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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1067–1069

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Helbling, Dominik, Kropač, Ulrich, Jakobs, Monika, u. Stephan Leimgruber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konfessioneller und bekenntnisunabhängiger Religionsunterricht. Eine Verhältnisbestimmung am Beispiel Schweiz.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2013. 400 S. = Edition NZN bei TVZ. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-290-20082-4.

Rezensent:

Clauß Peter Sajak

In Zeiten zunehmender Entkirchlichung und Privatisierung von Religion steht auch der konfessionelle Religionsunterricht in den deutschen Schulen zur Disposition. Auch wenn in den meisten deutschen Bundesländern Religionsunterricht per Landesverfassung und Schulgesetz als konfessionelles Schulfach im Sinne einer gemeinsam verantworteten res mixta festgeschrieben ist, so ist in vielen Schulen der Republik aber längst der Usus eingezogen, Religionsunterricht interreligiös im Klassenverband, interkonfessionell oder im besten Falle ökumenisch zu gestalten. Die notwendige Aufteilung von Klassen in konfessionelle Lerngruppen wird in den wenigsten Schultypen des bundesdeutschen Schulsystems überhaupt noch durchgehalten, wohl am ehesten im zweiten Lernzeitraum der Grundschule, also den Schuljahren 3 und 4 sowie am Gymnasium. Entsprechend reflektieren nicht nur Religionspä-dagoginnen und -pädagogen, sondern auch die für die religiöse Bildung in den Schulen Verantwortlichen in den deutschen Diö-zesen und Landeskirchen zunehmend intensiver, welche Gestalt und welches Format ein zukunftsfähiger Religionsunterricht in Deutschland haben könnte. Selbst in der katholischen Kirche scheint inzwischen den meisten Bischöfen einsichtig zu sein, dass ein konfessioneller Religionsunterricht im Sinne von getrennten Lerngruppen unterschiedlicher christlicher Denominationen in den wenigsten Schulen noch durchsetzbar ist.
Sucht man nach neuen Wegen, nach alternativen Formaten und nach innovativen Organisationsformen für den Religionsunterricht, liegt der Blick über die deutsche Grenze in das Nachbarland Schweiz nahe: Hier hat sich in einer ähnlich föderalen Struktur wie in der Bundesrepublik Deutschland auch eine äußerst vielfältige Praxis religiöser Bildung in der Schule entwickelt. Entsprechend gibt es keine einheitliche Regelung für den Religionsunterricht in der Schweiz, sondern vielmehr unterschiedlichste Organisationsformen und Modi religiöser Bildung in staatlichen Schulen. So haben z. B. die französischsprachigen Kantone Genf und Neuchâtel inzwischen keinen konfessionellen Religionsunterricht im engeren Sinne mehr, während auf der anderen Seite des Spektrums im Tessin der Religionsunterricht noch immer katholisch-konfessionell gestaltet wird. Im Kanton Zürich, das aus verschiedensten Gründen immer wieder im Zentrum der Diskussion um die Frage religiöser Bildung in der Schule steht, ist der Religionsunterricht inzwischen durch das Schulfach Religion und Kultur ersetzt worden, in dem ein religionskundlicher Blick auf das Phänomen Religion und die Glaubenspraxis der verschiedenen sogenannten Weltreligionen geworfen wird. Dieses Fach ist für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich, so dass es keine Abwahlmöglichkeit gibt. Für das Jahr 2014 ist zudem für alle Schulen in der deutschsprachigen Schweiz der sogenannte Lehrplan 21 avisiert, in dem auch die Perspektive der Religionen integriert werden soll. Dabei will dieses Curriculum die verschiedenen kantonalen Entwicklungen aufgreifen und weiterführen.
Dies ist die Ausgangssituation, in der die vier Herausgeber des vorliegenden Bandes den Versuch unternommen haben, die bisher existierenden unterschiedlichen Modelle eines Religionsunterrichts in den Kantonen des Bundesstaates Schweiz zu sichten, vorzustellen und zu reflektieren. Sie gehen dabei in einem Dreischritt vor, so dass im ersten Teil die aktuellen politischen Entwicklungen zum Thema Religion und Schule in den unterschiedlichen Kantonen der Schweiz dokumentiert werden. Hier finden sich Beiträge zu der Praxis in der Suisse romande, zum in den deutschsprachigen Kantonen vorbereiteten Lehrplan 21, zum konfessionellen Religionsunterricht in St. Gallen, zum neuen Schulfach Religion und Kultur in Zürich, zum alternativen Bildungskonzept der katholischen Kirche in diesem Bistum und zur Religionslehrerausbildung an der Universität von Luzern. Der zweite Teil des Buches widmet sich der religionspädagogischen Reflexion und didaktischen Un­tersuchung der vorliegenden Modi religiöser Bildung in der Schule in ihren unterschiedlichen Organisationsformen. Hier finden sich Beiträge zum Zusammenhang von Religion und Öf­fentlichkeit überhaupt, zur Differenz von Religionsunterricht in konfessioneller Perspektive und religionskundlich-didaktischen Konzepten, zum Selbstverständnis und zur Kompetenz von Religionslehrerinnen und Religionslehrern und zur Frage nach der Rolle des Subjekts im Religionsunterricht, und zwar sowohl im konfessionellen wie im bekenntnisneutralen. Im dritten Teil schließlich werden bestimmte Themenbereiche und Lernfelder aufgegriffen, die im konfessionellen wie religionskundlichen Unterricht von zentraler Bedeutung sind: die Gottesfrage, Jesus Christus, Bibel und heilige Schriften, ethisches Lernen, interreligiöses Lernen, Schöpfung und die Gestaltung religiöser Feste und Feiern. Der Band schließt mit einer Zusammenfassung und Auswertung der Beiträge durch die vier Herausgeber.
Durch die Vielfalt der Beiträge leistet diese Publikation zum Religionsunterricht in der Schweiz einen eminent wichtigen Beitrag in der letztendlich gesamteuropäischen Debatte um die Frage nach der Gestalt und Organisationsform religiöser Bildung in öffentlichen Schulen. Dem Herausgeberteam ist es gelungen, wichtige und repräsentative Stimmen zu sammeln, die aus den verschiedenen Kantonen die unterschiedlichen Modelle eines Religions- bzw. Religionskundeunterrichts vorstellen und entfalten. Besonders sei hier auf den einleitenden Beitrag von Ansgar Jüdicke zu den kantonalen Entwicklungen beim schulischen Religionsunterricht, auf die Darstellung von Thomas Schlag zu den jüngsten Entwicklungen im Kanton Zürich und auf die Ausführungen von Christian Cebulj zum Bildungskonzept der katholischen Kirche im Kanton Zürich verwiesen. Im zweiten Teil, also dem Reflexionskapitel, ist besonders der Beitrag von Kuno Schmid zu beachten, der die Möglichkeiten der Darstellung von Religion innerhalb der Didaktik des Sachunterrichts aufgreift und als einen gangbaren Weg im Kontext der Schweizer Palette von Ansätzen anschaulich macht. Im dritten Bereich schließlich wird an konkreten Themenbereichen aus dem Religionsunterricht anschaulich gemacht, wie sich konkret ein konfessioneller, bekenntnisgebundener Unterricht und ein religionskundlicher, bekenntnisunabhängiger Un­terricht in ihrer Darstellung und Bearbeitung von theologischen bzw. religionskundlichen Themenstellungen un­terscheiden.
Ein Wort hätte man sich zu dem Herausgeberteam und seinen Motiven gewünscht: Während ja Monika Jakobs (Universität Luzern) und Dominik Helbling (Pädagogische Hochschule Luzern) ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der Religionsdidaktik in der Schweiz sind – es sei hier auf ihre einschlägige und diskursprägende Veröffentlichung »Konfessioneller Religionsunterricht in multireligiöser Gesellschaft« (Zürich 2009) hingewiesen –, bleibt es für den nicht eingeweihten Leser rätselhaft, warum sich mit Ulrich Kropač (Eichstätt) und Stephan Leimgruber (München) zwei bayerische Religionspädagogen am Band beteiligt haben. Des Rätsels Lösung liegt in den biographischen Stationen der beiden deutschen Religionspädagogen, die sie mit der Situation in der Schweiz verbunden und vertraut gemacht haben. Unabhängig von dieser Quisquilie ist der vorliegende Band aber in jeder Weise zu empfehlen, da er zum einen im Sinne eines Grundlagenbandes die Situation des Religionsunterrichts in der Schweiz abbildet, zum anderen durch die kritische Reflexion der Gegenwartssituation Anregun gen liefert für den Diskurs über religiöse Bildung in der öffent-lichen Schule überhaupt, so also auch in der Bundesrepublik Deutschland.