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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1184–1186

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bausenhart, Guido, Böhnke, Michael, u. Dominik Lorenz[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Phänomenologie und Theologie im Gespräch. Impulse von Bernhard Welte und Klaus Hemmerle.

Verlag:

Freiburg i.Br.: Verlag Herder 2013. 593 S. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-451-33285-2.

Rezensent:

Veronika Surau-Ott

Welchen Ertrag kann Husserls Ruf »Zu den Sachen selbst« und der methodische Ausgangspunkt bei der Erfahrung für eine Theologie leisten, die rational verantwortlich und intellektuell redlich von Gottes Göttlichkeit zu reden unternimmt? Im spezifischen Freiburger Kontext waren es Bernhard Welte (1906–1983), Professor für Christliche Religionsphilosophie, und sein Schüler und Nachfolger Klaus Hemmerle (1929–1994), seit 1975 Bischof von Aachen, die die phänomenologische Methode für das eigene theologische Denken fruchtbar machten und weiterentwickelten.
Die Beiträge dieses Bandes, der als Festschrift Heinz-Jürgen Görtz zugeeignet ist, auf dessen Anregung hin sich ein Arbeitskreis »Theologie und Phänomenologie« über mehrere Jahre traf, setzen sich mit diesen beiden Religionsphilosophen auseinander. Die Autoren sind ihrerseits maßgebliche Protagonisten des Dialogs zwischen Phänomenologie und Theologie. Die kenntnisreiche Fülle der Aufsätze bietet dem Leser die Möglichkeit, sich entsprechend den eigenen Fragestellungen und Vorwissen der Thematik zu nähern. Insofern haben die Herausgeber auch ein Studienbuch vorgelegt, das nicht nur in zentrale Aspekte des Denkens von Welte und Hemmerle einführt, sondern im Dialog mit gegenwärtiger und »klassischer« Phänomenologie spezifische Probleme der Möglichkeit von Religionsphänomenologie aufzeigt und diskutiert. Die Rezensentin kann nur weniges vorstellen und konzentriert sich besonders auf die Beiträge zu Welte und Hemmerle.
Abschnitt I stellt ausgehend von Husserl über Heidegger und Rombach den philosophisch-phänomenologischen Referenzrahmen vor. Einen größeren Raum nimmt die Darstellung der her-meneutischen Phänomenologie und die Auseinandersetzung des frühen Heideggers mit dem Thema »Religion« ein. Abschnitt II widmet sich der phänomenologischen Religionsphilosophie Weltes unter besonderer Berücksichtigung seiner Heidegger- und Husserl-Rezeption.
Klaus Kienzle schlägt vor, die Religionsphänomenologie Weltes als Durchführung der drei phänomenologischen Reduktionen Husserls zu lesen, und rekonstruiert darin die zentralen Begriffe der einzelnen Stufen. So wird das Denken auf das zurückgeführt, was sich an ihm selbst zeigt, ganz im Sinne Heideggers, der die phänomenologische Aufgabe beschreibt als »das, was sich zeigt, so wie es sich von ihm selber her zeigt, von ihm sehen lassen«. Diese Haltung erstreckt sich nun auf die rationale Durchdringung der fides qua und der fides quae. Will das Denken dem Heiligen als Heiligem entsprechen, so muss es selber religiös werden. Der Phänomenologe wird zum Zeugen, zum Mitteilenden des Sich-selber-Zeigenden. César Lambert analysiert die enge Verbindung von »Verstehen und Glauben«. Weil »Verstehen« sich vollzieht im Verständnis des ausgesprochenen Sinnes wie im Hören auf den Anspruch des Wortes, teilt es mit dem Glauben den Antwortcharakter auf den an sie ergehenden Anspruch. Verstehen vollendet sich im Glauben, wie der Glaube wesentlich ein verstehender Glaube ist. Solches Verstehen stellt eine Weise des Vollzugs des eigenen Daseins dar und ist zu unterscheiden von bloßer Kenntnisnahme von etwas Unverstandenem. In diesem Sinne ist Weltes Phänomenologie responsiv.
Heinz-Jürgen Görtz stellt Weltes Denken im »Lichte des Nichts« dar. Phänomenologisch muss gefragt werden, wie Gott als Gott den Menschen erscheint, und zugleich nach dem »Selbst«, das sich in reziproker Beziehung sowohl zu Gott bringt wie ihn empfängt. Bestimmend wird in diesem Zusammenhang die Reflexion auf das »Nichts« als das Andere des Daseins, als die Unselbstverständlichkeit, dass etwas ist und nicht vielmehr nichts. Dies ist freilich kein Seiendes und kann darum auch nicht angemessen versprachlicht werden. Es ist, so Welte, die sich entziehende Anwesenheit einer unendlichen Macht, deren Phänomenalität. Denken im »Lichte des Nichts« wird im Ereignis der Begegnung mit dem transkategorialen ursprünglich Anderen sich selbst »freigelegt« und darin zur Geste des staunenden »Siehe!«, das sich genötigt sieht zu sehen, als wäre es das erste Mal.
Klaus Hemmerle entwickelt im Gespräch mit der Strukturontologie Heinrich Rombachs, die Struktur als dynamisch-relationales Ge­schehen begreift, die Gedanken Weltes weiter. Denken, so beschreibt es Richard Lorenz, ist Zeugenschaft und Antwort in Freiheit.
Klaus Kienzler widmet sich Hemmerles phänomenologischer Analyse des Glaubens als genitivus subiectivus – hier theologische Phänomenologie vom Glauben her, wie als genitivus obiectivus, philosophische Phänomenologie auf den Glauben hin. Dem Phänomenologen kommt in diesem Prozess eine besondere Bedeutung zu, indem das Geschehen nicht ohne die Beteiligung und die Exis­tenz des Phänomenologen zustande kommt. Darin ereignet sich »Be-Wahrheitung« oder »Bewährung«, ist Wahrheit im Sinne Rombachs doch ein Geschehen, das sich im Gespräch vollzieht und durch das die Teilnehmenden selbst konstituiert werden. Dieser Dynamik des Miteinanders von Passivität und Aktivität trägt die »Weg«-Formel »Es geht« oder »wie etwas geht« Rechnung. Erhellend sind die Schemata Kienzlers, mit denen er methodisch die innere Reziprozität beider Bewegungen als phaenomenologia qua und phaenomenologia quae nachzeichnet.
Welchen Ertrag eine so gestaltete Phänomenologie des Glaubens für die Erhellung der Phänomene von Religion hat, stellt Heinz-Jürgen Görtz am Beispiel der »Einübung ins Gebet« vor. Ausgehend von seinem eigenen Ansatz erschließt er die »Sinnlogik« und »Denkwürdigkeit« des Betens als religiöse Sprachhandlung, in der die gelebte Gottesbeziehung des Menschen als durch Gott im Christusgeschehen begründete zum Ausdruck kommt. Die »zwei-eine« Wahrheit, die jeweils eigene, zu unterscheidende und zugleich die »eine« Wahrheit Gottes und des Menschen, wird erfahren und ereignet sich im Lobpreis Gottes. Im Magnifikat vollzieht sich exemplarisch menschliches Kleinsein und menschliche Größe, die sich in der Anerkennung der Größe Gottes äußert. Gleichursprünglich zu dieser »Maß-nahme« des Menschen im Gebet ist das Gebet als Gottesgeschehen, in dem Gott in Christus dem Menschen nahe ist und darin den Menschen sich selbst zum Subjekt werden lässt. Im »Wechselspiel« des Betens »ereignet sich jene Gleichzeitigkeit von göttlichem Geheimnis und mensch-lichem Dasein, durch die wir Menschen ›Wesen der reziproken Transzendenz‹ sind« (273).
Für den gegenwärtigen Dialog sei in Abschnitt IV Joachim Track genannt. Er plädiert für eine offenbarungsbestimmte, erfahrungsorientierte und argumentierende Theologie (505). Im Anschluss an Schleiermacher und weitergeführt durch Impulse von Wittgenstein und Lyotard ist in ihr der Begriff der »Erschließungserfahrung« als mit der Offenbarung genuin verbundener Erfahrung zentral. Ihrer Struktur nach entspricht sie Luthers struktureller Beschreibung des Glaubens. Im »Außenverhältnis« zeigt sie eine begründete Allgemeinheit des christlichen Glaubens in der dem Menschsein als Möglichkeit gegebenen Struktur und zugleich eine mit der Existenzsituation aufweisbare Grundsituation auf, im »Innenverhältnis« legt sie den Ort der Konstitution des Selbst durch Gottes Handeln für und in uns offen.