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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

682 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hermanson, Jan

Titel/Untertitel:

The Interplay of Social Science and Personal Belief in Gordon W. Allport’s Psychology of Religion.

Verlag:

Lund: University Press 1998. 249 S. 8 = Lund Studies in Psychology of Religion 3. ISBN 91-7966-505-5.

Rezensent:

Hans-Jürgen Fraas

G. W. Allport ist ein in der religionspsychologischen Diskussion viel zitierter Autor; insofern ist es verdienstvoll, daß hier eine Monographie vorgelegt wird, die die Entwicklung der religiösen Gedankenwelt Allports und ihren Einfluß auf seine psychologische Arbeit zu erhellen sucht.

Das Darstellungsprinzip H.s verbindet in sechs Kapiteln die biographische Entwicklung in chronologischer Auflistung (es ist interessant zu sehen, wie etwa die Rolle des Faschismus in Deutschland, der zweite Weltkrieg oder die McCarthy-Ära auf die psychologische Theoriebildung einwirken) mit der speziellen Frage nach der Interdependenz von wissenschaftlicher Ar-beit und persönlichem Glauben. Diese Wechselbeziehung wird durch neuerschlossene Quellen (unveröffentlichte Vorlesungen, kirchliche Veröffentlichungen und ein Interview durch Richard Evans) in komparativer Analyse zum ersten Mal bearbeitet.

Zunächst skizziert H. den sozialen und religiösen Hintergrund der Familie und die religiöse Bindung der Mutter (seine Großmutter mütterlicherseits gehörte zu den Gründern der Freien Methodistischen Kirche in Fulton, New York). Eine spezifisch soziale Neigung und ein soziales Engagement wurzeln in eigenen charakterbedingten Minderwertigkeitsgefühlen in der Kindheit und führen zur prinzipiellen Suche nach personaler Identität bzw. zu einem Interesse für Psychologie und Sozialethik.

Während des Studiums nähert sich Allport der hochkirchlichen Richtung innerhalb der Episkopalkirche (23), für die er Aufgaben der theologischen Ausbildung bzw. der Fortbildung der Geistlichen übernimmt und als Autor und Herausgeber kirchlicher Schriften sich betätigt.

Psychologisch ist Allports Entwicklung durch drei Momente gekennzeichnet: die Auseinandersetzung mit dem während seiner Studienzeit zwischen 1890 und 1920 die Herrschaft antretenden Behaviorismus, der ihn zunächst beeinflußt, den er aber dann überwindet; seine Abgrenzung gegen Freud (den er 1920 besucht, wobei er die Erfahrung macht, von Freud wie ein Patient behandelt zu werden - die latente Auseinandersetzung mit Freud durchzieht sein gesamtes Werk); und seinen Studienaufenthalt in Deutschland (wo er neben anderen vor allem von Spranger beeinflußt wird).

Allport findet den psychologischen Rahmen für eine religiöse Erfahrung in der deutschen Psychologie (112). Unter Abwendung vom Behaviorismus gelangt er zu Begriffen wie Gestalt, Ganzheit, Struktur, Lebensformen (53). Der Einfluß des Kantianismus läßt ihn die aktive Rolle des Verstandes im Seelenleben neu einschätzen. Seit 1924, zurück in den USA, fordert er eine humanistische Psychologie, das Studium der ungeteilten, integrierten und ganzen Person (57). Im Anschluß an Spranger sieht Allport die Religion als ein höchstes Werterleben und als eine Bedingung dafür, die Einzelerfahrungen auf das Ganze des Lebenssinns zu beziehen. So ergibt sich eine enge Wechselbeziehung zwischen Religiosität und Persönlichkeit. Allports Gedanken sind mystisch orientiert (74), wobei er wiederum im Anschluß an Spranger, immanente und transzendentale Mystik unterscheidet. Häufig rezipiert in der heutigen Diskussion ist eine zweite Unterscheidung: die zwischen intrinsischer und extrinsischer Religiosität (26 ff.), der allerdings noch die theoretische Klarheit fehlt (30). Allport untersucht die Funktion der Religion in Zusammenhang mit Vorurteil und Antisemitismus (126): Wenn das Unbewußte zum Antisemitismus neigt, kann gerade das Bewußtsein des Individuums dagegenwirken, kann die Vorurteile korrigieren. So wird Allport zum Apologeten der Religion (132): Reife/intrinsische Religiosität ist eine Bedingung für geistige Gesundheit (180) und garantiert die Einheit der Person (133). Er sieht den Vorzug der christlichen Religion gegenüber anderen darin, daß sie die Intentionen des menschlichen Verstandes auszudrücken vermag.

H.s Buch ist eine verdienstvolle und erhellende Arbeit, die den persönlichen Hintergrund von Allports Werk vermittelt und dieses damit selbst tiefer verstehen läßt.

Allport steht nach dem gewonnenen Bild deutlich in einem kirchlichen Kontext; um so mehr läßt das (weitgehende) Fehlen bestimmter für eine Persönlichkeitstheorie relevanter Themen christlicher Theologie (Schuld und Vergebung, Rechtfertigung) nach einer theologischen Reflexion von Allports Religions- bzw. Christentumsverständnis fragen, aber damit wäre der rein darstellende Charakter dieses Buches gesprengt. Die Lektüre ist durch den chronologischen Aufbau erschwert (es wäre auch eine systematische Orientierung denkbar), der zwangsläufig zu starker Redundanz führt.