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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1171–1173

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Wyclif, John

Titel/Untertitel:

Trialogus. Transl. and ed. by S. E. Lahey.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2013. VIII, 363 S. Lw. US$ 99,00. ISBN 978-0-521-86924-9.

Rezensent:

Martin Ohst

Anders als sein Lehrer Thomas Bradwardina hat John Wyclif († 1384) den religiösen Determinismus des späten Augustin nicht nur mit erneuerter Radikalität in den theoretischen Debatten seiner Zeit zur Geltung gebracht, sondern auch dessen kirchen- und kleruskritische Implikate kraftvoll herausgestellt: Angesichts des un­durchdringlichen Geheimnisses, welches über dem göttlichen Ratschluss der Erwählung und Verwerfung jedes einzelnen Menschen liegt, ist jeder kirchliche Anspruch auf objektiv-sakramentale Heilsvermittlung hybrid und verlogen. In den politischen und kirchenpolitischen Kontroversen, die England während des Hundertjährigen Krieges erschütterten, war Wyclif mit diesem Radikalismus zeitweise ein willkommener Bundesgenosse des Parlaments, das eine drakonische Unterbrechung des Geldflusses an den Heiligen Stuhl forderte, weil dieser mit Frankreich im Bunde stand. Als Wyclif jedoch auch die Transsubstantiationslehre kritisch zersetzte, war er nicht mehr tragbar. Er musste sich von der Universität in Oxford auf seine Pfarrei Lutterworth zurückziehen. Zuvor hatte sie lediglich als Pfründe zu seinem Lebensunterhalt beigetragen; nun wurde dieses Stück des von ihm bekämpften kirchlichen Reichtums Wyclif zur Basis seiner sich intensivierenden und radikalisierenden Schriftstellerei. Hier entstand auch Wyclifs »Trialogus«: Alithia legt, geduldig die Fragen von Phronesis beantwortend, eine Gesamtrechenschaft über die Inhalte des christlichen Glaubens ab, und Pseustis hat als Wortführer der scholastischen Normaltheologie die undankbare Aufgabe, durch Einwände Präzisierungen zu veranlassen. Insgesamt ist das Gespräch der drei Männer – und um solche handelt es sich, unbeschadet des grammatischen Ge­schlechts! – recht schlicht strukturiert; die Dramatisierung wirkt oberflächlich und künstlich. Gliederungstechnisch ist das Werk in vier Bücher aufgeteilt, und die bewegen sich thematisch jeweils im Fahrwasser der vier Sentenzenbücher des Lombarden. Trotz seines Biblizismus lässt Wyclif also die kirchliche Lehrtradition des Abendlandes nicht einfach links liegen, sondern vielmehr erhebt er den Anspruch auf ihre wahrheitsgemäße Deutung. Hat er diesen Anspruch einlösen können? Ist es ihm wirklich gelungen, auch nur ansatzweise die Überlieferungsmassen auszuläutern und zu einem neuen Ganzen umzuformen, oder bleibt er in einem Konglomerat von Referat und Kritik hängen? Das sind Fragen, die sich bei der Lektüre stellen, und die immer wieder zu Vergleichen etwa mit Melanchthons »Loci« herausfordern.
Bislang lag der »Trialogus« lediglich lateinisch in der anscheinend grundsoliden, jedoch nur äußerst sparsam kommentierten Edition des Leipziger Kirchenhistorikers Gotthard Victor Lechler (Oxford 1869) vor. Jüngst ist die hier anzuzeigende englische Ausgabe erschienen, die, wie Lechlers Edition, auch das sogenannte »Supplementum« des Trialogus umfasst, einen polemischen Traktat gegen die reiche Bischofskirche und die ebenfalls reichen Bettelorden, der, ursprünglich unabhängig vom Trialogus entstanden, schon in den Handschriften mit diesem verknüpft wurde.
Nun ist die Übersetzung des scheinbar leichten scholastischen Latein in moderne Sprachen ein schwieriges Unterfangen; das weiß jeder, der sich schon einmal daran versucht oder auch nur die deutsche Thomas-Ausgabe zu Rate gezogen hat. Und das Übersetzen ins Englische ist wohl noch einmal schwieriger als das ins Deutsche, weil die englische philosophische Schulsprache nicht wie die deutsche von einem Metaphysiker wie Christian Wolff geschaffen worden ist, sondern von Denkern ganz anderen Zuschnitts. Dennoch: Eine solche Übersetzung muss, auch und gerade dann, wenn sie sich wie diese der Kontrolle durch den parallel abgedruckten Originaltext nicht stellt, in lesbarer, verständlicher Diktion den Inhalt des Originals in die Zielsprache übertragen. Und dieses Erfordernis erfüllt der vorliegende Versuch nicht.
Da das im Zuge anderweitiger Studien arbeitsökonomisch sinnvoll war, habe ich die Lektüre mit Buch III (Tugendlehre) begonnen, kam jedoch, obgleich weder mit der englischen Sprache noch mit Wyclifs Denken gänzlich unvertraut, nur ganz mühsam und schleppend voran – und auch das nur bis zu dem folgenden Satz: »So according to the Apostle love remains in one’s life just as one’s country does, for ›it never ends‹ [1 Cor 13:8], but in the place of faith the blessed have clear vision, and in the place of hope perpetual fruition« (117). Wer soll das verstehen? Ich jedenfalls habe, dunkel ahnend, was gemeint sein könnte, das Buch zugeklappt und nach Lechlers Ausgabe gegriffen, und siehe da – es ist doch im Original alles sonnenklar und leicht verständlich: »Daher hört nach dem Apostel die Liebe nimmer auf, denn sie bleibt sowohl auf dem Wege als auch im [himmlischen] Vaterland. Aber an der Stelle des Glaubens haben die Seligen die klare Schau, und an der Stelle der Hoffnung den ewigen Genuss« (ed. Lechler, 134; dt. Übers. M. O.). Mit diesem Beispiel dürfte über die Art und den Wert dieser Übersetzung alles Notwendige gesagt sein.
In der Kommentierung wird lediglich Lechlers Vorarbeit reproduziert – die Identifikation von Bibelzitaten, die jedem halbwegs Bibelfesten ohnehin ins Auge fallen. Die Kirchenväter-Zitate bleiben unerläutert: »And thus Gregory can be understood, that faith does not have merit, which human reason may prove through experiment« (117) – mit so etwas wird der Leser allein gelassen. Und dabei wäre es wirklich so kinderleicht gewesen, anhand der kritischen Edition der Sentenzen des Lombarden, die Lechler noch nicht zur Verfügung stand, solche Bezugnahmen zu identifizieren!
Aber vielleicht beginnt ein Leser an dieser Stelle darüber nachzusinnen, welchen Rang und Stellenwert der Verdienstbegriff in Wyclifs Denken hat, und zieht vertrauensvoll das Register zu Rate. Das führt ihn allerdings eklatant in die Irre, denn dort findet er s. v. »merit« nur ein einziges Lemma im Zusammenhang der Polemik gegen den Ablass und die Theorie der überschüssigen Verdienste der Heiligen. Hier bietet wiederum Lechler erheblich mehr, nämlich fünf Einträge, die in kluger Auswahl exemplarischer Belege die wichtigsten Verwendungs- und Bedeutungsvarianten dieses Schlüsselbegriffs im Trialogus angeben. Warum hat sich der Übersetzer überhaupt die überflüssige Arbeit aufgehalst, an Lechlers Register herumzukürzen, und es nicht einfach bei einer simplen, mechanischen Umstellung der Seitenzahlen bewenden lassen?
Damit genug. – Günstigstenfalls hat der Editor, von dem der Klappentext eine Monographie und eine Gesamtdarstellung zu Wyclif anpreist, nach der Devise »publish or perish« einfach eine alte, in einer ganz frühen Phase seiner Studien entstandene Rohübersetzung aus der Versenkung hervorgeholt und ohne viel Fe­derlesens zum Druck befördert. Diese Vorgehensweise ist erstaunlich. Dass ein renommierter Verlag so etwas dann auch noch in sein Programm aufnimmt, ist ärgerlich. Wirklich schlimm ist jedoch, dass diese komplett unbrauchbare Übersetzung, die gerade Anfängern – und wer braucht so etwas sonst? – ein- für allemal die Lust an der Wyclif-Lektüre verderben kann, nun erst einmal durch ihre bloße Existenz auf absehbare Zeit einer anderen, besseren im Wege stehen wird.