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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1081–1083

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Routhier, Gilles, Roy, Philippe J., et Karim Schelkens [Eds.]

Titel/Untertitel:

La théologie catholique entre intransigeance et renouveau. La réception des mouvements préconciliaires à Vatican II.

Verlag:

Leuven: Brepols Publishers 2011. 363 S. = Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique, 95. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-2-503-54463-2.

Rezensent:

Eva-Maria Faber

Die Zeit vor dem II. Vatikanischen Konzil wird oft eher allgemein als »lange Vorbereitung« oder auch als Antithese des Konzils be­zeichnet. Sie ist zwar durch die Untersuchung einzelner Bewegungen Gegenstand historischer Forschung gewesen. Doch die Interaktion vorkonziliarer Strömungen und die genauere Art ihres Einflusses auf das II. Vatikanische Konzil ist wenig beleuchtet worden. Diese Lücke will der vorliegende Sammelband zumindest an­fanghaft schließen. Wie der Titel signalisiert, wird dabei auch jene vorkonziliare Richtung berücksichtigt, die als »intransigent« gilt. Da­durch können die Spannungen, die während und nach der Zeit des Konzils auftraten, schon in ihre vorkonziliare Vorgeschichte und in die Vorbereitungszeit 1959–1962 hinein zurückverfolgt werden.
Die englisch- und französischsprachigen Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf ein Kolloquium zurück, das in Zusammenarbeit der Theologischen Fakultät der Katholieke Universiteit Leuven mit der Theologischen und Religionswissenschaftlichen Fakultät der Université Laval 2010 in Québec/Kanada stattfand.
Anthony Dupont (11–48) untersucht die Veränderungen im Rückgriff auf Augustinus im Vergleich der Vorbereitungsschemata zu den verabschiedeten Texten. Karim Schelkens (49–67) kann zeigen, wie auf der Basis der ersten Öffnung für die historisch-kritische Bibelmethode 1943 und 1950 die erneuernden Stimmen schon im Vorfeld des Konzils und in den vorbereitenden Kommissionen der Offenbarungskonstitution präsent sind – dies aber gleichzeitig mit gegenläufigen Kräften. Ein Durchbruch erfolgt 1964 mit der Instruktion Sancta Mater Ecclesia, die eine Brücke zur Offenbarungskonstitution darstellt. Massimo Faggioli (69–89) und Mathijs Lamberigts (91–121) befassen sich mit der Liturgischen Bewegung in den USA bzw. in Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Ward de Pril (123–144) beleuchtet unterschiedliche Konzepte von Dogmenentwicklung, die miteinander im Disput stehen: ein »intellektualistisches« Verständnis der Dogmenentwicklung, vertreten durch Sebastian Tromp SJ und Edouard Dhanis SJ, und ein »antiintellektualistisches«, theologisches Verständnis der Dogmenentwicklung, vertreten durch Louis Charlier OP und Henri de Lubac SJ. Mit dem Thema Dogmenentwicklung stehen die Deutung der Offenbarung als Lehre oder als personales Geschehen sowie das Verhältnis von Theologie und Lehramt auf dem Spiel. In den Vorbereitungstexten setzt sich die Opposition gegen die Entwürfe von Charlier und Lubac, die schon zuvor Verurteilungen hatten hinnehmen müssen, durch. Michael Quisinsky (145–178) zeigt Interaktionen zwischen erneuernden und intransigenten Kräften am Beispiel der persönlichen Beziehungen Yves Congars, vor allem innerhalb der Theologischen Kommission. Diese Beziehungen erlaubten im Vorfeld des Konzils eine Rezeption der Theologie Congars, die aber im strukturellen Kontext der Theologischen Kommission vor dem Konzil nicht wirksam werden konnte. Istvan Csonta (179–198) beleuchtet die Komplexität der Laienbewegungen, deren Zusammenfassung als »Katholische Aktion« die zu differen- zierenden Phasen und Formen nicht übersehen lassen darf. Während das erste Schema über das Laienapostolat noch ganz vom Konzept der Katholischen Aktion bestimmt ist, zeigt sich mit dem 1964 vorgelegten Entwurf für Apostolicam Actuositatem bereits innerhalb des Konzils die beginnende Rezeption der Ekklesiologie von Lumen Gentium. Gilles Routhier (199–212) zeigt den Einfluss der vorkonziliaren Erneuerungsbewegungen mit ihrem Interesse an »Ressource-ment« und Zeitgenossenschaft an der Kritik von Methode und Stil, wie sie den Vorbereitungsdokumenten zugrunde lagen. Der juridische, lehrbuchartige und allein an der Tradition der vergangenen zwei Jahrhunderte orientierte Duktus wird von den Konzilsvätern zugunsten eines mehr pastoralen und an einer breiteren Tradition orientierten Stils kritisiert. Michael Attridge (213–230) erinnert Details der Vorgeschichte der Judenerklärung. François Weiser (231–247) untersucht die Rezeption protestantischer Autoren (Barth, Bultmann, Bonhoeffer, Tillich) am Beispiel US-amerikanischer Zeitschriften und Ausbil- dungsstätten, wo sich die konziliare Polarisierung bereits abzeichnet. Catherine Clifford (249–269) skizziert die Vorgeschichte der Rede von den »elementa Ecclesiae«, die bei Theologen wie Yves Congar, Jean Gribomont und Chris­tophe-Jean Dumont bereits vor dem Konzil eine ökumenische Öffnung vorbereiten. Ebenfalls mit ökumenischem Fokus beschreibt Peter de Mey (271–308) die Geschichte der »Katholischen Konferenz für ökumenische Fragen«, die von Jan Willebrands initiiert eine wichtige Funktion im Vorfeld des Konzils und zur Vorbereitung des Ökumenismusdekretes einnahm. Rodrigo Coppe Caldeira (309–320) thematisiert konservative katholische Strömungen in Brasilien im Vorfeld des Konzils. Philippe Roy sucht die Vorgeschichte des Coetus Internationalis Patrum in drei römischen Ausbildungsorten, dem Séminaire français (unter dem Rektor Le Floch), der Gregoriana und der Lateranuniversität. Hier erfuhren wichtige Akteure des Coetus (z. B. Marcel Lefebvre, Geraldo de Proença Sigaud, Antonio de Castro Mayer, Ernesto Ruffini) ihre Prägung durch Antiliberalismus und eine dezidiert »römische« Ausrichtung. Mit derselben Vorgeschichte werden allerdings die Bischöfe Ancel und Garrone eine andere Richtung einschlagen.
Ein abschließender Beitrag von Lieven Boeve (355–366) nimmt die häufig gestellte Frage nach Kontinuität oder Diskontinuität des II. Vatikanums bzw. nach dem konziliaren Paradigmenwechsel zum Anlass für Differenzierungen. Das II. Vatikanische Konzil baut auf vorausgehenden Entwicklungen auf. Als Symbol der Öffnung für die moderne Welt ist es ein Vorgang der Rekontextualisierung und steht insofern in der Spannung von Diskontinuität und zugleich Kontinuität: Diskontinuität zur vorausgehenden Tradition, ge­suchter Kontinuität zum zeitgenössischen Kontext. Wer den Dialog mit der modernen Welt ablehnt, verbindet hingegen die Kontinuität zur Tradition mit der Diskontinuität zum Kontext. Das Konzept der Rekontextualisierung macht einsichtig, dass Glaube und Tradition durch den Kontext jeweils mitkonstituiert werden, was selbst noch für jene gilt, die sich gegen eine Rekontextualisierung verwahren, sich dabei aber ungewollt Prägungen durch den Kontext einhandeln.
Noch deutlicher könnte gesagt werden, dass eine Verweigerung von Rekontextualisierung selbst eine Diskontinuität zur Tradition darstellt, in der sich die Kirche durch ihre ganze Geschichte hindurch – mehr oder weniger glücklich – auf ihre unterschiedlichen Kontexte eingelassen hat und einlassen musste. Kontextverweigerung wäre ein Bruch mit der Tradition. Zudem wäre der Umbruch, den das Konzil darstellt, weniger konflikthaft gewesen, wenn es nicht in der Geschichte der Kirche immer wieder unheilvolle Diskontinuitäten gegeben hätte (Verlust von älteren Traditionen; Erstarrung von Konzepten; Entwicklung von Lehren ohne Anhaltspunkt in der Tradition) und wenn vor dem Konzil ein sanfterer Wandel möglich gewesen wäre. Einige Beiträge des Bandes zeigen i n erhellender Weise, wie die vorkonziliaren Bewegungen von einem Rückgriff auf breitere Traditionen gekennzeichnet sind. Andere Beiträge erinnern den Widerstand gegen jene Theologien, die um eine behutsame Reflexion anstehender Fragen im Interesse einer Kontinuität im Wandel besorgt waren.
Die Detailarbeit, die der Band präsentiert, ist eine wichtige Quelle für die weitere Konzilsforschung.