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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1094–1095

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zhao, Huaqing

Titel/Untertitel:

Die Missionsgeschichte Chinas. Unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der Laien bei der Missionierungsarbeit (ca. 16.–19. Jh.).

Verlag:

Sankt Augustin: Steyler Verlag 2012. 308 S. = Studia Instituti Missiologici SVD, 97. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-8050-0604-0.

Rezensent:

Hauke Christiansen

Missionshistorische Forschungen westlicher Provenienz haben sich in langer Tradition mit den Protagonisten der euro-amerikanischen Missionsbewegung beschäftigt. Seit einiger Zeit ist das Bewusstsein für die Bedeutung einer lokalen Missionsperspektive auf die Inkulturation des Evangeliums in den asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Gesellschaften gewachsen (u. a. Cieslik, Hubert, Laienarbeit in der alten Japan-Mission, in: Specher, Johann; Bühlmann, Walbert [Hrsg.], Das Laienapostolat in den Missionen, 1961, 99–129; Kim, Yong Jang, Gemeinde – Erneuerung und Inkulturation im koreanischen Kontext, 1999). Damit treten diejenigen Akteure in den Mittelpunkt des Forschungs-Interesses, die vormals als einheimische »Mitarbeiter«, »Helfer« oder schlicht »Handlanger« der Mission identifiziert wurden, und ihre Funktion wird einer Neuinterpretation unterzogen. Mit der 2012 veröffent lichten Dissertation des chinesischen katholischen Priesters Huaqing Zhao liegt für den deutschsprachigen Raum erstmals eine Untersuchung vor, die die Bedeutung der Laien während der frühneuzeitlichen katholischen Chinamission bis zum Ende der Quing-Dynastie systematisch darstellt.
Z. identifiziert drei Gruppen von Laien, die in einem engen Zusammenhang mit der Missionsarbeit katholischer Orden und Kongregationen in China gesehen werden müssen: Shidafu, Huizhang und Zhennü. Shidafu stellten als Beamte und Literaten die Elite der chinesischen Gesellschaft und sorgten als Dialogpartner und politische Schutzherren der Jesuiten für die Einpflanzung des Christentums in den chinesischen Kulturraum im 16. und 17. Jh.; Huizhang waren Männer in kirchlichen Leitungsfunktionen, die während der Verfolgungsperioden im 18. und 19. Jh. die pastorale und missionarische Arbeit übernahmen; Zhennü waren ehelose Frauen, die sich als Katechistinnen, Lehrerinnen und Sozialhelferinnen der Bekehrungsarbeit in der gesellschaftlich isolierten Frauenwelt widmeten. Z. kommt zu dem Schluss, dass die Entstehung der katholischen Kirche in China nur als gemeinsamer Beitrag von Geistlichen (westlichen wie einheimischen) und eben der Laien wie den Shidafu, Huizhang und Zhennü verstanden werden kann. Z.s Einsicht führt in einigen Fällen zur Korrektur bzw. De­konstruktion gängiger Missionsvorstellungen, wenn er z. B. feststellt: »Die Ausbreitung des Christentums in der Provinz Shanxi bzw. Jiangzhou wird als eines der erfolgreichsten Beispiele der jesuitischen Missionstätigkeit im 17. Jahrhundert angesehen, aber es handelt sich dabei vor allem um ein Ergebnis der Laientätigkeit.« (125)
In seiner Darstellung räumt Z. den drei Gruppen jeweils etwa gleich viel Platz ein (II. Shidafu als Vermittler des christlichen Gedankengutes [62–128], III. Huizhang-System [129–190], IV. Zhennü-System [191–269]). Er beginnt nach der Einleitung (12–27) mit einer kurzen Übersicht über die Missionsgeschichte Chinas vom 7. bis ins 19. Jh. (28–61), die dem China-Interessierten eine gute Orientierung gibt, auch wenn die protestantische Missionsbewegung nicht in den Blick gerät. Ein Apparat mit Quellen- und Literaturverzeichnis, Zeittafel und Orts- bzw. Personennamen schließt das übersichtlich gegliederte und gut lesbare Werk ab.
Die Herausarbeitung der Bedeutung von Laiengruppen für die katholische Chinamission im Zusammenhang mit der Missionstätigkeit der Orden und Kongregationen ist im Grunde nichts Neues (vgl. C. von Colani, Die christliche Chinamission der frühen Neuzeit/16.–18. Jahrhundert. Ein Überblick, in: ZMR 93 [2009], 205–220: 207.218). Neu an Z.s Untersuchung ist neben der Charakterisierung und Systematisierung der Gruppen vor allem die Darstellung der Akteure auf der Mikro-Ebene. Dafür hat er die reichlich vorhandenen Quellen auf chinesischer Seite (u. a. kaiserliche Edikte, Thronberichte der Ministerien und Briefe aus dem ehemaligen kaiserlichen Archiv in der Verbotenen Stadt) und Neuerscheinungen von chinesischen Dokumenten aus westlichen Bibliotheken ausgewertet (lokalbehördliche Berichte, Verhörprotokolle, zivile Klagen, Briefe zwischen Missionaren und Gemeindeleitung), die »vielfältige direkte Nachrichten über die Kirchengemeinden und die Führung ihres täglichen Lebens« während der Verfolgungsperiode zwischen 1723 und 1835 enthalten.
Z.s Kenntnis der klassischen chinesischen Literatursprache und der chinesischen Handschrift kommt bei der Aufarbeitung der Primärquellen zum Tragen. Die Frage, ob die Existenz einheimischer »Helfer« für die Missionsarbeit wie allgemein angenommen auf den Priestermangel zurückgeht (C. von Colani, a. a. O., 218) oder im Fall der Jesuiten auf die Strategie ihrer Akkommodationsmethode, stellt sich Z. nicht.
Aus evangelischer Perspektive hätte man sich neben der gelungenen historischen Aufarbeitung eine biblisch-theologische Grundlegung über die Bedeutung der sogenannten Laien ge­wünscht und das Aufzeigen missionstheologischer Perspektiven dieses Themas, das in Form der Drei-Selbst-Bewegung keine un­wichtige Rolle in der Christentumsgeschichte und Moderne Chinas spielt. Die von Z. skizzierte Aufwertung gesellschaftlicher Randgruppen wie der Zhennü durch die Mission und ihr Mitwirken an der Transformation chinesischer Sitten zeigt, dass die Auseinandersetzung auch in theologisch-ethischer Hinsicht jede Menge Stoff für weitere Beschäftigung mit dem Thema bietet.