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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1191–1192

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Jaeschke, Walter, u. Andreas Arndt

Titel/Untertitel:

Die Philosophie der Neuzeit 3. Teil 2: Klassische Deutsche Philosophie von Fichte bis Hegel.

Verlag:

München: C. H. Beck 2013. 320 S. = Geschichte der Philosophie. Bd. IX,2. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-406-55134-5.

Rezensent:

Christian Danz

Der Band IX,2 der von Wolfgang Röd herausgegebenen Reihe Geschichte der Philosophie widmet sich der Klassischen Deutschen Philosophie von Fichte bis Hegel. Vorgelegt wurde der Teilband von Walter Jaeschke und Andreas Arndt. Beide haben grundlegende Studien zur Philosophie des Deutschen Idealismus vorgelegt und sind ausgewiesene Spezialisten auf diesem Forschungsgebiet. Das spezifische Profil des Bandes verdankt sich ihrer enormen Kenntnis dieser Debattenlagen. Von der Konzeption der Reihe her bietet der vorliegende Band einen Überblick über »die mannigfaltigen Beziehungen zwischen den philosophischen Entwürfen« der nachkantischen Philosophie und referiert den »Inhalt dieser Entwürfe« (11). Er stellt das Seitenstück zu dem bereits 2006 erschienenen und von Wolfgang Röd verantworteten Teilband IX,1 Kritische Philosophie von Kant bis Schopenhauer (München 2006) dar und präsentiert eine für die Reihe Geschichte der Philosophie zugeschnittene Version einer im Jahre 2012 von beiden Autoren publizierten umfangreicheren Fassung mit dem Titel Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik. 1785–1845 (München 2012). Ebenso wie in dieser Fassung geht in dem vorliegenden Band der Abschnitt über Frühromantische Systemphilosophie und ihre Transformationen (100–139) auf Andreas Arndt zurück, während die restlichen Abschnitte von Walter Jaeschke geschrieben wurden, freilich auf der Grundlage einer langjährigen engen Zusammenarbeit der beiden Autoren.
Die Präsentation der Geschichte der nachkantischen Philosophie ist in vier Abschnitte gegliedert. Teil eins behandelt die Weiterbildung der Transzendentalphilosophie nach Kant (14–97). Auf einen kurzen Überblick über die Problemlage der Philosophie nach Kant (14–17), in dem zu Recht die Katalysatorfunktion von Friedrich Heinrich Jacobi hervorgehoben wird, folgt eine gründliche und durch zahlreiche Zitate belegte Darstellung der vielschichtigen Debattenlage nach dem Erscheinen von Kants Vernunftkritik. Nachgezeichnet werden die Kontroversen über Carl Leonhard Reinholds Elementarphilosophie (17–23), die Konzeption der frühen Wissenschaftslehre Fichtes sowie deren Weiterbildung in den 1790er Jahren und die Herausbildung der Philosophie des jungen Schelling bis zum S ystem des transzendentalen Idealismus von 1800 (85–97). Ein eigenes Unterkapitel ist der Entwicklung von Fichtes Religionsphilosophie von der Offenbarungsschrift bis zum Atheismusstreit gewidmet (58–78). Der von Arndt verfasste zweite Ab­schnitt stellt die Frühromantische Systemphilosophie und ihre Transformationen vor. Aufgezeigt werden die Konzeptionen von Novalis (100–110), Schlegel (111–125) und Schleiermacher (126–139). Im Unterschied zu den anderen Kapiteln wird in diesem den Ausführungen zum jeweiligen Œuvre ein knapper Überblick über Leben und Werk vorangestellt. Das vierte Kapitel widmet sich Schellings nach 1800 konzipierter Identitätsphilosophie (142–217). In vier Unterabschnitten werden der Übergang vom Transzendentalsystem zur Identitätsphilosophie, die Kontroversen über diese Konzeption sowie deren Weiterentwicklung bis zu den Aphorismen über Naturphilosophie thematisiert. Auf sehr wenigen Seiten folgt sodann unter der Überschrift Intermezzo. Späte Weiterbildungen ein Ausblick auf die Spätphilosophien Fichtes und Schellings (218–222). Dieses Intermezzo leitet zum abschließenden vierten Kapitel über, welches Hegels System der Philosophie gilt (224–294). Detailliert wird dem Leser in dem Kapitel die Genese der Philosophie Hegels von den Jenaer Systementwürfen über die Phänomenologie bis hin zum reifen Hegel der Logik und der Enzyklopädie erschlossen. Ein Anmerkungsteil (295–313), Personen- (314–316) und Sachregister (316–320) beschließen den Band.
Die Verfasser haben einen kenntnisreichen und prägnanten Überblick über die vielschichtigen Debatten in der nachkantischen Philosophie sowie die Genese der Systeme Fichtes, Schellings und Hegels vorgelegt. Die zahlreichen Kontroversen und Streitsachen in diesem Zeitabschnitt zwischen 1785 und 1831, also zwischen Jacobis Spinoza-Büchlein und Hegels Tod, werden dem Leser durch zentrale Zitate sowie eine souveräne Einordnung in den Debattenkontext verdeutlicht. Die Resultate der jüngeren Forschungsgeschichte zur Klassischen Deutschen Philosophie, welche den frühromantischen Konzeptionen eine breitere Aufmerksamkeit in den Debatten um ein ›System der Vernunft‹ eingeräumt hat, werden in den Band ebenso aufgenommen wie die inzwischen vorliegenden historisch-kritischen Ausgaben der Protagonisten jener Zeit. Fragen könnte man allerdings, ob es nicht vor dem Hintergrund jener jüngeren Forschungsgeschichte nahegelegen hätte, den Aufriss des Bandes von dem von Richard Kroner geprägten Schema ›Von Kant bis Hegel‹ zu lösen. Fichtes und Schellings Spätphilosophien als Intermezzo auf dem Weg zu Hegels System zu deuten, wiederholt lediglich die höchst kontroversen Selbsteinschätzungen dieser Meisterdenker. Auch Schelling hat in den Münchner Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie Hegels System bekanntlich als Episode auf dem Weg zu seiner eigenen Spätphilosophie eingestuft.
Über solche wechselseitigen systematischen Überbietungsansprüche führt – ähnlich wie in der Theologiegeschichtsschreibung – allein eine konsequente Historisierung hinaus. Nicht nur der Umstand, dass Schelling Hegel um 20 Jahre überlebt hat und folglich auf einen veränderten Problemhorizont reagiert, auch die höchst unterschiedlichen Systemausgestaltungen Fichtes, Schellings und Hegels lassen es sinnvoller erscheinen, deren jeweilige Konzeptionen als eigenständige Bearbeitungen und Lösungen der von Kant angestoßenen Frage nach einem System der Vernunft zu deuten und jeden Anklang an eine teleologische Entwicklungslinie zu vermeiden.