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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1113–1130

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Günter Stemberger

Titel/Untertitel:

Glaube im rabbinischen Judentum


»›glauben‹ (ein herrliches, aber theologiebeladenes Wort)«1

Bis heute ist es verbreitet, das Christentum als Religion des Glaubens dem Judentum als Religion des Tuns gegenüberzustellen. Wie meist bei so plakativen Kontrastierungen, trifft auch diese nur bedingt zu. Auch wenn das Judentum in all seinen Ausprägungen bis heute kein allgemein verbindliches Glaubensbekenntnis kennt, sind dennoch bestimmte religiöse Grundauffassungen weithin verbreitet und verbindlich – so etwa, um nur zentrale Punkte zu nennen, der Glaube an einen Gott, der in der Geschichte wirkt und sich um den Menschen kümmert, der Glaube an die Erwählung Israels oder die Offenbarung der Tora. Wenn schon nicht in Form eines Credo, begegnen diese und andere Glaubensüberzeugungen doch in der Liturgie, in den Gebetbüchern, immer wieder. Auch für das Judentum kann man den Satz anführen: lex orandi lex credendi. Auch wenn man für das Judentum nicht direkt von Orthodoxie und entsprechend auch nicht von Häresie sprechen kann, ist doch klar, dass verschiedene Abweichungen von weithin anerkannten Normen nicht nur in der Praxis, sondern auch im Bekenntnis im­mer wieder sanktioniert wurden, selbst wenn die Rolle des »Ketzersegens«, der Birkat ha-Minim, dabei bis heute umstritten ist.2

Im Bemühen um einen differenzierteren Zugang zu dieser Fragestellung möchte ich im Folgenden mich näher mit den aus den rabbinischen Schriften erhebbaren Vorstellungen befassen, wobei ich mich in erster Linie auf die Verwendung des Verbsʾaman im Hiphil konzentriere, eines zentralen, wenn auch nicht leicht fassbaren Begriffs.3 Vor allem für die frühen (tannaitischen) Schriften sind dabei alle Belege heranzuziehen, auch wenn sie an der Oberfläche mit dem Thema »Glauben« nur am Rande zu tun haben. Nur so werden die Bandbreite des Verbs und die gleitenden Übergänge seiner Bedeutungen bewusst, damit auch vorschnelle Festlegungen vermieden.

I Heʾemin in Mischna und Tosefta


In der Mischna ist das Verb im Hiphil selten. In Demai geht es jeweils darum, dass jemand sich auf einen anderen, bei dem er eingeladen ist, hinsichtlich des Zehnten nicht verlassen kann oder will (4,2; 7,1 תורשעמה לע ונימאמ וניא) oder als Arbeiter nicht sicher ist, ob der Hausherr, von dessen Früchten er essen darf, auch wirklich verzehntet (7,3 תיבה לעבל ןימאמ וניא). Le-haʾamin bedeutet hier, dass man jemanden für vertrauenswürdig, verlässlich, hält. Ähnlich ist es im Traktat Shabbat 23,1, wonach jemand, der etwas am Sabbat leiht und dem Entlehner nicht traut (ונימאמ וניא םא), ein Pfand nehmen und nach dem Sabbat abrechnen darf. Ebenso darf man zwar während eines Festes (an einem Halbfeiertag) keinen Schuldschein schreiben, wohl aber, wenn man dem Schuldner nicht traut (Moʿed Qatan 3,4: ונימאמ וניא םאו). So könnte man das Verb auch in Avot 2,4 verstehen: »Verlass dich nicht auf dich selbst [Traue dir selbst nicht] (ךמצעב ןימאת לא) bis zum Tag deines Todes«. Letzter Beleg der Mischna ist Eduyot 8,2: Zeugen sagen aus, dass ein (minderjähriges) Mädchen zu Aschkelon (an Nichtjuden) verpfändet wurde, es aber nicht unrein geworden ist. Man nimmt entweder beide Teile der Aussage als verlässlich an (םינימאמ) oder keinen Teil, nicht aber nur einen Teil der Aussage. Hier kann man natürlich maʾaminin auch mit »glauben, für wahr halten« wiedergeben, was aber am Sinn des Satzes nichts ändert. Es geht in allen Aussagen der Mischna um die Vertrauenswürdigkeit des anderen oder auch um die Verlässlichkeit, Standhaftigkeit seiner selbst.

Ähnlich ist der Themenkreis in der Tosefta. Ein Armer, der be­zeugt, dass der Wein, der gerade gekeltert wird, von mangelhaften Trauben stammt oder von ihm und seinen Brüdern gesammelte Nachlese ist (beides gehört den Armen und muss daher nicht verzehntet werden), dessen Aussage ist glaubwürdig (רמול ינע ןמאנ), er gilt als verlässlich, nicht aber, wenn er sagt, er habe die Trauben von einem Heiden oder Samaritaner gekauft (und sie seien deshalb nicht zehntpflichtig). Arme Samaritaner gelten diesbezüglich wie arme Juden; nur armen Nichtjuden vertraut man auf keinen Fall (Pea 4,1: רבד לכב םהל םינימאמ ןיא). In Demai 4,22 geht es um Bodenprodukte, die jemand einem ʿAm ha-ʾareṣ (einem Ungebildeten, der sich gewöhnlich um Zehnten und dergleichen nicht kümmert) zur Aufbewahrung überlässt. Sagt dieser später, er habe sie genommen und durch verzehntete Früchte oder solche aus dem Jahr vor dem Sabbatjahr ersetzt, so verlässt man sich entweder voll auf seine Aussage, d. h. dass er die Früchte genommen und später, wie gesagt, ersetzt hat, oder gar nicht (womit sie im ursprünglichen Zustand wären): »Wenn du ihm glaubst (ונימאמ), dass er genommen hat, glaube ihm (ונימאה) auch, dass er gegeben hat. Wenn du ihm aber nicht glaubst (ונימאמ), dass er gegeben hat, glaube ihm auch nicht (ונימאת לא), dass er genommen hat«. Wie in Mischna Eduyot 8,2 ist er entweder voll glaubwürdig, verlässlich, oder gar nicht; man darf nicht Teile der Aussage je anders beurteilen. Ähnlich ist es in Tosefta Demai 4,30 (es geht wieder um Verzehntung): Wer in einer Hinsicht als verdächtig gilt, dessen Aussage nimmt man auch in anderen Punkten nicht an; er ist nicht glaubwürdig. In Tosefta Demai 8,6 geht es wieder (wie in Mischna Demai 7,3) darum, dass der Arbeiter seinem Arbeitgeber hinsichtlich der Verzehntung nicht traut ( רשעמה לע ונימאמ וניא).

Laut Tosefta Sota 1,3 kann man sich auf den Mann verlassen, dass er sich richtig gegenüber seiner Frau verhält, die er zum Eifersuchtsordal nach Jerusalem bringt; denn »die Schrift hat ihn in Bezug auf sie für verlässlich erklärt« (הילע ונימאה בותכה, gestützt auf Num 5,15). Gemäß Gittin 2,13 darf ein Bote, der explizit persönlich als Überbringer eines Scheidebriefs beauftragt wurde oder auch dabei persönlich für den Ehemann von der Frau Geld übernehmen soll, den Auftrag nicht weitergeben: »Denn auf keinen anderen hat er sich verlassen (bzw. hat er vertraut) als auf ihn« (לכל ןימאה אלש ול אלא םדא– in MS Erfurt, das allein beide Möglichkeiten nennt, steht diese Erklärung zweifach).

Wenn jemand einem anderen Ware nach Maß und Gewicht verkauft, darf dieser nicht dann einen Zuschlag verlangen (da seine eigenen Maße etwas größer seien als die des Verkäufers); »denn der Glaube an die Maße (bzw. die Verlässlichkeit der Maße: תנמאה תודמה) hängt nur von den Geschöpfen ab. Doch Gott, gepriesen sei er, – sein Name ist mit ihnen verbunden« (Bava Batra 5,8. Lev 19,36 fügt an die Forderung gerechter Maße die Aussage: »Ich bin der Herr, euer Gott, der euch aus Ägypten geführt hat«). Hier wird zwar Gott indirekt durch Assoziation mit der von ihm geforderten Verlässlichkeit von Maß und Gewicht verknüpft; doch bleibt es noch immer der Mensch allein, auf den man sich verlassen können muss. Anders ist es schon in der berühmten Erzählung über R. Eliezer (Hullin 5,8), der vor dem Gericht des römischen Statthalters erklärt: »Der Richter ist für mich zuverlässig/vertrauenswürdig« ( ןייד ןמאנ ילע). Er meint damit Gott, doch der Statthalter bezieht es auf sich und spricht ihn frei, »weil du mich für dich als zuverlässig erklärt hast« (ךילע ינתנמאה).4

Noch interessanter in unserem Kontext ist Shabbat 7,25: Kein Volk hat überlegter gehandelt als die Amoriter. »Sie glaubten (vertrauten) Gott (wörtlich: dem »Ort«, dem »Allgegenwärtigen«: םוקמב ונימאה) und gingen ins Exil nach Afrika. Und Gott gab ihnen ein Land so schön wie ihres, und das Land Israel wird nach ihnen benannt«.5 Schon im vorigen Text wurde Gott als »zuverlässig« erklärt, jemand, auf den man sich verlassen kann. Hier dagegen wird erstmals Gott direkt als der genannt, dem sie geglaubt, auf dessen Wort sie sich verlassen haben. Die letzten zwei Texte der Tosefta – und irgendwie auch schon der vorausgehende über die Maße – sprechen damit von der Zuverlässigkeit nicht nur des Menschen, sondern Gottes selbst, wobei der letzte allein explizit ein Glauben an Gottes auf die Zukunft bezogene Aussage, ein Sich-Verlassen auf sein Wort besagt, was wir sonst in Mischna und Tosefta nicht finden. Natürlich ist es noch nicht ein Glaube an Gott schlechthin im theologischen Sinn, aber doch ein Vertrauen in die Verlässlichkeit seines Wortes, an das man sich dann auch hält.

II Halakhische Midraschim


In den halakhischen Midraschim kommt ʾaman Hiphil vor allem in den beiden Mekhiltot zu Exodus vor, in den anderen selten (Sifra, Sifre Dtn) oder gar nicht (Sifre Num und Sifre Zutta), eine Verteilung, die nicht unbedingt mit den biblischen Belegen zu begründen ist. Bevor wir uns den Mekhiltot zuwenden, seien kurz die an­deren Texte angeführt.

In Sifra Beḥuqqotai Pereq 1,4 (ed. Weiss 111b) zu Lev 26,12 verheißt Gott, er werde mit seinen Gerechten in der Zukunft im Garten Eden wandeln; »›ich bin euer Gott und ihr seid mein Volk‹. Wenn ihr nicht all diesen Worten glaubt/vertraut (םינימאמ ןיא םא ולילה םירבדה לכל) – ›ich bin der Herr euer Gott, der euch aus dem Land der Ägypter herausgeführt hat‹. Ich, der euch Wunder in Ägypten gewirkt hat, werde euch all diese Wunder wirken«. Dies ist der Text der ältesten Handschrift dieses Abschnitts, Vatikan 31.6 Der Erstdruck Venedig 1545 (und mit ihm die Ausgabe Weiss) liest ein wenig anders: וללה 'ירבדה לכ יב 'ינימאמ םתא ןיא םא. Die Konstruktion ist durch die wohl sekundäre Ergänzung von יב ein wenig eigenartig.7 Geht es um das Vertrauen »in mich« (bzw. mit MS New York: »Wenn ihr mir nicht glaubt«) oder um das Glauben an die Worte oder vergangenen Ereignisse? Das Dilemma spiegelt sich in den Übersetzungen. Jacob Winter übersetzt: »Wenn ihr aber betreffs all dieser Worte nicht Vertrauen zu mir habt«; Jacob Neusner dagegen: »If you do not believe in me through all these things«.8 Die wohl spätere Ergänzung des Textes verschiebt die Aussage, macht Gott zum primären Objekt; die Unsicherheit, ob man יב oder יל lesen soll, lässt dann auch zwischen »vertrauen« und »glauben« (»an mich« oder »mir«) schwanken. Darin spiegeln sich wohl auch theologische Veränderungen im Lauf der Textüberlieferung.

In Sifre Dtn 25 (ed. Finkelstein 35) reagieren die Israeliten auf den Bericht der Kundschafter (Dtn 1,25–28): »Mose, unser Meister! Hätten wir von anderen Leuten diese Worte gehört, wir hätten nicht geglaubt« (ןינימאמ ונייה אל). Mose versucht sie zu beruhigen und erinnert an all die Wunder, die Gott ihnen schon gewirkt hat: »Wenn ihr schon nicht an das Kommende glaubt, so glaubt doch an das Vergangene« (ibid., Finkelstein 35: אבהל ןינימאמ םתא יא םא רבעשל ונימאה). Nach dem Tod Aarons argwöhnen die Israeliten, Mose habe Aaron töten lassen, weil er etwas Unpassendes gesagt habe; sie glauben Mose nicht (ול ןינימאמ ויה אל), dass Gott Aaron für die kommende Welt verborgen hat, bis sie Aarons Sarg in der Luft schweben sehen (§ 305, ed. Finkelstein 326).

Wenig später (§ 307, ed. Finkelstein 344) ist zuerst von der Er­schaffung des Menschen durch Gott die Rede: »Er ist ein treuer Gott und ohne Trug« (לוע ןיאו הנומא לא: Dtn 32,4). Diese Gottes-bezeichnung erklärt der Midrasch so: »Denn er hat an die Welt-geglaubt und sie erschaffen (וארבו םלועב ןימאהש).9 ›Ohne Trug‹: Denn er schuf die Menschen nicht, dass sie böse seien, sondern, dass sie gerecht seien«. Gott hat sein Vertrauen in die Menschen gesetzt, auch wenn diese es immer wieder enttäuschen (Koh 7,29). In einem weiteren Abschnitt derselben Einheit (Finkelstein 345) kommentiert der Midrasch Dtn 32,4 vom Gericht: Wenn ein Mensch stirbt, gehen ihm seine Werke voraus und sagen, so und so habe der Mensch gehandelt. Dann wird er gefragt: »Bestätigst du diese Worte als glaubwürdig/zuverlässig« (וללה םירבדב ןימאמ תא)? Auf sein Ja hin wird er aufgefordert, zu unterschreiben (Hiob 37,7). Er erklärt das Gericht Gottes für gerecht: »Du behältst recht mit deinem Urteil« (Ps 51,6; ähnlich Midrasch Tannaim zu Dtn 32,4, ed. Hoffmann 187–8). Dieselbe Verbform im Mund des Menschen anerkennt die Zuverlässigkeit einer Aussage; von Gott ausgesagt, bedeutet sie das Grundvertrauen Gottes in seine Schöpfung, seine positive Absicht mit der Welt. Dass Gott den Ausgang der Geschichte von Anfang an weiß und damit eigentlich von der Erschaffung des Menschen abstehen müsste, ist den Rabbinen keine Alternative. Wenn Gott an seine Welt glaubt, muss diese auch zu einem guten Ende gelangen.

Kommen wir nun zu den Belegen in der Mekhilta de-R. Jisch­mael.10 In Pish.a 13 (ed. Horovitz-Rabin 46) zu Ex 12,36 »Der Herr ließ das Volk bei den Ägyptern Gunst finden« kommentiert R. Jose ha-Gelili: »Sie vertrauten ihnen (םהב ונימאה) seit den drei Tagen der Finsternis«. Wenig später (zu 12,39, Pish.a 14, 49–50) wird der Begriff ähnlich profan verwendet. Die Israeliten »sagten nicht zu Mose: Wie sollen wir in die Wüste hinausziehen? Wir haben doch keine Reiseverpflegung! Vielmehr glaubten/vertrauten sie ihm (וב ונימאה) und gingen Mose nach«. – Nicht mehr so eindeutig ist die Wiedergabe von (ו)נימאה in Bes­hallah. 4 zu 14,15 (98–99):

»Rabbi sagt: Der Glaube, mit dem sie an mich glaubten (יב ונימאהש הנמאה), verdient es, dass ich ihnen das Meer spalte … Rabbi Shemaja sagt: Der Glaube, mit dem ihr Vater Abraham glaubte (םהיבא םהרבא ןימאהש הנמאה), verdient es, dass ich ihnen das Meer spalte. Es heißt ja: ›Er glaubte dem Herrn (הוהיב ןימאהו), und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an‹ (Ex 15,6). Avtaljon sagt: Der Glaube, mit dem sie an mich glaubten (יב ונימאהש הנמאה), verdient es, dass ich ihnen das Meer spalte. Es heißt ja: ›Da glaubte das Volk‹ (םעה ןמאיו: Ex 4,31) … Andere sagen: Der Glaube, mit dem sie an mich glaubten (יב ונימאהש הנמאה), verdient es, dass ich ihnen das Meer spalte; denn sie sagten nicht zu Mose: Wie sollen wir in die Wüste hinausziehen? Wir haben doch keine Reiseverpflegung! Vielmehr glaubten sie (ונימאה) und gingen Mose nach«.11

Zwar nennt der Abschnitt auch andere Verdienste Israels, deretwegen Gott ihnen das Meer spaltete, doch zentral und dominant ist das Motiv des Glaubens/Vertrauens, das gleichsam wie ein Refrain den Text durchzieht. Wo sich das Verb ןימאה auf Gott bezieht, ist ihm das Objekt mit »an mich/mir« (יב) angeschlossen.12 Statt »der Glaube, mit dem sie an mich glaubten«, könnte man jeweils auch »das Vertrauen, mit dem sie mir vertrauten« übersetzen,13 auch wenn wohl das Element des Glaubens an den wundermächtigen Rettergott überwiegt.

Eine zweite noch viel stärkere Konzentration an Belegstellen findet sich drei Kapitel weiter, in Beshallah. 7 (114–115) zu Ex 14,31:14

»›Und sie glaubten an den Herrn und an Mose, seinen Knecht‹ (יייב ונימאיו ודבע השמבו). Wenn sie schon an Mose glaubten (ונימאה), (glaubten sie) um so mehr an den Herrn. Doch soll es dich lehren, dass jeder, der an den Hirten Israels glaubt, wie einer ist, der an den glaubt, der sprach, und die Welt war (םלועה היהו רמאש ימב ןימאמ וליאכ לארשי העורב ןימאמה לכש) … Groß ist der Glaube (הנמאה הלודג) vor dem, der sprach, und die Welt war. Denn für den Glauben, mit dem sie glaubten (ונימאהש הנמאה), ruhte auf ihnen der heilige Geist, und sie sangen ein Lied. Es heißt ja: ›Und sie glaubten an den Herrn und an Mose, seinen Knecht‹. ›Damals sang Mose mit den Israeliten dem Herrn dieses Lied‹ (Ex 15,1).

Rabbi Nehemja sagt: Woher kannst du sagen, dass jeder, der auch nur ein Gebot im Glauben (oder: in Treue הנמאב) auf sich nimmt, würdig ist, dass auf ihm die Schekhina ruht? Denn so haben wir bei unseren Vätern gefunden: Als Lohn für den Glauben, mit dem sie glaubten (הנמא רכשב ונימאהש), ruhte auf ihnen der heilige Geist, und sie sangen ein Lied. Es heißt ja: ›Und sie glaubten an den Herrn und an Mose, seinen Knecht‹. ›Damals sang Mose mit den Israeliten dem Herrn dieses Lied‹.

Ebenso findest du, dass unser Vater Abraham diese Welt und die kommende Welt nur als Lohn für den Glauben, mit dem er glaubte (הנמא רכשב ןימאהש), erbte. Es heißt ja: ›Abraham glaubte (ןימאהו) dem Herrn, (und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an)‹ (Gen 15,6).15

Und ebenso findest du, dass die Israeliten aus Ägypten nur zum Lohn für den Glauben, mit dem sie glaubten (ונימאהש הנמא רכשב), erlöst wurden. Es heißt ja: ›Da glaubte (ןמאיו) das Volk‹ usw. (Ex 4,31).16) Und ebenso heißt es: ›Die Gläubigen (םינומא) behütet der Herr‹ usw. (Ps 31,24). Er hält in Erinnerung den Glauben der Väter (תובא תנומא): ›Aaron und Hur stützten (seine Arme … und seine Hände blieben erhoben [הנומא].17 Danach sprach der Herr zu Mose: Halte dies zur Erinnerung in einer Urkunde fest)‹ (Ex 17,12.14).

›Das ist das Tor zum Herrn, nur Gerechte treten hier ein‹ (Ps 118,20). Wie heißt es von den Leuten des Glaubens (הנמא ילעב)? ›Öffnet die Tore, damit ein gerechtes Volk durch sie einzieht, das dem Herrn den Glauben bewahrt‹ (םינומא רמוש: Jes 26,2). Durch dieses Tor treten alle Leute des Glaubens ein. Ebenso heißt es: ›Wie schön ist es, dem Herrn zu danken, … am Morgen deine Huld zu verkünden und in den Nächten den Glauben an dich (ךתנומא)18 zur zehnsaitigen Laute, zur Harfe, zum Klang der Zither! Denn du hast mich durch deine Taten froh gemacht‹ usw. (Ps 92,2–5). Wer hat es uns bewirkt, dass wir zu dieser Freude gelangten? Das war nur der Lohn für den Glauben, mit dem unsere Väter in dieser Welt glaubten (הנמא רכש וניתובא ונימאהש), die völlig Nacht ist. Deshalb heißt es: ›am Morgen deine Huld zu verkünden (und in den Nächten den Glauben an dich ךתנומא)‹ (Ps 92,3). Und so sagt Joschafat zum Volk: ›Glaubt dem Herrn, eurem Gott, dann werdet ihr bestehen. Glaubt seinen Propheten, dann werdet ihr Erfolg haben‹ (וחילצתו ויאיבנב ונימאה .ונמאתו םכיהלא יייב ונימאה – 2Chr 20,20).›Herr, sind deine Augen nicht auf den Glauben (הנומאל) gerichtet?‹ usw.(Jer 5,3). ›Aber der Gerechte bleibt durch seinen Glauben (ותנומאב) am Leben‹ (Hab 2,4). ›Neu ist es an jedem Morgen; (groß ist der Glaube an dich [ךתנומא הבר])‹ (Klgl 3,23).

Und so findest du, dass die Exilierten in Zukunft nur zum Lohn für den Glauben eingesammelt werden, mit dem sie glaubten (ונימאהש הנמא רכשב). Es heißt ja: ›Komm doch mit mir, meine Braut, vom Libanon, (vom Gipfel des Glaubens)‹ (הנמא שארמ Hld 4,8).19 ›Ich traue dich mir an auf ewig; ich traue dich mir an wegen des Glaubens (הנומאב)‹ (Hos 2,21–22).

Groß ist also der Glaube (הנמאה הלודג) vor dem, der sprach, und die Welt war; denn zum Lohn für den Glauben, mit dem sie glaubten (הנמא רכשב ונימאהש), ruhte auf ihnen der heilige Geist, und sie sangen ein Lied. Es heißt ja: ›Und sie glaubten an den Herrn und an Mose, seinen Knecht‹ (יייב ונימאיו ודבע השמבו). ›Damals sang Mose mit den Israeliten dem Herrn dieses Lied‹ (Ex 15,1). Und so heißt es: ›Nun glaubten sie Gottes Worten (וירבדב ונימאיו) und sangen laut seinen Lobpreis‹ (Ps 106,12)«.20

Der lange Text, der in der rabbinischen Literatur abgesehen von kleinen Teilparallelen kein Gegenstück hat, bildet den Abschluss des Traktats und erhält damit ein eigenes Gewicht. Er fügt fast katenenhaft eine ganze Reihe von Versen aneinander, die durch die Wörter הנומא, הנמא, bzw. ןימאה miteinander verbunden sind (durch diese Stichwortassoziation ist sicher auch so mancher Vers erst im Lauf der Textüberlieferung dazu gekommen). Der Wortstamm bedeutet vor allem Festigkeit, kann von daher auch »festes Vertrauen« oder »Glaube« ausdrücken. Der Midrasch zitiert Schriftverse mit diesem Stichwort, auch wenn einmal eher das eine, dann wieder das andere gemeint ist. Um den Gesamteindruck des Textes wiederzugeben, muss man sich für eine einheitliche Übersetzung entscheiden, auch wenn sie dem jeweiligen Bibeltext nicht mehr entspricht. 21 »Vertrauen« wäre eine Möglichkeit, die fast durchgehend stimmig ist, oft auch Treue. Mit »Treue« wäre aber doch ein durchgehaltenes positives Verhalten gemeint, was aber zur תנומא תובא von Ex 17 so gar nicht passt. Es ist nicht die Treue der Väter (hier Aaron und Hur), die mit dem Sieg über die Amalekiter belohnt wird, sondern das Vertrauen, der Glaube daran, dass Gott helfen wird.

Die Entscheidung für »glauben« beruht vor allem auf der Aussage fast zu Beginn der Einheit, wonach Israel »an den glaubt, der sprach, und die Welt war«. Natürlich könnte man auch das »Vertrauen« in den Schöpfergott in den Mittelpunkt rücken; doch scheint mir hier doch anstelle von Vertrauen begründenden Er-fahrungen in der Geschichte die eher »abstrakte« Vorstellung der Schöpfung am Anfang der Welt im Vordergrund zu stehen, an die man letztlich nur »glauben« kann, wie man im abschließenden Zitat von Ps 106,12 »Gottes Worten« glaubt. Natürlich schillert die Wortwurzel im Hebräischen viel mehr als das irgendeine Übersetzung in eine andere Sprache ausdrücken kann. Es geht hier nur darum, die Dominante des Textes zu erfassen und sprachlich wiederzugeben. Endgültige Sicherheit gibt es hier natürlich nicht.

Im Traktat Amalek 5 (180) zu Ex 17,12 (unterstützt von Aaron und Hur hält Mose seine Hände zum Himmel erhoben, solange die Israeliten gegen Amalek kämpfen) heißt es: »Solange Mose seine Hände nach oben richtete, schauten die Israeliten auf ihn und glaubten an den, der Mose geboten hatte, so zu tun (ימב ןינימאמו ןכ תושעל השמ תא דקיפש), und Gott wirkte ihnen Wunder und Machttaten«.22 Dasselbe wiederholt der nächste Absatz wörtlich zu Num 21,9 (die eherne Schlange): »Wenn immer Mose es tat, schauten die Israeliten auf ihn und glaubten an den, der Mose geboten hatte, so zu tun, und Gott sandte ihnen Heilung«. Im ersten Fall liegt der Gedanke an das Glauben/Vertrauen der Israeliten durch die Wendung im Vers nahe, dass die Israeliten siegreich blieben, solange Moses Hände erhoben/fest blieben (הנומא וידי); in Num 21 dagegen gibt es keine textliche Stütze.23 Doch sieht man klar eine Parallele zwischen beiden Texten: Weder die erhobenen Hände Moses noch die aufgerichtete eherne Schlange bewirken Sieg oder Heilung, sondern allein der Glaube an bzw. das Vertrauen in den rettenden Gott.24

Die Mekhilta de-R. Simeon ben Jochai bietet außer den schon angeführten Parallelen zur Mekhilta de-R. Jischmael nur einen weiteren Beleg. Zu Ex 12,12 »Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der Herr« (ed. Epstein-Melamed 15), heißt es: »Ich, der das Geschlecht der Flut bestrafte, die Leute des Geschlechts der Zerstreuung und die Leute von Sodom, ich werde in Zukunft Gog und Magog bestrafen und ihre Scharen. Und wenn ihr nicht an das Kommende glaubt, so glaubt doch an das Vergangene (bzw. wegen des Vergangenen)« ( רבעשל ונימאה איבהל םינימאמ ןיא םאו).25

Kein anderer Text der frühen rabbinischen Literatur enthält eine solche Konzentration, ja Überhöhung des Themas des Glaubens bzw. Vertrauens in Gott wie die beiden Textcluster in Beshallah. 4 und 7, in denen der erste das Verdienst des Glaubens betont, das den Auszug aus Ägypten und den Durchzug durch das Schilfmeer ermöglichte, und der zweite Text gleichsam ein Hoheslied auf den Glauben anstimmt. Ist das allein dem zentralen Motiv des Exodus geschuldet, der Erwählung und Errettung Israels, bevor dieses am Sinai die Tora annahm und durch den Tora-Gehorsam Verdienste erwerben konnte?

Für die Mekhilta ist das jedenfalls ein wichtiges Thema, wie Pish.a 5 zu Ex 12,6 deutlich macht: »Sie konnten noch auf keine Gebote verweisen, mit denen sie sich befasst hätten, um erlöst zu werden. Es heißt ja: ›Deine Brüste wurden fest; dein Haar wurde dicht. Doch du warst nackt und bloß‹ (Ez 16,7), nackt an Geboten. Und es gab euch der Heilige zwei Gebote, das Gebot von Pesach und das Gebot der Beschneidung, damit ihr euch damit befasst, auf dass ihr erlöst werdet; denn man empfängt Lohn nur für das Tun«. Dieser Verweis auf das Erfüllen zweier Gebote vor dem Auszug – das Schlachten der Pesachlämmer und die Beschneidung aller, die am Mahl teilnehmen wollten – scheint aber doch nicht ganz zufriedenzustellen, weswegen dann derselbe Midrasch viel breiter das Motiv des Glaubens in den Mittelpunkt stellt. Es ist dann aber doch erstaunlich, dass dies in der Pesach-Haggada (von der wir jedoch nur sehr späte ausformulierte Texte kennen) explizit nicht vorkommt und diese, in der doch so viele rabbinische Texte anzitiert werden, diese Abschnitte der Mekhilta nicht erwähnt.

III Palästinischer Talmud und Midraschim aus seiner Zeit


Im Großteil der Vorkommen vonʾaman Hiphil im Palästinischen Talmud ist einfach vom Glauben an eine menschliche Aussage die Rede, dass man sich auf jemanden verlässt, ihm vertraut oder nicht, besonders in Fragen von Zehntem, Reinheit usw. oder auch in Fragen von Ehe und Scheidung, also weithin derselbe Themenkreis wie in Mischna und Tosefta. In yBerakhot 1,7, 3b vergleichen die Rabbinen den Unterschied zwischen Dtn 13,2, wo ein Prophet mit Zeichen auftritt, und Dtn 17,11, wonach man das Urteil des Gerichts aus Priestern und Richtern annehmen muss, ohne dass diese das Urteil begründen müssen, mit einem König, der Gesandte schickt und beim einen anmerkt: »Wenn er euch nicht mein Siegel zeigt, glaubt ihm nicht« ( ול ונימאת לא), beim anderen aber: »Auch wenn er euch nicht mein Siegel zeigt, glaubt ihm (והונימאה) auch ohne Siegel« (ebenso ySanhedrin 11,6, 30b; Hld Rabba 1,2.7).

Ähnlich wie in Tosefta Demai 4,22, dass man jemandem ganz oder gar nicht glaubt, beurteilt R. Chijja die Aussage eines Mannes, dass jemand sein Sohn und Priester ist: »Wenn du ihm glaubst (ונימאמ םא), dass er sein Sohn ist, glaube ihm auch (ונימאה), dass er Priester ist«; wenn du ihm aber nicht glaubst, dass er sein Sohn ist, glaube ihm auch nicht, dass er Priester ist« (yKetubbot 2,8, 26d). »Vertraue einem Sklaven nicht (דבעב ןימאת לא) bis zur 16. Generation« (yHorayot 3,8, 48b). Das schon von Tosefta Shabbat 7,25 be­kannte Motiv, dass manche frühere Bewohner Kanaans Gott glaubten/ihm vertrauten und freiwillig nach Afrika wegzogen, findet sich auch in ySheviʿit 6,1,36c (hier sind es die Girgaschiter). In aramäischen Kontexten sind es jeweils Menschen, die einem eine Aussage (nicht) glauben (so ySheviʿit 9, 38d: Simeon ben Jochai; ySanhedrin 6,6, 23c: Simeon ben Schetach; 10,2, 28c: Hiskija wird Jesaja nicht glauben). In religiösen Kontexten kommt das Stichwort im Palästinischen Talmud fast nicht vor.

In Genesis Rabba gibt es nur wenige Belege. In 42,7 (Theodor-Albeck 413) heißt es im Namen des R. Isaak: »Als Abraham in den Feuerofen hinabstieg und errettet wurde, glaubten einige der Weltvölker und andere glaubten nicht (ןינימאמש םלועה תומואמ שי םינימאמ ןניאש םלועה תומואמ שיו). Als der König von Sodom in die Pechgrube hinabstieg und errettet wurde, begannen (auch diese) nachträglich an Abraham zu glauben« (םהרבאב םינימאמ וליחתה עירפמל). »Glauben« wird hier zuerst absolut, ohne Objekt, verwendet. Hier ist gewiss nicht von Vertrauen die Rede, sondern deutlich der Glaube an Abrahams Errettung durch Gott ausgesagt.

Gen 45,26 heißt es, dass Jakob seinen Söhnen nicht glaubte, dass Josef noch lebe und über Ägypten herrsche. Dazu lehrt R. Chijja: »So geschieht es einem Lügner. Auch wenn er die Wahrheit sagt, glaubt man ihm nicht« (ול ןינימאמ ןיא). Laut R. Levi im Namen des R.Jochanan bar Schaula hat Josef das vorhergesehen: »wenn er euch glaubt, ist es gut«, wenn nicht, sollen sie ihm sagen, vor ihrer Trennung haben er mit seinem Vater den Abschnitt von der Kuh gelesen, der das Genick gebrochen wird (הפורע הלגע) (Dtn 21,1–9). Deshalb traut Jakob der Aussage, als er die Wagen sah (Gen 45,27: תולגעה תא אריו) (Gen Rabba 94,3, Theodor-Albeck 1173–4; vgl. Avot de-R. Natan A 30, 45b).

Hier geht es klar um das Glauben menschlicher Aussagen. Ebenso ist es in Klgl Rabba 2,13: »Wenn dir jemand sagt: Es gibt Weisheit unter den Völkern, glaube es (ןמאה) … es gibt Tora unter den Völkern, glaube es nicht (ןמאת לא)« (begründet mit Klgl 2,9 »unter den Völkern ist keine Weisung [הרות ןיא םיוגב])« (vgl. Dtn Rabba, ed. Lieberman 117). Auch in Lev Rabba besagt ןימאה bzw. ןימאמ, dass man Menschen (nicht) glaubt (so 28,2, ed. Margulies 403: Evil Merodach glaubt den Leuten nicht, die ihn zum König machen wollen, bis er Nebukadnezzars Leiche sieht).

Hier ist aber auch vom Menschen die Rede, der Gottes Verheißung nicht glaubt, so etwa Jakob im Traum von der Leiter: Er glaubt Gott nicht, dass bei ihm, anders als bei den Weltvölkern, dem Aufstieg kein Abstieg folgt. »Das ist unser Vater Jakob, der nicht glaubte (ןימאה אל) und nicht aufstieg. Zu ihm sagte der Heilige, gepriesen sei er: Wenn du geglaubt hättest (תנמאה וליא) und aufgestiegen wärest, so würdest du auf ewig nicht mehr absteigen. Da du nun aber nicht geglaubt hast (תנמאה אלש ושכע לבא) und nicht aufgestiegen bist«, werden deine Nachkommen von diesen vier Reichen verknechtet werden (Lev Rabba 29,2, ed. Margulies 670; vgl. Pesiqta de-Rav Kahana 23,2, ed. Mandelbaum 335; Parallelen auch im Tanchuma). R. Meir zitiert dazu jeweils Ps 78,32: »Doch sie sündigten trotz allem weiter und vertrauten nicht seinen Wundern« (ויתואלפנב ונימאה אלו). Im Vordergrund steht hier klar das Vertrauen in den wunderwirkenden, Israel durch die Geschichte führenden Gott.

Dieses Glauben bzw. Vertrauen in den Gott der Geschichte findet in der Pesiqta de-Rav Kahana seine Zuspitzung in Aussagen über das Ende der Zeiten. So heißt es vom Messias, dass er am Ende erscheint, sich aber sofort wieder für 45 Tage verbirgt. In dieser Wartezeit gehen die Israeliten in die Wüste. »Wer an ihn glaubt (ימ וב ןימאמ אוהש), wird Salzmelde und Ginsterwurzeln essen, wie es heißt: ›Sie pflücken Salzmelde im Gesträuch, und Ginsterwurzeln sind ihr Brot‹ (Hiob 30,4). Wer aber nicht an ihn glaubt (וניאש ימו וב ןימאמ), geht zu den Völkern der Welt, und diese töten ihn« (5,8, ed. Mandelbaum 93; Parallele Rut Rabba 5,6: »Wer an ihn glaubt, wartet und wird leben. Und wer nicht an ihn glaubt, geht zu den Völkern der Welt, und sie töten ihn«. Ebenso Hld Rabba 2,9.3).

Allgemeiner ist die Aussage von Pesiqta de-Rav Kahana 16,8 (273–6) in einem Kommentar zu Hiob 21,34: »Wollt ihr mich mit Nichtigem trösten? Eure Antworten bleiben Betrug«. Es folgen Aussagen von Propheten, beginnend mit Hosea über Joel, Amos usw. bis zu Maleachi. Alle enthalten Trostworte, aber auch negative Aussagen. Refrainhaft kommt darauf jeweils die Frage: »Welcher (Aussage) sollen wir glauben (ןימאנ וזיאל), der ersten oder der zweiten?« Erst Jes 40,1–2 »Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott …« behebt jeden Zweifel (Parallele in Pesiqta Rabbati 29).

IV Das endzeitliche Jerusalem in Pesiqta de-Rav Kahana 18,5 und Bavli Bava Batra 75a


Das Thema des Glaubens an die endzeitlichen Verheißungen findet seine Zuspitzung in Pesiqta de-Rav Kahana 18,5 (ed. Mandelbaum 296–299), einem Text mit sehr enger Parallele in Bavli Bava Batra 75a.26

Im Rahmen einer Auslegung zu Jes 54,12 »Aus Rubinen (דוכדכ) mache ich deine Zinnen, aus Beryll deine Tore« bietet man verschiedene Erklärungen, was genau kadkod bedeutet. R. Jehoschua ben Levi, der mit Elija auf dem Karmel steht, bittet diesen, ihm diese Kadkod-Steine zu zeigen. Dazu bewirkt ihm Elija ein Wunder. Ein Schiff, voll mit Heiden, darunter allein ein jüdischer Knabe, gerät auf dem Meer in einen Sturm. Da erscheint dem Knaben Elija und beauftragt ihn, zu Jehoschua ben Levi zu gehen und ihm die Kadkod-Steine zu zeigen. Dann werde er das Schiff um seinetwillen retten. Der Knabe erwidert, R. Jehoschua sei ein großer Mann und werde ihm nicht glauben ( יתי ןמיהמ אוה תילו). Doch Elija beruhigt ihn: »Er ist bescheiden, er wird dir glauben« (אוה ךתי ןמיהמ). Doch dürfe er die Steine ihm nicht vor anderen Leuten zeigen, sondern in einer Höhle drei Meilen von Lydda entfernt. Der Junge stimmt zu und das Schiff kommt wunderbar heil an Land. In seiner Bescheidenheit folgt R. Jehoschua dem Knaben, ohne ihn zu fragen. Sobald er die Steine in der Höhle sieht, ist er von ihrem Glanz geblendet, lässt die Steine zu Boden fallen und sie sind verschwunden.27

Es folgt eine Episode mit R. Jochanan, der in der großen Synagoge von Sepphoris Jes 54,12 auslegt: »Der Heilige, gepriesen sei er, wird das Osttor des Tempels und seine beiden Fenster aus einer einzigen Perle machen.« Ein Häretiker, ein Seefahrer, machte sich darüber lustig: »Wir finden nicht einmal (eine Perle) wie ein Taubenei, und der sitzt da und sagt so etwas!« Als später sein Schiff unterging und er in die Tiefen des Abgrunds versank, sah er dort die Dienstengel das Osttor des Tempels aus einer einzigen Perle gestalten. Durch ein Wunder gerettet, traf er genau ein Jahr später R. Jochanan wieder bei derselben Auslegung des Schriftverses an:

»Er sagte zu ihm: Alter Mann, alter Mann! Alles, was du erzählen willst, erzähle, was du preisen willst, preise! Denn hätten es nicht meine Augen gesehen, hätte ich nicht geglaubt (ןמיהמ אניוה אל). Dieser entgegnete ihm: Hätten es nicht deine Augen gesehen, hättest du nicht den Worten geglaubt (ןמיהמ התיוה אל), die ich gemäß der Tora gesagt habe! Er erhob seine Augen und sah ihn an, und sofort wurde dieser ein Knochenhaufen.«

Direkt anschließend folgt die Erzählung von einem Frommen. Während er am Strand von Haifa spaziert, überlegt er bei sich (ובלב רהריה), ob es denn möglich sei, dass Gott das Osttor des Tempels aus einer einzigen Perle schaffen kann. Sofort ertönt eine Himmelsstimme:

»Wärest du nicht vollkommen fromm, hätte schon die Eigenschaft des (göttlichen) Gerichts diesen Mann (d. h. dich) getroffen. Die ganze Welt habe ich in sechs Tagen erschaffen, wie es heißt: ›In sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht‹ (Ex 31,17). Da soll es unmöglich sein, das Osttor des Tempels und seine beiden Fenster aus einem einzigen Stein, einer Perle, zu machen? Sofort betete (der Fromme) um sein Leben und sagte vor ihm: Herr der Welten, ich habe doch nur in meinem Herzen überlegt und nichts mit meinen Lippen geäußert!

Sofort geschah ihm ein Wunder und es spaltete sich vor ihm das Meer. Und er sah die Dienstengel darin aushauen, gestalten und formen. Er fragte sie: Was ist das? Sie antworteten ihm: Das ist das Osttor des Tempels und seine beiden Fenster aus einem einzigen Stein, einer Perle.«

Der dreiteilige Text präsentiert drei Weisen des Umgangs mit dem Glauben. Im ersten Teil bittet R. Jehoschua ben Levi Elija, ihm die Kadkod-Steine zu zeigen. Elija erfüllt ihm den Wunsch; ein Knabe bringt ihm durch ein Wunder die Steine. Er darf sie sehen, doch im selben Augenblick verschwinden sie auch wieder. R. Jehoschua wird sein Wunsch zu sehen erfüllt, weil er gutgläubig dem Knaben folgt, ohne zu wissen, was dieser von ihm will. Sehen zu wollen ist demnach für sich allein kein Vergehen, sofern man keine Zweifel an der Wahrheit des Schriftverses hegt und seine Fragen an die rechte Adresse richtet; aber gerade in der Erfüllung des Wunsches erlebt der Rabbi, wie vergänglich und kaum auszuhalten das Sehen ist.

Anders verhält es sich bei dem Seefahrer im zweiten Teil, der sich über den Rabbi und dessen Schriftauslegung lustig macht, dann aber wunderbar erfährt, wie richtig die Auslegung des Rabbi ist und diesem Rabbi nun herablassend erklärt, er könne ruhig weiter auslegen. Nachdem er gesehen hat, glaubt er – das zieht als Strafe den Tod nach sich. Nicht das Sehenwollen an sich ist strafbar, sondern der Zweifel, noch mehr der Spott über die Schriftauslegung des Rabbi. Nicht den Schriftvers selbst, sondern dessen Auslegung durch den Rabbi findet der Häretiker lächerlich. Sein Irrtum wird durch ein Wunder aufgeklärt, doch sein Beharren, dass er nur glaube, weil er gesehen habe, ist tödlich. Der Zuhörer muss nicht nur an die Schrift glauben, sondern auch, vielleicht noch mehr, an ihre rabbinische Auslegung: Die Autorität des Rabbi, der die Schrift auslegt, wird hier zur obersten Instanz.

Im dritten Teil überlegt ein Frommer bei sich wiederum nur die Möglichkeit der Auslegung von Jes 54,12, nicht die des Verses selbst, und schon das ist lebensgefährlich. Nur seine vollkommene Frömmigkeit rettet ihn und er darf, wieder durch ein Wunder, die Engel am Meeresboden sehen und die Richtigkeit der Auslegung erfahren. Nicht laut ausgesprochener Zweifel an der Berechtigung einer rabbinischen Auslegung ist das Höchste, das auch einem Frommen zugestanden wird. Ein Glauben ohne Sehen fällt auch den Frömmsten schwer, 28 doch bedingungsloser Glaube ist das angestrebte Ziel.

Im Babylonischen Talmud geht dem eschatologischen Teil, in dem sich auch die Teilparallele zum eben angeführten Midrasch befindet, ein Teil voran, der im Rahmen von fabelhaften Seereisen und Wüstenwanderungen von der Zeit der Schöpfung und den Anfängen Israels handelt. In diesem Teil finden wir auch eine profane Parallele zur Aussage des Midrasch über Sehen und Glauben. Rabba bar bar Chana behauptet, einen Frosch gesehen zu haben, groß wie die Festung von Hagronja; eine Schlange fraß ihn und diese wiederum fraß ein Rabe, der sich dann auf einem Baum niederließ. Wie stark muss da erst der Baum gewesen sein! Dazu bemerkt R. Pappa bar Samuel: »Hätte ich es nicht gesehen, hätte ich es nicht geglaubt« (Bava Batra 73b: היתינמיה אל היתיזחד ואל יא). Dem entspricht im eschatologischen Teil (75a) die Aussage des Jüngers von R. Jochanan, der sich über dessen Predigt belustigt, dass die Tore des endzeitlichen Jerusalem dreißig zu dreißig Ellen messen und aus einem einzigen Edelstein gehauen sind. Wie der Häretiker in der Parallele des Midrasch gerät er in einen Seesturm und sieht auf dem Meeresboden die Engel, die tatsächlich so große Steine für das himmlische Jerusalem zuschneiden. Wieder bei R. Jochanan, er­klärt er diesem:

»Lege aus, Rabbi; dir geziemt es auszulegen. Wie du gesagt hast, habe ich gesehen. Dieser antwortete ihm: Bösewicht! Hättest du nicht gesehen, hättest du nicht geglaubt (תנמאה אל תיאר [אל] אלמלא)! Du bist einer, der über die Worte der Weisen spottet. Er richtete seine Augen auf ihn und dieser wurde zu einem Knochenhaufen.«

Im Vergleich zum Midrasch ist das Thema des Glaubens im Talmud viel weniger betont; die Missachtung der Worte der Gelehrten ist die eigentliche Sünde und wird deutlich hervorgehoben. Dazu passt, dass nun nicht mehr ein bloßer Seemann, noch dazu ein Häretiker, der Predigt des Rabbi nicht glaubt, sondern sein eigener Jünger. Zweifel und Unglaube in den eigenen Reihen ist das Problem geworden. Die Berufung auf Wunder und Visionen darf nie als Kontrollinstanz gegenüber dem Rabbi missbraucht werden. Zumindest in gewissen Bereichen der Schriftauslegung hat man einfach an das Wort des Rabbi zu glauben. 29

Der soeben besprochene Erzählcluster ist das Paradebeispiel für die Forderung eines nicht durch Sehen abgesicherten Glaubens; doch steht er in der rabbinischen Literatur durchaus nicht allein. Das Thema spielt auch in Hld Rabba 1,2.3 zu Hld 1,2 eine Rolle. Im Anschluss an Ex 19,9 (»Ich werde zu dir in einer dichten Wolke kommen; das Volk soll hören, wenn ich mit dir rede, damit sie auch an dich immer glauben«: םלועל ונימאי ךב םגו) heißt es:

»R. Pinchas im Namen des R. Levi: Es war vor dem Heiligen, gepriesen sei er, offenbar, dass (die Israeliten) seine Herrlichkeit gegen einen anderen austauschen würden. Denn es heißt: ›Ihre Herrlichkeit tauschen sie ein (gegen das Bild eines Stieres, der Gras frisst)‹ (Ps 106,30). Sie sollten nicht sagen können: Hätte er uns seine Herrlichkeit und seine Größe sehen lassen, hätten wir ihm geglaubt (ול םינימאמ ונייה). Nun aber, da er uns seine Herrlichkeit und seine Größe nicht hat sehen lassen, glauben wir ihm nicht«(ול םינימאמ ונא ןיא).

Die Verbindung ist nicht ganz klar. Gilt schon das Sehen der Wolke, aus der die Israeliten Gott mit Mose sprechen hören, als Sehen, das den Glauben begründet? Den Israeliten reicht es offenbar nicht und so kommt es zur Sünde des Goldenen Kalbs, in dem Gott sichtbar werden soll.30

Eine zweite Stelle in Hld Rabba 4,8.2 betont ebenfalls die Verbindung von Glauben und Sehen. Ausgangspunkt ist Hld 4,8: »Komm doch mit mir, meine Braut … vom Gipfel des Amana« bzw. »des Glaubens«, wie der Midrasch הנמא שארמ versteht. Die Völker werden Israel dem Messias als Geschenk bringen (gestützt auf Ps 96,7) als Lohn für den Glauben Abrahams (Gen 15,6), nach anderer Meinung wegen des Glaubens der Israeliten beim Durchzug durch das Meer (Ex 14,31). Dagegen wendet R. Chelbo im Namen des R. Jochanan ein:

»Er (Mose) führte sie doch noch, und da sollten sie nicht glauben? Gibt es einen Menschen, der sieht und nicht glaubt (ןמיהמ אלו ימחד שנ רב תיא)? Vielmehr war es durch das Verdienst des Glaubens, mit dem die Israeliten in Ägypten glaubten. Denn es heißt: ›Und das Volk glaubte‹ (םעה ןמאיו: Ex 4,31).«

Echter Glaube ist demnach auch hier nur möglich, solange er nicht auf Sehen beruht.

V Spätere Texte


In diesem Abschnitt seien nur noch in Auswahl einige Texte aus der späteren rabbinischen Tradition gebracht, da sich Themen und Motive weithin wiederholen und kaum noch Texte von der Präg­nanz des Abschnitts aus der Pesiqta de-Rav Kahana zu finden sind.

Das schon in der Mekhilta breit belegte Motiv, dass Gott die Israeliten aus Ägypten herausführte, ihnen das Meer spaltete usw., weil Abraham Gott glaubte bzw. die Israeliten selbst ihm glaubten, findet sich später in der Aussage zusammengefasst, die Israeliten seien »Glaubende, Kinder von Glaubenden« (םינימאמ ינב םינימאמ) – so Midrasch Tanchuma Shemot 23 und Metsora 4, ausführlich Talmud Shabbat 97a:

»Es sagte Resh Laqish: Wer aufrechte Leute verdächtigt, wird in seinem Körper geschlagen. Denn es steht geschrieben: ›(Mose sagte:) Sie werden mir nicht glauben und nicht auf mich hören‹ (Ex 4,1). Doch es war vor dem Heiligen, gepriesen sei er, offenbar, dass sie glauben würden. Denn es steht geschrieben: ›Da glaubte das Volk‹ (Ex 4,31). (Gott) sagte zu ihm: Sie sind Glaubende, Kinder von Glaubenden (ןינימאמ ינב םינימאמ), du aber wirst am Ende nicht glauben (ןימאהל ךפוס ןיא). Sie sind Glaubende; denn es steht geschrieben: ›Da glaubte das Volk‹. Und Kinder von Glaubenden; denn es steht geschrieben: ›Abraham glaubte dem Herrn, und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an‹ (Gen 15,6). Du aber wirst am Ende nicht glauben; denn es steht geschrieben: ›Weil ihr mir nicht geglaubt habt‹ (Num 20,12). Und woher (wissen wir), dass er in seinem Körper geschlagen wurde? Denn es steht geschrieben: ›Weiter sagte der Herr zu ihm: Leg deine Hand in deinen Gewandbausch! (Er legte seine Hand hinein. Als er sie herauszog, war seine Hand von Aussatz weiß wie Schnee)‹ (Ex 4,6).«

Glauben im Sinn von Vertrauen kommt in den Texten natürlich immer wieder. So heißt es etwa im Tanchuma Shelah. 5, dass die Israeliten Gott nicht glaubten (ונימאה אלו), der ihnen ein schönes und weites Land verhieß, und zuerst Kundschafter aussandten. Zur Strafe durften sie das Land nicht sehen, sondern erst ihre Kinder bekamen es. An diesen negativen Ausgang mit den Kundschaftern erinnerten sich die Boten, die Mose aussandte, um das Land Jaser auszukundschaften: »Wir tun nicht so, sondern glauben dem Heiligen, gepriesen sei er (ה׳בקהב ןימאנ), und führen Krieg. Und so tö-teten sie die Amoriter, die dort wohnten« (Num 21,32: Tanchuma H.uqqat 24; vgl. Dtn Rabba, ed. Lieberman 31). Der Schrifttext spricht ja gleich nach der Aussendung der Boten von der Vertreibung der Amoriter, ohne das Ergebnis der Kundschafter abzu-warten.

In diesem Sinn können wir auch Tanchuma Lekh lekha 5 zitieren, auch wenn es hier nicht so klar ist. Als Sara in den Palast des Pharao gebracht wurde (Gen 12,15), betete sie: »Ich wusste von nichts. Aber als (Abraham) mir sagte, dass du ihm gesagt hast ›Zieh weg‹ (12,1), da glaubte ich deinen Worten (ךירבדל יתנמאה) … Handle um deines großen Namens willen und wegen unseres Vertrauens auf deine Worte (ךירבדב ונינוחטב).« Sara weiß vom Auftrag Gottes wegzuziehen nur aus dem Mund Abrahams, nimmt es aber als Gottes Worte an und glaubt, vertraut ihnen, wie das in der Fortsetzung (»unser Vertrauen«) ganz explizit gemacht wird. Anders ist es in Tanchuma Re’e 1:

»Die Sünder Israels sagen, dass die Propheten und die Schriften nicht Tora sind. Und so glauben wir nicht an sie (םהב םינימאמ ונא ןיאו). Denn es heißt: ›Wir haben nicht auf die Stimme des Herrn, unseres Gottes, gehört, gemäß seiner Tora zu handeln (ותרותב תכלל), die er uns durch seine Diener, die Propheten, gegeben hat‹ (Dan 9,10). Die Propheten und Schriften werden Tora genannt. Daher heißt es: ›Mein Volk, vernimm meine Weisung (יתרות)‹ (Ps 78,1)«.

Dass man die Schriften in ihrem gesamten Umfang als göttliche Tora annimmt, ist eindeutig Sache des Glaubens im engen Sinn. Ebenso ist es in Tanchuma Shelah. 5: Die Israeliten bitten Mose, Kundschafter vorauszuschicken (Dtn 1,22); »denn sie glaubten nicht an die Tora (הרותב ונימאה אלש) … und so sagt David: ›Sie glaubten seinen Worten nicht‹ (וירבדב ונימאה אל: Ps 106,24). Und ›sie weigerten sich, seiner Tora zu folgen‹ (תכלל ונאמ ותרתבו) (Ps 78,10).« Dass sie sich weigern (ונאמ), wird im Wortspiel als »nicht glauben« (ונימאה אל) verstanden.

Zuletzt sei noch mit Midrasch Psalmen 31,8 (ed. Buber 120b) zu Ps 31,24 »Die Getreuen/Gläubigen (םינומא) hütet der Herr«31 ein sehr später Text zitiert:

»Das sind die Israeliten, die sagen: ›Gepriesen sei er, der die Toten belebt‹. Und die gläubig sind (הנומאב), antworten: Amen. Die mit all ihrer Kraft an den Heiligen, gepriesen sei er, glauben (ה'בקהב ןחוכ לכב םינימאמש), der die Toten belebt, auch wenn die Belebung der Toten noch nicht gekommen ist; die sagen: ›Gepriesen sei er, der Israel erlöst‹, obwohl sie noch nicht erlöst wurden; die sagen ›Gepriesen sei er, der Jerusalem erbaut‹, obwohl es noch nicht erbaut wurde. Es sagt der Heilige, gepriesen sei er: Die Israeliten, die nur für eine kurze Zeit erlöst und dann wieder verknechtet wurden, sie glauben an mich (יב םינימאמ םהו), dass ich sie erlösen werde: ›Die Getreuen/Gläubigen hütet der Herr.‹«32

Es sagte R. Acha bar Ada: ›Dann werdet ihr den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem Frevler‹ (Mal 3,18) – zwischen dem, der glaubt, und dem, der nicht glaubt (ןימאמ ןיאש ימל ןימאמה ןיב).«

Die Benediktionen des Achtzehngebets (Berakhot 8, 7 und 14) sind hier klar als Glaubensbekenntnis verstanden, auch wenn natürlich das Motiv des Vertrauens in Gott, der seine Zusagen in Zukunft verwirklichen wird, immer mitschwingt.33

VI Zum Schluss


Die Übersicht über die Verwendung der Wortwurzel ןמא in der rabbinischen Literatur hat gezeigt, dass die damit ausgedrückten Verhaltensweisen für die Rabbinen ein durchaus wichtiges Thema sind. Die Bandbreite der Begrifflichkeit reicht weit über das Annehmen der Aussage eines anderen hinein in den religiösen Bereich, umfasst nicht nur das Vertrauen in Gottes Treue, sondern auch abstrakter den Glauben an seine Verheißungen, an sein Wort, auch wenn diese beiden Grundakzente meist nicht voneinander zu trennen sind, obwohl meist einer davon dominiert. Manche Motive kehren in zahlreichen Texten wieder, doch ragen drei Texte durch ihre konzentrierte Besprechung der Thematik besonders heraus. Dies sind auf der einen Seite zwei Texte der Mekhilta, die viele für das Thema relevante biblische Aussagen bündeln und betonen, wie sehr die Errettung aus Ägypten dem Glauben Abrahams und der Israeliten zu verdanken war, als Israel sich noch auf keinerlei Erfüllung von Geboten berufen konnte. Auf der anderen Seite ist dies mit der Pesiqta de-Rav Kahana ein früher Predigtmidrasch, der den Glauben im Gegensatz zum Sehen, bezogen auf biblische Aussagen zur Endzeit, thematisiert und den bedingungslosen Glauben an prophetische Aussagen fordert. Der Babylonische Talmud (Bava Batra 73a–75b) übersteigert dies noch, indem explizit der Glaube an die Auslegung des biblischen Textes durch den Rabbi gefordert wird. Mit der Mekhilta sind zwei der drei großen Texte zum Thema ziemlich früh zu datieren, wenn auch für ihre Zeit noch relativ isoliert. Doch im Lauf der Zeit gewinnt die Thematik des Glaubens, wie das Pesiqta und Talmud zeigen, ein zusätzliches Profil. Dazu gehört sicher auch, wenn spätere Texte die Israeliten als »Glaubende, Kinder von Glaubenden« preisen.

Man könnte versucht sein, einen weiteren Text aus dem Bavli, Makkot 24a, in diese Entwicklung einzufügen. Der Text kommentiert den Abschluss von Mischna Makkot, dass Gott Israel die Möglichkeit geben wollte, Verdienste zu erwerben, und ihnen daher Tora und Gebote vermehrte. R. Simlai bezieht dies auf die 613 Gebote und Verbote, die Gott Israel gab (die Zahl ist hier erstmals belegt). Doch dann fährt er fort, dass David sie auf elf Gebote zurückführte (Ps 15), Jesaja auf sechs (Jes 33,25–26), Micha (6,8) auf drei, Jesaja (56,1) auf zwei, und schließlich Amos auf eines: »Sucht mich, dann werdet ihr leben« (Am 5,4). Ebenso habe Habakuk die Gebote auf eines reduziert: »Der Gerechte bleibt wegen seiner Treue (bzw. seines Glaubens: ותנומאב) am Leben« (Hab 2,4).34 Das ist der Schlusspunkt des Versuchs, die vielen Gebote und Verbote auf ihren wesentlichen Kern zurückzuführen. Doch besagt der Text sicher nicht, dass es letztlich allein auf den Glauben ankommt. Liest man den Vers zusammen mit dem vorangehenden, ist es ein anderer Ausdruck für Gott suchen. Treue im Suchen nach Gott ist das Wesentliche in der Erfüllung der Gebote, auch wenn diese sich im Alltag in vielfältiger Weise verwirklicht.

Gerade im Blick auf die Verheißungen für die Endzeit wird immer wieder der Glaube gefordert, und dies klar als ein Fürwahrhalten von etwas, was man nicht sehen kann, bzw. als unverbrüchliche Hoffnung auf das, was Gott verheißen hat. Glaube wird, wie auch schon für die Errettung aus Ägypten, dabei wiederholt als das genannt, wodurch man sich einer Sache als würdig erweist oder diese dafür als Lohn erhält. Man könnte hier sehr wohl von Heilswirksamkeit des Glaubens auch im rabbinischen Denken sprechen. Wieweit sich damit gewisse Parallelen zu christlichen, vor allem paulinischen Positionen ergeben, ist eine eigene Studie wert, geht aber über den Rahmen dieses Aufsatzes hinaus.35

Abstract


Jewish religion is frequently characterized as orthopraxy and contrasted with Christian orthodoxy. This is only partially correct, as an analysis of the use of the Hebrew verbʾaman (hiphʿil) in rabbinic texts can show. Often it is difficult to decide how to translate the verb, »to trust« or »to believe« in somebody. But many texts clearly and repeatedly emphasize the importance of faith as such. Israel was freed from Egypt by the merit of faith when they had not yet any commandments which they could obey (Mekhilta Beshallah. 4); this statement is followed by a long litany in praise of faith (Beshallah. 7). Israel is praised as »believers, children of believers« (bShab 97a). Another concentration of the topic is to be found in discussions of the end of time: Here again, one simply has to believe without seeing: »If your eyes had not seen, you would not have believed« (PesK 18:5; bBB 75a). One has to accept as true what one cannot see. Faith is at the basis of the redemption from Egypt and of the final redemption; thus for the rabbis, too, faith is essential for salvation.

Fussnoten:

1) M. Buber, Werke. Zweiter Band: Schriften zur Bibel, München/Heidelberg 1964, 1125.
2) Siehe zuletzt A. Schremer, Thinking about Belonging in Early Rabbinic Lit-erature: Proselytes, Apostates, and »Children of Israel,« or: Does It Make Sense to Speak of Early Rabbinic Orthodoxy? JSJ 43 (2012), 249–275. Er betont zu Recht, dass in den frühen tannaitischen Texten »Jewish identity was not a matter of belief and doctrine. Rather, it was either a matter of birth and descent, or a matter of loyalty to the covenant« (249). Das schließt aber nicht die Wichtigkeit zumindest einiger zentraler Bekenntnispositionen aus, wie Mischna Sanhedrin 10,1 und Tosefta Sanhedrin 13,5 verdeutlichen: »Wer die Auferstehung und den göttlichen Ursprung der Tora leugnet, hat keinen Anteil an der kommenden Welt.« Nach D. M. Grossberg, Orthopraxy in Tannaitic Literature, JSJ 41 (2010), 517–561, spricht hier die Tosefta von einem Glaubensakt (»die leugnen« [ ןירפוכ] »nicht bekennen« [ןידומ ןיא]), während die Mischna die Orthopraxie betont: »wer sagt« (רמואה), dass es keine Auferstehung etc. gibt; es komme also allein auf die laute Aussage an, »verbal acts« und nicht auf den persönlichen Glauben (538); »although the under­lying issues are doctrinal … the discussion revolves around practice« (549). Zum »Ketzersegen« siehe Y. Y. Teppler, Birkat ha-Minim. Jews and Christians in Conflict in the Ancient World, Tübingen 2007; G. Stemberger, The birkat ha-minim and the separation of Christians and Jews, in: B. Isaac/Y. Shahar (Hrsg.), Judaea-Palaestina, Babylon and Rome. Jews in Antiquity, Tübingen 2012, 74–87.
3) Zur Vorgeschichte in der Hebräischen Bibel siehe A. Jepsen, Art. ןמא, ThWAT I (1973), 313–348, vor allem 320–333 zur Verwendung im Hiphil.
4) So explizit im Talmud, ʿAvoda Zara 16b: »Dieser Statthalter war der Meinung, er habe es von ihm gesagt. (Eliezer) aber bezog es nur auf seinen Vater im Himmel«.
5) »Ich bin es gewesen, der euch aus Ägypten heraufgeführt … hat, damit ihr das Land der Amoriter in Besitz nehmen konntet« (Am 2,10). Das Motiv, dass ein Teil der früheren Bewohner Israels freiwillig das Land verließ und nach Afrika zog, ist rabbinisch weit verbreitet, so z. B. Mekhilta Pisḥa 18, Palästinischer Talmud Sheviʿit 6,1,36c oder Lev Rabba 17,6 (ed. Margulies 386).
6) Fast gleich MS Parma. Ähnlich MS Oxford: וללה םירבדב םינימאמ םתא יא םא und auch MS London. Die Textzeugen von Sifra sind auf der Website der Bar Ilan-Universität zugänglich (Primary Textual Witnesses to Tannaitic Literature, unter Leitung von Sh. Friedman): http://www.biu.ac.il/JS/tannaim/.
7) Das gilt auch von MS New York, Jewish Theological Seminary (ursprünglich Breslau): ולילה םירבדה לכל יל ןינימאמ םתא ןיא םא: »Wenn ihr nicht mir glaubt, (nämlich) all diesen Worten« bzw. »bezüglich all dieser Worte«. Wie das Verb lehaʾamin konstruiert wird, ob mit Akkusativsuffix oder mit der Präposition le- oder be-, scheint rabbinisch keinen Unterschied zu machen, auch wenn die Verbindung mit be- eher das Vertrauen auf jemanden besagt (so Avot 2,4; Tosefta Shabbat 7,25), le- mehr den Glauben an die Aussage (einer Person), an Worte. Aber es geht hier höchstens um Nuancen. Für den biblischen Sprachgebrauch siehe Tzvi Novick, ןימאה in Jud 11,20 and the Semantics of Assent, ZAW 121 (2009), 577–583, deutsche Zusammenfassung S. 583: In Ri 11,20 bedeutet es eine Erlaubnis, »was der semantische Bereich von ןימאה ohne weiteres einschließt, da ןימאה, vor allem verbunden mit ל-, normalerweise eine Zustimmung zum Sprechakt eines anderen anzeigt. Das gilt sowohl für den Ausdruck des Für-wahr-Haltens (im Fall einer Behauptung) als auch im Sinn von Gehorsam (im Fall eines Befehls oder einer Forderung)«.
8) J. Winter, Sifra. Halachischer Midrasch zu Leviticus, Breslau 1938, 649; J. Neusner, The Components of the Rabbinic Documents. From the Whole to the Parts. I. Sifra, Atlanta, GA, 1997, III 250.
9) H. Bietenhard, Der tannaitische Midrasch Sifre Deuteronomium, Bern/Wien 1984, 737, übersetzt: »Denn er vertraute auf die Welt und schuf sie«.
10) Die Übersetzung folgt (mit minimalen Anpassungen) G. Stemberger, Mekhilta de-Rabbi Jishmael. Ein früher Midrasch zum Buch Exodus, Berlin 2010. Sie beruht auf MS Oxford 151.
11) Der ganze Abschnitt (ausgenommen die Aussage Rabbis, die aber wörtlich im Schlussteil wiederkehrt), findet sich fast wörtlich auch in Mekhilta de R. Simeon ben Jochai zu Ex 14,15 (ed. Epstein – Melamed 58–59), am Schluss zusammengefasst in der Formulierung: »Vielmehr zogen sie im Glauben aus« (ואצי אלא הנומא לע). W. D. Nelson, Mekhilta de-Rabbi Shimon bar Yoh.ai, Philadelphia 2006, 103 übersetzt pointiert: »Rather, they went out on faith [alone]«. Der Schlussteil (ab »sie sagten nicht zu Mose«) hat eine wörtliche Parallele in Mekhilta de R. Jischmael Wa-yassa 1 zu Ex 15,22 (152).
12) Bei Abraham ergänzen dies alle anderen Textzeugen wohl wegen des Schriftbelegs Gen 15,6, bei Mose zum Schluss alle außer dem Erstdruck (dieser lässt auch die Aussage Avtaljons aus, wohl ein Versehen wegen des mehrfachen fast gleichen Satzes). Ein tieferer Grund scheint hinter diesen kleinen Varianten nicht zu stehen.
13) J. Z. Lauterbach, Mekilta de-Rabbi Ishmael. A critical edition on the basis of the manuscripts and early editions with an English translation, introduction and notes, 3 Bände, Philadelphia 1933–35, I 219–220, übersetzt: »That faith with which they believed in Me … they believed in Moses and followed him«. J. Neusner, The Components of the Rabbinic Documents. From the Whole to the Parts. VIII. Mekhilta Attributed to Rabbi Ishmael, Atlanta, GA, 1997, I 159–160, hält sich meist eng an Lauterbach. Hier übersetzt er jeweils: »The faith that they trusted in me« bzw. »entrusted in me«, doch dann: »They believed and went after Moses«. Den Satz über den Glauben Abrahams überspringt er. T. Martínez Sáiz, Mekilta de Rabbí Ismael, Estella (Navarra) 1995, 142–144: »La fe con que creyeron en mí … creyó en mí … han creído en mí«.
14) Den Text analysiert ausführlich N. J. Cohen, Analysis of an Exegetic Tradition in the »Mekhilta de-Rabbi Ishmael«: The Meaning of 'Amanah in the Second and Third Centuries, AJS Review 9 (1984), 1–25. Für sein Verständnis von »Glaube« in diesem Text ist der zweite Absatz im Namen des R. Nehemja zentral, auch wenn er ihn in seiner literarischen Analyse nicht der Grundschicht zuschreibt. »Ein Gebot im Glauben/in Treue auf sich nehmen« sei der Kern des Glaubens: »The notion that belief or trust in God means the observance of the mitzvot is under-scored in our passage by the consistent use of the term הנמא instead of הנומא« (8). Das sprachliche Argument ist fraglich; die beiden Formen scheinen in der Me-khilta austauschbar zu sein. Wichtiger ist jedoch, dass der Hinweis R. Nehemjas auf die Gebote nicht nur völlig isoliert im ganzen Abschnitt dasteht, sondern auch zumindest in MS München der gesamte Absatz fehlt. Er ist wohl ein sekundärer Einschub. Das betont zu Recht A. Schremer, Brothers Estranged. Heresy, Chris-tianity, and Jewish Identity in Late Antiquity, Oxford 2010, 113. Gegen Cohen’s Verständnis dieses Abschnitts als antichristlich (24: »It is against the backdrop of Christianity’s rejection of the law as the means of attaining salvation and its emphasis upon the faith of the pious believer in the death and resurrection of Jesus, as well as the antinomianism of its Gnostic counterparts, that our Mekhilta passage must be read«) bemerkt Schremer richtig: Cohen » transforms the midrash from a text centered on faith to a homily about the centrality of Israel’s obedience to God’s commandments. And once this has been done, an anti-Pauline polemic on the concept of faith can be imposed on the rabbis.«
15) Gen 15,6 wird hier und öfter für sich als Beleg für den Glauben Abrahams zitiert. Doch gilt das nur für die vorausgehende Verheißung der Nachkommenschaft, nicht aber für die folgende Verheißung des Landes, auf die Abraham in 15,8 mit der Frage reagiert: »Woran soll ich (das) erkennen?« (עדא המב), für die Rabbinen ein Zweifel, der Strafe nach sich zieht: »Du sollst wissen (עדת עודי): Deine Nachkommen werden als Fremde in einem Land wohnen, das ihnen nicht gehört …« (Gen 15,13: Lev Rabba 11,5). Die 400 Jahre als Sklaven in Ägypten sind die Folge dieser unpassenden Frage – so Tanchuma Qedoshim 13 und öfter.
16) Daran schließt auch Ex Rabba 42,1 an, wo Mose bei Gott für Israel Fürsprache einlegt: »Erinnere dich zu ihren Gunsten daran, wie ich in deinem Auftrag nach Ägypten ging und ihnen deinen Namen sagte. Sofort glaubten sie und warfen sich vor deinem Namen nieder (ךמשל ווחתשיו ונימאה דימ)« (Ex 4,31 »Da glaubte das Volk … und sie verneigten sich und warfen sich vor ihm nieder«).
17) »Seine Hände blieben (fest) erhoben«: הנומא וידי יהיו könnte man in unserem Kontext auch verstehen: »Seine Hände (waren) Glaube«.
18) Im biblischen Kontext wäre natürlich richtiger: »deine Treue«.
19) הנמא שארמ , »vom Gipfel des Amana«: Der Midrasch liest hier den Namen des Berges הנמא wie הנומא, »Glaube«.
20) Teilweise fast wörtliche Parallelen in Mekhilta de R. Simeon zu Ex 14,31 (70), keine zusätzlichen Aussagen.
21) Moderne Übersetzungen wählen hier regelmäßig »Glaube, glauben«. So J. Winter/A. Wünsche, Mechilta. Ein tannaitischer Midrasch zu Exodus, Leipzig 1909. J. Lauterbach übersetzt durchgehend mit faith, believe, faithfulness: »Great indeed is faith … the faith with which Israel believed in God … with true faith … the faith with which they believed … the nation that keepeth faithfulness … all people of faith« usw. Ganz ähnlich J. Neusner, wenn auch nicht immer einheitlich: »Great is faith … a reward for the act of faith that the Israelites made in the Lord … a reward for the faith that he believed« usw. Natürlich hat faith eine größere Bedeutungsbreite als »Glaube«; doch durch die Verbindung mit believe steht doch der Glaube im Vordergrund. Auch Martínez Sáiz übersetzt durchgehend mit »glauben«: »todos los que creen en el pastor de Israel es como si creyeran en Quien con su palabra creó el mundo … la fe con que los israelitas creyeron en Yhwh … en recompensa de la fe que tuvo« usw. Zwar bedeutet fe Glaube und zugleich Vertrauen, ist somit ähnlich weit wie das englische faith, doch auch hier ist »Glaube« primär.
22) Ganz ähnlich Mekhilta de R. Simeon zu Ex 17,11 (121): »Wenn die Israe-liten den Willen Gottes tun und an das glauben, was Gott Mose geboten hat (השמל םוקמה ודקפש המב ןינימאמו), wirkt Gott ihnen Wunder und Machttaten«.
23) Doch auch Joh 3,14–15 betont das Zeichenhafte der Schlange und damit verbunden den Glauben. In der rabbinischen Literatur wird außerhalb der Me-khilta die eherne Schlange nie mit dem Motiv des Glaubens verbunden, auch wenn die religiöse Deutung verbreitet ist. Die Parallele zwischen den erhobenen Händen Moses und der erhöhten Schlange wird schon in der Mischna (Rosh ha-Shana 3,8) hervorgehoben und dabei betont, dass Sieg und Heilung nicht durch die erhobenen Hände Moses oder den Blick auf die Schlange bewirkt werden, sondern »wenn die Israeliten nach oben schauen und ihr Herz zu ihrem Vater im Himmel richten … und ihr Herz ihrem Vater im Himmel dienstbar machen«. Ähnlich später dann auch Targum Ps.-Jonatan zu Num 21,8–9: »Jeder, der von einer Schlange gebissen wird und sie ansieht, wird am Leben bleiben, wenn er sein Herz auf den Namen der Memra des Herrn richtet … Wenn eine Schlange jemanden biss und dieser sein Herz auf den Namen der Memra des Herrn richtete, blieb er am Leben«. Siehe H. Maneschg, Die Erzählung von der ehernen Schlange (Num 21,4–9) in der Auslegung der frühen jüdischen Literatur. Eine traditionsgeschichtliche Studie, Frankfurt 1981, 193–384.
24) Der letzte Beleg fürʾaman Hiphil in der Mekhilta steht in einem rein profanen Kontext. Ein König vertraut einem Diener den Strohspeicher an, einem anderen die Schatzkammer. Der erste gerät in Verdacht und beschwert sich. Darauf entgegnet man ihm: »Wenn du schon wegen des Strohspeichers in Verdacht geraten bist, wie soll man sich auf dich hinsichtlich des Schatzes von Silber und Gold verlassen?« (בהז לשו ףסכ לש רצוא לע ךתוא ונימאי ךאיה: Bah.odesh 5, 221).
25) Beide Male wird der Gegenstand des Glaubens mit der Präposition le- angeschlossen; diese sprachliche Parallelisierung schließt die Wiedergabe mit »Vertrauen« aus, das sich ja nicht auf die Vergangenheit beziehen kann, sondern höchstens in dieser begründet ist.
26) Kürzere Parallelen in Pesiqta Rabbati 32 (ed. Friedmann 149; ed. Ulmer 766) und Midrasch Psalmen 87,2 (ed. Buber 189a). Der Talmudtext hat eine volle Parallele in Bavli Sanhedrin 100a. Dazu siehe G. Stemberger, Münchhausen und die Apokalyptik – Bavli Bava Batra 73a–75b als literarische Einheit, in: Ders., Judaica Minora II. Geschichte und Literatur des rabbinischen Judentums, Tübingen 2010, 299–316.
27) M. Hirshman, Pesiqta deRab Kahana we-Paideia, in: J. Levinson/J. Elbaum/G. Hasan-Rokem (Eds.), Higayon L’Yona. New Aspects in the Study of Midrash, Aggadah and Piyut. In Honor of Professor Yona Fraenkel (hebräisch), Jerusalem 2006, 165–178: 173–177, sieht in den drei hier besprochenen Erzählungen den Schlüssel zum Verständnis der ganzen Pesiqta: Der Tempel bleibt für das jüdische Leben zentral, auch wenn man ihn jetzt nicht sieht und nur daran glauben kann. »Größe wird also in der Erzählung gemessen an der Fähigkeit zu glauben, zu vertrauen, ohne Beweise im Sehen. Auch das Ende der Erzählung deutet an, dass es nicht gut ist, sehen zu wollen, da R. Jehoschua nicht in der Lage ist, dem Licht der Steine standzuhalten« (174). Zu Recht betont er (176) auch die Parallele mit dem ungläubigen Thomas: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben« (Joh 20,29).
28) So auch M. Hirshmann, ibid., 176.
29) Siehe dazu auch D. Stein, The Blind Eye of the Beholder: Tall Tales, Trav-elogues, and Midrash, in: Dies., Textual Mirrors: Reflexivity, Midrash, and the Rabbinic Self, Philadelphia, Pa., 2012, 58–83.
30) Etwas anders ist die Verbindung von Glauben und Sehen in Ex Rabba 46,1. Gott sagt Mose, er solle vom Berg hinabsteigen, denn das Volk (das soeben das Goldene Kalb gemacht hat) laufe ins Verderben (Ex 32,7). Mose aber glaubt es nicht: »Wenn ich nicht sehe, glaube ich nicht« (ןימאמ ינא ןיא האור ינא ןיא םא). Das wird dann aber gleich abgeschwächt. Wie hätte denn Mose Gottes Worten nicht geglaubt? Vielmehr hat Gott Mose menschliches Verhalten (ץרא ךרד) gelehrt: »Sogar wenn ein Mensch (etwas) von seinem besten, vertrauenswürdigen Freund hört, darf er nicht dessen Zeugnis annehmen und danach handeln, wenn er es nicht sieht.« Es geht zuerst um profane Fakten, die Mose nicht glauben kann, bevor er sie gesehen hat. Glaube im religiösen Sinn ist hier nur deshalb im Spiel, weil Gott selbst es Mose gesagt hat. Und da man Mose unmöglich vorwerfen will, er habe den Worten Gottes nicht geglaubt, sieht man in der Szene lieber das richtige Verfahren bei Gericht angedeutet: Man darf nicht nach Hörensagen urteilen, sondern allein nach sichtbarer Evidenz.
31) W. G. Braude, The Midrash on Psalms, 2 Bände, New Haven 1959 (= 31976), I 399 übersetzt: »The Lord preserveth those who affirm the faith«. So dann auch im Midrasch: »they affirm their faith in me … between him who has faith and him who has no faith.«
32) Vgl. Seder Eliyahu Rabba 25 (ed. Friedmann 129): »Zum Lohn für den Glauben/das Vertrauen, mit dem die Israeliten an ihren Vater im Himmel glaubten/ihrem Vater im Himmel vertrauten (םהיבאב 'שי ונימאהש הנומא רכשבו 'משבש), wird der Heilige, gepriesen sei er, kommen und Israel aus den Völkern der Welt erlösen.«
33) Völlig anders als in der gesamten rabbinischen Tradition wird der Begriff in einer späten hebräischen Apokalypse verwendet, dem Pereq ha-Mashiah. (ed.J. Even-Shmuel, Midreshe Ge’ulla, Jerusalem 31968, 336): Die Araber werden vor dem Kommen des Messias die Israeliten auffordern: »Kommt und glaubt an unseren Glauben« (וניתנומאב ונימאתו ואוב), was diese natürlich ablehnen. »Glaube« wird hier fast schon im Sinn von »Religion« verstanden, zu der der andere übertreten soll.
34) Eine Parallele dazu ist Tanchuma Shoftim 9. Hab 2,4 wird sonst nur selten in der rabbinischen Literatur zitiert (am meisten noch im Tanchuma), fast nur als Belegtext, doch ohne eigene Bedeutung. Zur Auslegungsgeschichte des Verses siehe M. Arnold/G. Dahan/A. Noblesse-Rocher (Eds.), »Le Juste vivra de sa foi« (Habacuc 2,4), Paris 2012. D. Banon, Emunah (foi) et loi. Une lecture juive de Habaquq 2,4, ibid. 123–131, bespricht vor allem Raschi und den Targum, ist aber leider viel zu kursorisch, um zu unserer Fragestellung etwas beizutragen.
35) Siehe dazu D. Steinmetz, Justification by Deed: The Conclusion of »Sanhedrin-Makkot« and Paul’s Rejection of Law, HUCA 76 (2005), 133–187; S. Ruzer, James on Faith and Righteousness in the Context of a Broader Jewish Exegetical Discourse, in: G. A. Anderson/R. A. Clements/D. Satran (Eds.), New Approaches to the Study of Biblical Interpretation in Judaism of the Second Temple Period and in Early Christianity, Leiden 2013, 79–104.