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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1152–1154

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bormann, Lukas

Titel/Untertitel:

Der Brief des Paulus an die Kolosser.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. XXIX, 199 S. = Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, 10/I (neu). Geb. EUR 34,00. ISBN 978-3-374-03054-5.

Rezensent:

Peter Müller

Lukas Bormann legt in seiner Neubearbeitung des Kolosserbriefs zunächst die Rahmenbedingungen für seine Auslegung dar (1–51): Text, Verfasser und Adressaten, die Gemeinden im Lykostal (mit Hinweisen auf epigraphische und numismatische Zeugnisse), Sprache, Intertextualität, die Stellung des Briefs im Corpus Paulinum sowie Abfassungsort und -zeit (zwischen 54 und 75 in Ephesus). Eine besondere Rolle zum Verständnis des Briefes spielen nach B. die hebräische und griechische Bibel und andere Schriften des antiken Judentums, inhaltlich vor allem die Schöpfungstheologie, der Psalter und die Angelologie (vgl. 35–43).
Nach Kol 2,5 sei der Brief als Ersatz für die persönliche Präsenz des Apostels und seine Verkündigung gedacht. Der durch Haft oder Tod des Paulus verursachte Mangel an theologischer Orientierung habe zu einer Situation der Gemeinden im Lykostal geführt, auf die der Briefautor »mit einer souveränen Weiterführung der Verkündigung des ›Geheimnisses Christi‹ durch das Netzwerk des Paulus und durch die Gemeinde reagiere« (9.47). Der Briefanlass sei »eher auf einer grundsätzlichen als auf einer pragmatischen Ebene« zu suchen (46). Deshalb lasse sich kein genaues Profil der im Brief angesprochenen Gegner ermitteln (47). Andererseits reiche eine rein literarisch motivierte Briefstrategie nicht aus, um die Kommunikationssitua-tion nachzuvollziehen; die kolossische Kultgemeinschaft feiere ge­meinsam mit liturgisch repräsentierten Engeln Gottesdienst (2,18), wofür die Einhaltung asketischer Regeln notwendig sei (2,21). Die Argumentation des Briefes ziele demgegenüber darauf, »die Handlungsweisen und Überzeugungen zu definieren, die nach Ansicht des Briefautors der durch die Evangeliumsverkündigung gegründeten Gemeinde entsprechen« (50 f.).
Der Brief bestehe aus fünf Hauptteilen (1,3–23; 1,24–2,5; 2,6–3,4; 3,5–4,6; 4,7–18), die fließend miteinander verknüpft seien (59). Im ersten Hauptteil stehe der Prosahymnus 1,15–20 im Zentrum; B. hält an diesem Begriff trotz verschiedener Einwände fest (84). Die genaue Rekonstruktion der Grundform sei nicht möglich. Im Hymnus interpretierten sich die Kosmogonie des pythagoreischen Platonismus und eine biblische Denkbewegung (weisheitlich in­terpretierte Schöpfungsvorstellungen) wechselseitig (104), und zwar in Verbindung mit dem Kreuzestod Jesu (105).
Im zweiten Hauptteil (1,24–2,5) präsentiere sich der fiktive Paulus »als Teil der universalen Evangeliumsverkündigung«. Paulus sei vor allem in seiner Rolle als Apostel erkennbar. Er trete nicht als unhinterfragbare Autorität auf, sondern als jemand, der mit theologischen Argumenten überzeuge (116). Im Zentrum des Ab­schnitts stehe aber die Botschaft von dem offenbarten Geheimnis Christi.
Im dritten Hauptteil stünden »fünf Warnungen« (2,4.8.16 f.18. 21) vier »Festigungen in Christus« gegenüber (2,6 f.11–15; 3,1–4). Diese Gliederungselemente seien den Kriterien der antiken Rhetorik vorzuziehen (121). Bei den Warnungen gehe es um »das, was angesichts der Präsenz der göttlichen Fülle in Christus Geltung beanspruchen kann und was nicht« (141). Kritisiert würden die Ansprüche einer »Philosophie« und der »Weltelemente« (127–130), aus denen sich kein Orientierungswissen ableiten lasse (130). Im Hintergrund stehe eine neupythagoreisch-platonische Schöpfungslehre, gegen die sich der Brief mit einer schöpfungstheologischen Position wende. Für die schwierige Stelle 2,18 nimmt B. vor dem Hintergrund zahlreicher Texte des antiken Judentums einen gemeinschaftlichen Gottesdienst von Menschen und himmlischen Wesen an (145 f.). Die »Festigungen« (vgl. 2,5 f.) zielen auf die herausragende Rolle, die Christus für die Glaubenden spielt; besonders 3,1–4 könne als Zusammenfassung des theologischen Teils des Briefes gelten (151).
Im vierten Hauptteil (3,5–4,6) stellt B. »zehn irdische« (3,5–8) »fünf himmlischen Eigenschaften« (3,12–14) gegenüber. Der Briefautor wolle »seinen Listen eine gewisse Ordnung und Abgeschlossenheit geben« (157). In der schwierigen Stelle 3,11 stünden Skythe und Barbar »für die kulturell marginalisierten und ethnisch ausgeschlossenen Nichtgriechen des Nordens und des Südens« (167).
Die Übereinstimmungen mit Phlm im fünften Hauptteil seien nicht mit Sicherheit als literarische Abhängigkeit zu werten (191). Mit Markus als Vetter des Barnabas (4,10) deute sich ein Kompetenzstreit zwischen Paulus und Epaphras auf der einen, Barnabas und Markus auf der anderen Seite an. Da Epaphras nie ausdrücklich als Gemeindegründer bezeichnet werde, sei die Annahme der Ge­meindegründung durch Barnabas »eine sinnvolle Alternative zur gängigen Anschauung« (193).
Insgesamt handelt es sich um einen gut lesbaren Kommentar auf der Höhe der Zeit, der wichtige Auslegungsoptionen nennt und diskutiert – manche Fragen aber bewusst offen lässt (z. B. die der nach- oder nebenpaulinischen Herkunft). Dies gilt vor allem im Blick auf die Gegner, zu deren Identifizierung die Angaben im Brief zum einen zu unpräzise seien (48); zum anderen aber hebt B. hervor: »Der positive Klang des Kolosserbriefs sollte nicht durch eine konflikt- und gegnerbetonte Interpretation übertönt werden« (125).