – unter Ausschluss jeglicher teleologischer Prinzipien – nicht befriedigend durchzuhalten ist. Schließlich richtet der amerikanische Theologe und Ethiker R. Cole-Turner in »Religion, Technology, and the ›Future‹ of Evolution« seinen Blick auf die Zukunft des Menschen und seiner technologischen Möglichkeiten. Angesichts der sich anbahnenden Entwicklungen arbeitet der Autor, ausgehend von einem christlichen Menschenbild, Risiken und Chancen heraus.
4. Evolutionstheorie und Anthropologie – unter diesem Titel sind die letzten fünf Beiträge des Bandes zusammengefasst, wobei die drei ersten sich mit Themen im Rahmen der Ethik auseinandersetzen. Während Ch. Illies mit seinem Plädoyer »Evolutionär erweiterte Ethik. Fünf Thesen zur Bedeutung der Evolutionswissenschaften für die Ethik« aufgrund der evolutionsbiologischen Einsichten der Ethik eine empirische Legitimation geben möchte, begründet U. Barth in »Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde«, ausgehend vom biblischen Gedanken in Gen 1, die historische und aktuelle Relevanz einer religiösen bzw. christlichen Anthropologie für eine ethische Fundierung der Menschenwürde. Aufschlussreich ist der Beitrag des Biologen L. Huber, der in seinen Darlegungen »Zur Evolution von Erkenntnis und Moral aus der Sicht der Kognitionsbiologie« aufzeigt, wie schon im Tierreich bzw. bei höheren Primaten Verhaltensmuster feststellbar sind, die auf eine Vorstufe von Moralität hindeuten. Um ein vertiefteres Zeit-Verständnis bemühen sich die letzten beiden Autoren. In »Zwischen Anfang und Ende, Sprache und Zeit. Die Frage nach der Geschöpflichkeit des Menschen angesichts des Anderen« sieht der Fundamentaltheo-loge E. Diescherl im Verhältnis von Zeit und Sprache eine Möglichkeit, die Weltstellung des Menschen philosophisch-theologisch zu begründen. Hingegen macht der Philosoph K. Appel in seiner behandelten Thematik »Theologische Erwägungen zum Thema ›Zeit‹ im Spannungsverhältnis von biblischer Schöpfungserzählung und evolutionärer Weltsicht« geltend, dass die Schwierigkeiten im Dialog zwischen Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft nur über eine grundsätzliche Reflexion der jeweils vorausgesetzten Zeitverständnisse überwunden werden können.
Fazit: Die Beiträge dieses Buches zeigen, dass die Diskussionen rund um Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben heute vielseitig und anregend geführt werden. Das Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich über den gegenwärtigen Stand der Diskussion rund um das Verhältnis Evolutionstheorie – Schöpfungsglaube näher informieren wollen.