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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1129–1131

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Im Auftrag d. Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hrsg. v. D. Diner

Titel/Untertitel:

Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Bd. 3 He–Lu

Verlag:

Stuttgart u. a.: J. B. Metzler Verlag 2012. XVIII, 583 S. m. 3 Ktn. Geb. EUR 229,95. ISBN 978-3-476-02503-6.

Rezensent:

Michael Tilly

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Bd. 4: Ly–Po. Im Auftrag d. Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hrsg. v. D. Diner. Stuttgart u. a.: J. B. Metzler Verlag 2013. XVIII, 606 S. m. 4 Ktn. Geb. EUR 229,95. ISBN 978-3-476-02504-3.


Mit dem erfreulich rasch nacheinander erschienenen dritten und vierten Teilband der Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK) liegt nun der größere Teil dieser enzyklopädischen Darstellung der Geschichte und Kultur des neuzeitlichen Judentums in allen seinen Lebensäußerungen vor. Die insgesamt 305 Stichwörter sind wie in den bisherigen Bänden zum einen mit Lexikonartikeln verbunden, die maßgebliche Aspekte des Judentums in der Neuzeit betreffen (z. B. »Hebrew Union College«, »Hep-Hep-Krawalle«, »Hoffaktoren«, »Hochschule für Wissenschaft des Judentums«, »Institute of Jewish Affairs«, »Jew Bill«, »Klezmer«, »Leo Baeck Institute«, »Mitnaggdim«, »Neo-Orthodoxie«, »Philanthropin«). Zum anderen finden sich unter den Lemmata konzise Darstellungen epochenübergreifender Themen aus dem Bereich der jüdischen Religion, Kultur und Geschichte (z. B. »Hebräisch«, »Ikkarim«, »Jahreslauf«, »Kaddisch«, »Kadosh«, »Kantor«, »Kashrut«, »Klage«, »Kol Nidre«, »Liturgie«, »Märtyrer«, »Menora«, »Minhag«, »Mikwe«, »Nasi«, »Piyut«). Einige Artikel thematisieren den spezifisch jüdischen Beitrag zur westlichen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte (z. B. »Historiographie«, »Kunst«, »Mathematik«, »Medizin«, »Mys­tik«, »Philosophie«). Andere konzentrieren sich auf die Rezeptionsgeschichte eines zentralen Begriffs oder Motivs von der Antike bis zur Gegenwart (z. B. »Hiob«, »Holocaust«, »Israel«, »Jischuw«, »Messianismus«). Eine eingehende Erörterung des Problems der begrifflichen Abgrenzung seines Gegenstands enthält der Artikel »Lite-ratur«.
Dem Konzept der Herausgeber entsprechend stecken hinter zahlreichen (zuweilen recht hermetischen) Stichwörtern Artikel zu mehr oder weniger bedeutenden Personen oder Ereignissen, die mehr oder weniger eng mit dem jeweiligen Lemma zu assoziieren sind. So verbergen sich beispielsweise Artikel zum Leben und Werk bedeutender Männer und Frauen hinter den Einträgen »Hebräerland« (Else Lasker Schüler), »Hebräisch-orientalischer Melodienschatz« (Abraham Zvi Idelsohn), »Hiroshima« (Günther Anders), »Hochschule für Frauen« (Henriette Goldschmidt), »Ikonologie« (Aby Warburg), »Ish ha-Halakha« (Joseph Dov Soloveitchik), »Jewish Social Studies« (Salo W. Baron), »Judenfrage« (Karl Marx), »Jugendstil« (Ephraim M. Lilien), »Kabbala« (Gershom Scholem), »Ka-Tzetnik« (Yehiel Dinur), »Klassenbewusstsein« (Georg Lukács), »König Lear« (Solomon Mikhoel), »Koran« (Abraham Geiger), »Kubismus« (Jacques Lipchitz), »Kulturphilosophie« (Ernst Cassirer), »Kulturzionismus« (Ascher Ginsberg), »Lebensgeschichte« (Salomon Maimon), »LTI« (Victor Klemperer), »Magnum« (Robert Capa), »Masse« (Elias Canetti), »Matthäuspassion« (Felix Mendelssohn Bartholdy), »Mimesis« (Erich Auerbach), »Misuk« (Bertolt Brecht), »Motke« (Schalom Asch), »Musa Dagh« (Franz Werfel), »Muskeljudentum« (Max Nordau), »Melting Pot« (Isaac Zangwill), »Nationalismus« (Hans Kohn), »New Deal« (Franklin D. Roosevelt), »Nichtjüdischer Jude« (Isaac Deutscher), »Offene Gesellschaft« (Karl Popper), »Palästina-Amt« (Arthur Ruppin), »Pariavolk« (Max Weber), »Paulskirche« (Gabriel Riesser) und »Polytonalität« (Darius Milhaud).
Gleichermaßen werden die in den entsprechenden Artikeln eigentlich behandelten allgemeinen oder speziellen Themen verhüllt z. B. durch die Lemmata »Helvetik« (Judenfeindschaft in der neuzeitlichen Schweiz), »Iaşi« (Juden in Rumänien), »Jablonna« (Juden während des polnisch-sowjetischen Kriegs), »Jodensavanne« (jüdische Siedler in der Karibik), »Khurbn« (jiddischsprachige Holocaust-Literatur), »Levitown« (Juden in amerikanischen Vororten), »Maschhad« (Kryptojudentum im Iran), »Minderheitenrechte« (Pariser Friedenskonferenz im Jahre 1919), »München« (jüdische »displaced persons« in Deutschland nach 1945), »Mekka« (Konver-sion einer Reihe neuzeitlicher jüdischer Autoren zum Islam), »Me­tropolis« (Fritz Lang und die deutsche Filmindustrie in der Wei-marer Republik), »Nimrod« (Aktivitäten einer Gruppe junger Tel Aviver Künstler und Intellektueller in der ersten Hälfte des 20. Jh.s), »Nu­merus clausus« (Diskriminierung von Juden in Ungarn während der Zwischenkriegszeit) »Pakn treger« (jüdischer Buchhandel), »Pletsl« (Juden in Frankreich im 19. und 20. Jh.) und »Porzellanaffen« (Fiskalisierung der Judenpolitik Preußens). Vom Besonderen zum Allgemeinen führt der Artikel »Jewadnabe« (Be­teiligung von Polen am Holocaust), vom Allgemeinen zum Besonderen hingegen der Artikel »London« (das jüdische East End). Lebensweltliche, populärkulturelle und zuweilen randständige Einzelthemen greifen die Artikel »Hollywood«, »Humor« (hier hätten neben Mel Brooks auch David und Jerry Zucker Erwähnung finden können), »Jazz«, »Kino«, »Kosher Nostra«, »Levi’s«, »Marx Brothers«, »Panzerkreuzer Potemkin« und »Piraten« auf.
Die Lektüre der beiden lesenswerten Bände vermittelt durchweg zuverlässige Informationen und interessante Einsichten. Die einzelnen Beiträge sind gründlich und umfassend gearbeitet. An einigen Stellen macht sich negativ bemerkbar, dass manchen englischsprachigen Autoren der Zugang zu aktueller deutschsprachiger Literatur nicht leichtfällt. So vermisst man z. B. bei der exemplarischen Behandlung der rabbinischen Auslegungen von Gen 4,1–16 im luziden Artikel »Midrasch« einen Hinweis auf die einschlägige Monographie von Johanna Erzberger (Stuttgart 2010), und am Ende des Artikels »Mizwot« wird als deutsche Übersetzung von Josephus’ »Contra Apionem« nur auf die uralte Ausgabe von Heinrich Clementz und nicht auf die aktuelle Textedition und Übersetzung von Folker Siegert (Göttingen 2008) hingewiesen. Der Artikel »Judenfeindschaft« kennt nur den ersten von insgesamt drei Bänden der von Heinz Schreckenberg herausgegebenen Adversus-Judaeos-Texte (zumal in einer veralteten Auflage). Unbeschadet dieser punktuellen Kritik kann die EJGK weiterhin als ein beeindruckender Beitrag zur umfassenden Erhellung zahlreicher wichtiger Aspekte des immensen Beitrags des Judentums zur Geschichte und Kultur der Neuzeit gelten.