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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1169–1171

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schenk, Susanne

Titel/Untertitel:

Ama et habe. Perspektiven des Heils in Anselms Korrespondenz mit Frauen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 336 S. = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 39. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03162-7.

Rezensent:

Klaus von Stosch

Diese in Neuendettelsau entstandene Dissertation von Susanne Schenk beschäftigt sich mit der Frauenkorrespondenz des bekannten mittelalterlichen Theologen und Philosophen Anselm von Canterbury. Dabei wird einerseits Anselm als Seelsorger und Kirchenpolitiker sichtbar und andererseits wird etwas von der Alltagsrelevanz und dem Frauenbild von Theologie in der damaligen Zeit sichtbar. Der zentrale Inhalt der Laienpredigt Anselms besteht – wie bereits der Titel der Dissertation andeutet – darin, sich in der Liebe hinzugeben und zugleich und darin das in Christus angebrochene Königreich Gottes anzunehmen (14).
S. gliedert ihre Ausführungen entsprechend den drei großen Perioden in Anselms Leben in seine Zeit als Abt in Bec (23–158), seine ersten Jahre als Erzbischof bis zum Investiturstreit (159–214) und den letzten Teil seines Episkopats während des Investiturstreits (215–308) und wertet dabei außerordentlich gründlich und übersichtlich die jeweilige Korrespondenz mit Frauen aus. Die vorgestellten Gesprächspartnerinnen Anselms sind durchgehend Weltfrauen und Adlige, die gerade in der Zeit des Investiturstreits überaus einflussreich für die politische Entwicklung waren.
Im ersten Teil des Buches schildert S. nach einer knappen, aber instruktiven biographischen Vorbemerkung zu Anselms Kinder- und Jugendzeit (23–29) den Anlass seiner Frauenkorrespondenz in diesem Lebensabschnitt: Es ging ihm um den Kontakt mit Wohltäterinnen des Klosters (29). Denn so, wie das Kloster finanziell auf Stiftungen aus dem Hochadel angewiesen war, gewährte es seinen Wohltäterinnen im Gegenzug geistliche und auch politische Un­terstützung (32). In detailreicher Auswertung der insgesamt acht Briefe Anselms aus dieser Zeit arbeitet S. heraus, wie Anselm den Frauen für ihr großherziges Engagement und ihre Verbundenheit mit ihm eine Heilsperspektive eröffnet (86) und wie er spirituell ihre Liebe zu Gott zu vertiefen sucht. In der Gegenseitigkeit der Liebe von Jesus und Maria Magdalena (62 f.) sieht er das Vorbild für sein eigenes inniges Verhältnis bzw. seine geistliche Freundschaft zu seinen Wohltäterinnen (101 f.). Das magdalenische Ringen mit Glaubensfragen wird zum Vorbild für seine Korrespondentinnen, um durch ihre herausfordernden Fragen in Beziehung mit Gott zu treten (67). Bemerkenswert ist, wie eindringlich Anselm den Liebesdialog von Gott und Mensch vor Augen stellt (72) und seine Adressatinnen zu einem tiefen emotionalen Hineingehen in diesen Dialog und die dafür erforderlichen Suchbewegungen einlädt. Die Würdigung auch des materiellen Einsatzes der Adelsfrauen basiert auf der Diagnose, dass ihre Wohltaten als unmittelbarer Ausdruck der Gottesliebe gedeutet werden (147).
Hat man in Anselms Zeit als Abt den Eindruck, dass er eine tiefe Freundschaft zu seinen Wohltäterinnen empfindet und sein Verhältnis zu ihnen durchaus symmetrisch versteht, verändert sich seine Einstellung signifikant nach seiner Ernennung zum Erzbischof von Canterbury. Anselm hat nun in der Regel den Eindruck, in seinem Rang seinen Adressatinnen überlegen zu sein (174), und parallelisiert sein eigenes Handeln mit dem Handeln Gottes (176). Heil, Vergebung und Segen sind jetzt nur noch durch seine Vermittlung möglich, so dass sich auch die Liebe der Frauen nicht mehr direkt auf Gott, sondern auf ihn richten sollte (177). Zugleich wird das ehemalige Freundschaftsverhältnis, das zumindest in der Terminologie auch durchaus erotische Anklänge hatte, eindeutig spiritualisiert (178).
Diese Entwicklung setzt sich auch in der letzten Lebensphase Anselms fort, wobei nun die politische Dimension seiner theologischen Überlegungen mehr hervortritt und insbesondere in seiner Korrespondenz mit der Königin deutlich wird. Bemerkenswert in dieser Phase des Schaffens Anselms ist seine durch den Investiturstreit geschärfte, durchaus modern zu nennende Wahrnehmung der Trennung von weltlicher und geistlicher Herrschaft (249.263), die es zugleich erschwert, die Zuwendungen der Adelsfrauen mit einer Heilsperspektive zu verknüpfen. Diese wichtige Unterscheidung vermag er allerdings im weiteren Verlauf des Investiturstreits nicht aufrechtzuerhalten, weil er dringend die Unterstützung des Hochadels in seinem Kampf mit dem englischen König brauchte. Dabei bindet er die jetzt doch eingeräumte Heilsperspektive eindeutig an das Handeln der Kirche (264). Nicht mehr die einzelne Frau erscheint als Braut Christi, sondern nur die Kirche insgesamt (266), so dass die Gottesbeziehung seiner Korrespondentinnen im­mer durch ihn selbst vermittelt ist; »die Weltfrau liebte nach Anselm nicht mehr bräutlich, sondern töchterlich, und ihre Liebe empfing der Erzbischof« (311) – ein Schachzug, der auch die mys­tisch-erotische Dimension dieses Liebesverhältnisses abmildert.
S.s Werk besticht durch sehr genaue historische Analysen, macht aber zugleich wichtige theologische Details kenntlich. So erscheint mir etwa Anselms dauernde Weigerung, dem ersten Kreuzzug Heilsrelevanz zuzubilligen, durchaus bemerkenswert (212). Ebenso spannend wie theologisch problematisch ist dagegen, wie Anselm seine Argumente zum Investiturstreit mit seiner Geschichtstheologie verknüpft (253–255). Mehr als fragwürdig ist auch seine aus moderner Sicht zynische Theodizee, wenn er der Mutter eines Oblaten verständlich zu machen versucht, warum nach der Oblation des ersten Kindes alle anderen Kinder gestorben sind (201–204). Hier vermisst man etwas theologische Bewertungen oder zumindest Einordnungen S.s, die sich ganz darauf zurückzieht, die Positionen einfach nur vorzustellen und im Horizont ihrer Zeit verständlich zu machen.
Insgesamt handelt es sich bei S.s ausführlicher Untersuchung um ein sehr gelungenes Buch, das philologisch sehr genau mit den ausgewerteten Quellen umgeht – sehr lobenswert sind die vielen lateinischen Originalzitate, die immer treffend in den Fußnoten übersetzt werden – und diese historisch überzeugend einordnet. Die Abhandlungen der einzelnen Briefe sind sehr übersichtlich und werden jeweils mit sehr hilfreichen historischen Einordnungen und Exkursen verknüpft. Gelegentlich gelingt S. auch eine sehr gute Verknüpfung mit den sonstigen Schriften Anselms. Als gelungen sind auch ihre Ausführungen zur Entwicklung des hochmittelalterlichen Inklusentums und der Brautmystik zu werten. Etwas schade ist, dass S. ihr Interesse an den Adressatinnen Anselms (7) nicht noch mehr nutzt, um diese als Glaubenssubjekte vor Augen zu stellen. Dennoch verdient dieses spannende Buch viele Leserinnen und Leser auch über den Kreis der Spezialistinnen und Spezialisten hinaus.