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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1075–1076

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Blank, Renold

Titel/Untertitel:

Schafe oder Protagonisten? Kirche und neue Autonomie der »Laien« im 21. Jahrhundert.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich (Edition NZN) 2013. 205 S. Kart. EUR 27,70. ISBN 978-3-290-20086-2.

Rezensent:

Simone Sinn

Ausgehend von der brisanten Frage nach der Bedeutung und Rolle der Laien in der römisch-katholischen Kirche präsentiert die jüngste Publikation von Renold Blank eine Ekklesiologie in nuce. Sie ist ein engagiertes Plädoyer für »eine Kirche der Communio und der Teilnahme des ganzen Gottesvolkes« (204). Darin kommt den Laien als »Protagonisten« eine Schlüsselrolle zu. Wie der pointierte Titel »Schafe oder Protagonisten?« bereits signalisiert, will dieser Entwurf eine klare Alternative zu »einer stillen neozentralistischen, neokonservativen und neoklerikalen Restauration« (134) bieten. Drei Bezugspunkte sind in B.s Argumentation wichtig: die veränderte Lebenswelt der Menschen, das biblische Zeugnis und einschlägige lehramtliche Dokumente der Kirche. Dabei kommen Einsichten und Erfahrungen aus fast drei Jahrzehnten Lehrtätigkeit an der päpstlichen theologischen Fakultät von São Paulo (Brasilien) zum Tragen. Nach seiner Emeritierung ist B. in die Schweiz zurückgekehrt und wirkt an der theologischen Erwachsenenbildung mit. Der enge Zusammenhang zwischen diesem Engagement und den Hauptthesen seines Buches ist offensichtlich.
Den Auftakt bilden allgemeine Beobachtungen zum gesellschaftlichen Wandel von ländlichen Lebensverhältnissen hin zur technologisierten, urbanen Gesellschaft. Diese Gesellschaft bietet die Chance zu Freiheit und Autonomie und stellt zugleich vor die Herausforderung, wählen und gestalten zu müssen. B. wirbt dafür, diese neuen Lebensverhältnisse als Aufgabe anzuerkennen und die Gläubigen als Handlungssubjekte ernst zu nehmen. Dabei greift er das Konzept eines »Protagonismus der Laien« aus dem Schlussdokument der vierten Lateinamerikanischen Bischofskonferenz, die 1992 in Santo Domingo stattfand, auf. Die Grundideen des damit verbundenen ekklesiologischen Konzepts gehen auf Lumen Gen-tium zurück. Die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ist für B. wegweisender Orientierungspunkt. Trotz dieser soliden lehramtlichen Grundlage hat die hier vorgetragene Perspektive mit Widerständen zu kämpfen, sowohl bei Laien als auch bei Klerikern. Mit ihnen setzt sich der zweite Teil des Buches kritisch auseinander. Daran schließen sich im dritten Teil die drei Hauptforderungen dieses ekklesiologischen Entwurfs an. Sie lauten kurz gesagt: Die Laien müssen sich selbst als mitverantwortliche Handlungsträger begreifen lernen. Die Machtstrukturen in der Kirche müssen verändert werden. Die Dichotomie zwischen Klerus und Laien muss aufgehoben werden. Um diese Forderungen zu verwirklichen, braucht es sowohl einen Mentalitäts- als auch einen Strukturwandel. Leitmotivisch wird dabei immer wieder auf Jesu Rede vom Herrschen und Dienen verwiesen (Mk 10,42–44). Argumentativ wesentlich sind außerdem das Motiv der königlichen Priesterschaft (1Petr 2,9 f.) und das Motiv der Freiheit der Kinder Gottes (Gal 5,1; Röm 8,21). Der vierte Teil skizziert, inwiefern die veränderte Wahrnehmung der Laien notwendig eine veränderte Vorstellung der Kirche insgesamt mit sich bringt. Die Konturen dieser Ekklesiologie werden von zentralen paulinischen Stellen her gezeichnet: das Taufbekenntnis in Gal 3,26–28, die Gotteskindschaft in Gal 4,6 f. und Röm 8,15–17, wiederum die königliche Priesterschaft in 1Petr 2,9 f. und nicht zuletzt die ekklesiologischen Einsichten von 1Kor 12.
Im abschließenden Teil entfaltet B. in elf Grundprinzipien das »Ideal einer geschwisterlichen Kirche, die alle internen Klassengrenzen überwand« (160). Darin bekräftigt er noch einmal die Gleichheit aller Gläubigen in der Kirche, mahnt unter anderem konkrete Veränderungen an den Strukturen der Pfarrgemeinde an und plädiert für eine vernetzte Pastoral. Er fragt, warum die Ordination verheirateten Männern nicht erlaubt und die Ordination von Frauen verhindert wird. Ungeschminkt benennt er aktuelle Herausforderungen und spricht von Dingen, die andere in die Tabuzone gedrängt haben. Er hebt die Bedeutung der lebendigen Kraft des Heiligen Geistes hervor und wirbt dafür, Kirche als dynamische Realität zu verstehen. Schließlich tritt er dafür ein, dass prophetische Stimmen in der Kirche Gehör finden, und appelliert an die Kirche, die Perspektive des Reiches Gottes nicht aus den Augen zu verlieren.
Das Buch ist eine flammende Rede, verwurzelt in biblischen Grundmotiven, geprägt von der Begegnung und dem Gespräch mit vielen Laien und Klerikern in der Kirche. Die zugleich klare und leidenschaftliche Argumentation mag für manche das Buch besonders lesenswert machen, andere eher abschrecken. Die Beobachtungen zum »urbanen Menschen« sind oft allzu generalisierend und manche Erklärung zu den Zeichen der Zeit bleibt hinter der Komplexität gegenwärtiger Lebensverhältnisse zurück. Es wäre ein Gewinn gewesen, wenn der akademische Diskurs um eine Communio-Ekklesiologie direkt aufgegriffen worden wäre, auch der Dialog mit ekklesiologischen Einsichten anderer Kirchen wäre sachlich naheliegend gewesen. Die Stärke des Buches ist, dass B. in der innerkirchlichen römisch-katholischen Auseinandersetzung um das Verständnis von Kirche unmissverständlich und mit guten Gründen Position bezieht. Das Buch will all diejenigen stärken, die sich für eine partizipatorische Kirche einsetzen.