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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1160–1164

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zamfir, Korinna

Titel/Untertitel:

Men and Women in the Household of God. A Contextual Approach to Roles and Ministries in the Pastoral Epistles.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. XXII, 473 S. = Novum Testamentum et Orbis Antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 103. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-525-59360-8.

Rezensent:

Jens Herzer

Bei dieser Monographie handelt es sich um eine 2012 an der Universität Regensburg abgeschlossene Habilitationsschrift von Ko­rinna Zamfir, die sich im Kontext des in den letzten Jahren sehr vielfältigen Diskurses über die Pastoralbriefe erneut mit dem sozialgeschichtlichen Hintergrund der Rolle von Frauen und Männern in der Gemeinde beschäftigt.
Z. entwickelt zunächst ein klassisches Bild der »Christian communities« am Ende des 1. Jh.s n. Chr., insofern sie den Topos der Parusieverzögerung für »significant changes« vor allem im Hinblick auf die Ekklesiologie unter veränderten sozialgeschichtlichen Voraussetzungen verantwortlich macht (xi, 397 f.). Damit verbindet sich die Absicht der Untersuchung: »This monograph explores the manner in which the Pastoral Epistles respond to these internal and external challenges toward the end of the first century, focus­ing on the definition of roles and ministries within a changed ecclesiological framework« (XII). Insbesondere die Haustafeln wertet Z. als Ausdruck dafür, dass die Gemeinden die traditionellen Werte der Gesellschaft und Kultur teilen. Allerdings spiegelten die Past nicht die gemeindliche Realität, sondern »aim at altering ecclesial and social realities, against dissimilar perspectives« (XII). Mit diesem »contextual approach« (vgl. Titel; XIII f.) knüpft Z. an Abraham Malherbe, dessen Gedenken die Untersuchung gewidmet ist, und seinen »ecological or environmental approach« (XV) an. Malherbe beschreibt damit das Setting der Past in der griechisch-römischen Kultur, speziell der antiken Ökonomik. Wichtig an dieser Perspektive ist nicht nur, dass die Einflüsse und Interrelationen zwischen Text und Kultur aufgezeigt werden, sondern dass darin die Eigenprofile der Texte umso deutlicher zu akzentuieren sind und diese nicht einfach als Summe ihrer kulturellen Einflüsse erklärt werden können (vgl. XVI). Die Past hätten nicht nur einen griechisch-römischen Hintergrund, sondern seien integraler Teil der zeitgenössischen Kultur (393). Unter diesen Voraussetzungen versteht Z. ausgehend von 1Tim 3,15 die Gemeinde der Past als »extended oikos and a Christian polis governed by God, i. e. as public and sacred space« (XIX). Darüber hinaus komme der ekklesia eine kosmische Dimension zu, die in gemeindlichen und sozialen Regeln konkretisiert werde (XIX). Insofern seien die Past »prescriptive writings that attempt to shape reality, to establish and maintain an ecclesiastical, social and gender hierarchy and have thereby an ideological character« (XVIII).
In einem einleitenden Kapitel werden grundlegende Aspekte der Behandlung der Past (wie z. B. Pseudonymität, Verhältnis zur weiteren Paulustradition) thematisiert und die ideologische Strategie und die sozialgeschichtliche Problematik der Briefe herausgearbeitet. Z. folgt der nach wie vor verbreiteten Theorie eines Corpus Pastorale, die nicht erörtert, sondern als gegeben vorausgesetzt wird (vgl. 5–10). Neuere Ansätze, die Past differenzierter bzw. in ihrer internen Relation wahrzunehmen (W. Richards, R. I. Pervo, J. Herzer), werden in der Sache nicht aufgenommen, obwohl vor diesem Hintergrund der Ansatz von Z. einer ausführlicheren Be­gründung bedürfte (vgl. neuerdings – für Z. allerdings noch nicht greifbar – auch M. Theobald, T. Glaser und M. Engelmann).
Mit der Zugrundelegung der Corpus-Pastorale-Theorie ist die faktische Behandlung der Past wie eine einzige Schrift und die Möglichkeit der Verwendung von Belegen aus allen drei Briefen für eine Themenstellung legitimiert; ein methodisches Verfahren, das durchaus nicht unüblich ist. Zugleich erübrigt sich für Z. auch eine Erörterung des Problems der Pseudepigraphie der Past. Neuere Annäherungen an die Frage nach den Kriterien von Authentizität (und Pseudonymität) werden mit der Behauptung erledigt, »that authenticity is defended because of a certain understanding of inspiration and canonicity, that takes the debate to an ideological level« (2, Anm. 2). Solche Urteile tragen leider nicht zu einem konstruktiven Diskurs über die Problematik bei. Auch ersetzt die bloße Behauptung, eine differenziertere Sicht im Hinblick auf die Past sei »not convincing« (4), keineswegs eine substantielle Begründung.
Während der erste Hauptteil im Rahmen des bekannten Diskurses bleibt, bietet der Vergleich der Past mit dem Programm des »controlling religion« in der römischen Ideologie eine interessante Perspektive (27–36), den Z. vor allem hinsichtlich der Programmatik des 1Tim fruchtbar macht. In diesem Zusammenhang ist es begrüßenswert, dass der von M. Dibelius in die Diskussion eingebrachte und seither viel kritisierte Topos der »christlichen Bürgerlichkeit« als ein »useful paradigm« (16) wieder positiv in den Blick kommt. Einschränkend müsste man allerdings sagen: als ein vom 1Tim her begründbares Paradigma, denn es lässt sich nicht sinnvoll auf Tit oder 2Tim anwenden. Auch hier wäre es weiterführend, die Briefe in ihrem Eigenprofil differenzierter wahrzunehmen. Im Blick auf die sozialen Verhältnisse geht Z. (im Anschluss an W. Meeks u. a.) von der Voraussetzung aus, dass die »Gemeinde der Pastoralbriefe« sozial heterogen gewesen sei, wie übrigens wohl die meisten der paulinischen Gemeinden. Die Parallelen zur sozialen Realität antiker Vereine werden zu Recht hervorgehoben. Z. unterstreicht dabei die Funktion der »offices« (Ämter/Aufgaben) in den Vereinen als Parallelen zu den für die Past charakteristischen Ämtern des diakonos und des episkopos. Dass solche Funktionen nach Phil 1,1 bereits für paulinische Gemeinden vorauszusetzen sind, wird zwar notiert, in der Konsequenz aber nicht erörtert (55f.).
Das zweite Kapitel ist der Ekklesiologie im engeren Sinne gewidmet. Die Gemeinde als Haushalt Gottes ersetze das paulinische Verständnis der Gemeinde als Leib Christi (64–66); dabei gelten Röm und 1Kor als diejenigen Texte, aus denen das für Paulus repräsentative Gemeindeverständnis abgeleitet werden könne. Z. liegt vor allem daran, die zentrale Metapher des Hauses Gottes (1Tim 3,15) in ihrer Bedeutung für die Gemeinde zu erweitern. Da die Gemeinde als öffentlicher Raum dargestellt werde, partizipiere die Metapher des Hauses Gottes zugleich an der Vorstellung der antiken Polis: »The ekklēsia borrows ... the features of the polis and in a sense it may be regarded as a Christian polis built on Christian oikoi.« (61) Darüber hinaus erlange die Gemeinde aufgrund des Gottesbezuges der Metapher sogar eine kosmische Dimension (62). Zwar lassen sich für die einzelnen Aspekte Parallelen aus der antiken Literatur anführen, doch sind diese Konzepte innerhalb der Past nicht zu verifizieren, weil die Texte keine entsprechenden Hinweise liefern. Die Implikationen dieser Parallelisierung von Gemeinde mit Polis (und Kosmos) liegen auf der Hand. Öffentliche Rollen können in einem solchen Konzept nur Männer wahrnehmen, während die gesellschaftliche Norm Frauen zensiere, wenn sie die private Sphäre verlassen und in der Öffentlichkeit auftreten. Die Bestimmung der Ekklesia als öffentlicher Raum hingegen wird anschaulich anhand des Nachweises der »ideological division of spaces and roles« (87) plausibilisiert. Maßgeblich dafür seien in der griechisch-römischen Gesellschaft die Aspekte »honour and shame«, welche Z. als »a particular dimension of the PE« identifiziert (97).
Was dabei mitunter zu kurz kommt, ist eine angemessene Kontextualisierung, z. B. des Begriffes τιμή, den Z. im Hinblick auf die Witwen (1Tim 5,3) sowie die Presbyter (1Tim 5,17) primär ideell verstehen will, auch wenn der Kontext und entsprechende (von Z. nicht berücksichtigte) Belege z. B. in den dokumentarischen Papyri einen materiellen Aspekt der nicht seltenen Wendung διπλῆ τιμή nahelegen. Die Schriftzitate in 1Tim 5,18 unterstreichen den materiellen Aspekt der Entlohnung der für die Gemeinde Arbeitenden. Die Begründung, eine Besoldung durch die Gemeinde sei nicht vor dem Ende des 2. Jh.s zu belegen, trägt diese Argumentation nicht, zumal wenn der 1Tim nicht an das Ende des 1., sondern in die Mitte des 2. Jh.s gehört, was aus meiner Sicht sehr wahrscheinlich ist.
Die immer wieder diskutierte Frage nach dem Lehren von Frauen in der Gemeinde thematisiert Z. im dritten Kapitel und stellt zu Recht fest, dass auch Männer nicht uneingeschränkt das Recht zum Lehren hatten, sondern dieses konditioniert war. In diesem Zusammenhang spielt auch die Frage nach Orthodoxie und Heterodoxie eine wichtige Rolle, wobei Z. in Anlehnung an C. Markschies’ Kategorien dessen, was Gnosis ausmache (166), gegen die Identifizierung der Häresie mit der Gnosis argumentiert. Bevor man jedoch eine Liste von Charakteristika als Maßstab an konkrete Texte anlegt, sollte man sich methodisch klarmachen, dass nicht jede Ausprägung von Gnosis alle möglichen Merkmale gleichermaßen aufweist. Die Kritik von Z. an der sehr divergenten Identifikation der Häresie(n) in den Past ist berechtigt; allerdings ist die von ihr angebotene Alternative nicht überzeugender, weil sie gleichermaßen das Problem hat, alle in den Past zu findenden Aspekte innerhalb eines Konzeptes zu interpretieren. Faktisch geht Z. in der Beschreibung der Orthodoxie-Heterodoxie-Relation von Aspekten des 1Tim aus und subsumiert Aussagen der beiden anderen Briefe in dieses Konzept. Offenkundige Akzentverschiebungen innerhalb der Briefe, die sehr wahrscheinlich auch eine innere Entwicklung des Vorstellungsgefüges und eine komplexe Rezeption paulinischer Tradition voraussetzen, kommen dabei nicht zum Tragen. Gegenüber einem Verständnis der Wendung »fälschlich so genannte Gnosis« (1Tim 6,20) als einer religiösen Strömung gnostischer Ausprägung (von einem konkreten gnostischen System ist – wie Z. zu Recht bemerkt – nicht zu sprechen) sei Gnosis zu verstehen »as knowledge of philosophical and religious truth […] used and valued in antiquity in a wide range of Greek and Jewish traditions« (173). Demgegenüber werde die rechte Lehre als ἐπίγνωσις ἀληθείας (1Tim 2,4; Tit 1,1) beschrieben.
Alle Charakteristika, die in der Forschung mit der Gnosis in Verbindung gebracht wurden (der Begriff in 1Tim 6,20; Mythen und Genealogien, so nur in 1Tim 1,4; 4,7; Asketismus, 1Tim 4,3; die Funktionen von Frauen, 1Tim 2,9–15), werden von Z. als unspezifisch angesehen: »[…] reference to gnosis in itself, without any evidence for the adherence of the opponents to a (dualistic) system based on the idea of a fallen creation and redemption through special insight received via exclusive revelation by the intervention of a redeemer, without a theory of emanations or any explicit statement about the fallen of evil character of creation, is not sufficient to prove that they were indeed Gnostics« (175). Damit ist der Maßstab sehr hoch angelegt und macht zur Voraussetzung, was der Intention des Autors des 1Tim kaum gerecht wird, der gerade keine sachliche Auseinandersetzung führt, sondern versucht solche Tendenzen aus der Gemeinde auszugrenzen (1,20) und dagegen das eigene Bekenntnis hochzuhalten. Zudem wäre vorauszusetzen, der Autor sei – wie etwa später Irenäus – mit den gnostischen Systemen gut vertraut gewesen. Der Aufweis der Wahrscheinlichkeit, dass es dem 1Tim nicht um eine Abgrenzung gegen gnostische Tendenzen geht, ist m. E. nicht gelungen. Dass die Gegner innerhalb der Briefe unterschiedlich sein könnten, wird nicht in Betracht gezogen, stattdessen werden die »Jewish features« des Tit (176–178) gleichsam mit denen des 1Tim »verrechnet«, obwohl Z. zu Recht den Begriff νομοδιδάσκαλοι in 1Tim 1,7 als nicht hinreichend erachtet, um einen spezifisch jüdischen Hintergrund auszumachen. Ähnliches gilt für die asketischen Aspekte aus 1Tim 4,3. Im Ergebnis bleibt die antihäretische Auseinandersetzung insgesamt blass: »The PE very likely fight against a competing, ascetic interpretation of Paul« (178). Eine Auseinandersetzung »about essential doctrinal disagreement« (ebd.) sei nicht erkennbar. Bemerkenswert ist, dass Z. die präsentische Vorstellung von Auferstehung in 2Tim 2,18 nicht – wie es sonst gelegentlich zu finden ist – als ein Merkmal der Gnosis versteht, sondern als Ausdruck einer »overemphasised Pauline theology of baptism« (167).
Ausgesprochen informativ ist die Erörterung der Rolle von Frauen im öffentlichen Leben (Kapitel 4), wobei Z. feststellt, die Bedeutung von Frauen als »accepted actors in public and private cults« widerstreite »the ideology prescribing female invisibility and women’s relegation to the house« (336 f.). Die Restriktionen gegenüber Frauen im 1Tim deutet sie als Korrektur der faktischen Präsenz von Frauen in gemeindlichen Funktionen: Die Past »reflect a […] contrast between ideology, which confines women to the private sphere and reality, were women carry out various roles in the community« (338), wie dies bereits in den Protopaulinen dokumentiert werde. In den Past erkennt Z. Hinweise auf die Realität des Lehrens von Frauen in der Erwähnung von Mutter und Großmutter des Timotheus in 2Tim 1,5 (als Weitergabe der christlichen Lehre, 347 f.); Priska in 4,19 (349 f.); den weiblichen Diakonen in 1Tim 3,11 (350–352) sowie der Rolle der Witwen in der Gemeinschaft (353–363). Keine dieser Stellen bringt allerdings die genannten Frauen mit dem öffentlichen Lehren in Verbindung, das in 1Tim 2 abgelehnt wird.
Z. gelingt ein weitgehend umfassender Durchgang durch die für die Themenstellung relevanten Aspekte der Past, die ausgesprochen kenntnis- und materialreich präsentiert werden. Herausragend ist die Darstellung der Rolle von Frauen in der antiken Gesellschaft und in philosophischen Diskursen (Abschnitte 3.4–3.6 sowie 4), zu der Z. die Materialbasis aus der antiken Literatur zum Teil deutlich erweitert. Darüber hinaus versteht Z. es, die dem vertrauten Konsens über die Past als eines pseudonymen Corpus Pastorale entsprechenden Diskurse und Positionen der Forschung nachzuzeichnen, setzt allerdings selbst kaum neue Akzente. Es bestätigt sich auch an der vorliegenden Darstellung das Diktum F. C. Baurs, der Erweis der Unechtheit der Past sei nur vom 1Tim her zu führen – einschließlich aller inhaltlichen und literaturgeschichtlichen Implikationen. Das ekklesiologische Profil, das Z. erarbeitet, ist dementsprechend – und darin durchaus gelungen – das Profil des 1Tim, nicht der Past. Worauf es Z. vor allem an­kommt, ist das Verständnis der Gemeinde nicht nur als Haus Gottes, sondern als eine christliche Polis in kosmischer Dimension, eine Deutung, die letztlich aus den Texten nicht hinreichend be­gründet werden kann. Es zeigt sich einmal mehr, wie folgenreich es ist, die Past von einer als gegeben akzeptierten Theorie her zu interpretieren; eine Wahrnehmung des je eigenen Profils ist unter diesen Voraussetzungen nicht möglich.