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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1063–1064

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Reuter, Hans-Richard

Titel/Untertitel:

Recht und Frieden. Beiträge zur politischen Ethik.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 316 S. = Öffentliche Theologie, 28. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03179-5.

Rezensent:

Nils Ole Oermann

Dieser Band wurde 2013 in der von Wolfgang Huber und Heinrich Bedford-Strohm herausgegebenen Reihe »Öffentliche Theologie« veröffentlicht und bildet in 16 Aufsätzen Hans-Richard Reuters zu Fragen der politischen Ethik und Friedensethik im Allgemeinen und zum Verhältnis von Kirche und Staat im Besonderen die inhaltliche Spannbreite des Wirkens R.s als Direktor am Institut für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften (IfES) der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster ab.
Als Ausgangspunkt wie roten Faden des Bandes bezieht sich R. bereits in der Einleitung auf die 5. Barmer These, welche dem Staat einerseits das Recht einräumt, notfalls durch Androhung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen, aber andererseits daran die staatliche Pflicht knüpft, ein solches Handeln ethisch zu verantworten. R. wählt diesen Ausgangspunkt, weil sich in dem daraus erwachsenden Spannungsfeld der ethischen Verantwortbarkeit »empirisch die Konfliktkonstellationen zwischen Gerechtigkeit und Recht, Frieden und Gewalt, Religion und Politik« (7) historisch entfalten und nach seiner Ansicht im 21. Jh. noch verschärfen. In diesem Spannungsbogen seien die wesentlichen De­batten der Ethik des Politischen angesiedelt.
Dem tragen Inhalt und Gliederung der von R. vorgelegten 16 Beiträge thematisch wie folgt Rechnung: Zunächst skizziert R. im 1. Kapitel »Was ist gerechter Frieden« und im 2. Kapitel »Friedensethik« systematisch-theologisch wie kirchenhistorisch die Bedingungen und Positionen christlicher Friedensethik aus protestan-tischer Perspektive, um sie dann in den Kapiteln 3 bis 5 schlaglichtartig am historischen Beispiel Martin Luthers und Dietrich Bonhoeffers darzustellen. Damit schafft R. eine Verständnisgrundlage für die Darstellung der Genese einer »Kriegstheologie« am Vorabend des Ersten Weltkriegs hin zu einer evangelischen Friedensethik unter Darstellung der Widersprüche wie Konsistenzen nach dem Zweiten Weltkrieg.
In den Kapiteln »Kriegsverhütung durch Kernwaffen« (Kapitel 6) und »Zum ethischen Problem nuklearer Abschreckung« (Kapitel 7) lenkt er den Fokus dann auf jene Kontroversen, die die theologischen Debatten seiner eigenen Generation der 1960er Jahre prägten. Er unternimmt dies jedoch nicht retrospektiv, sondern im Wege einer aktuellen Relektüre der »Heidelberger Thesen« (1959), die sich dadurch gleichzeitig als historisches wie weiter Geltung beanspruchendes, fundamentalethisches Dokument lesen lassen. In den Kapiteln 8–10 folgen Beiträge mit klassischen friedensethischen Topoi zur Ethik der Versöhnung, zur Beurteilung humanitärer Interventionen (Kosovo et al.) im Zeichen einer »responsibil-ity to protect« und zum Umgang mit Terrorismus unter besonderer Berücksichtigung gefahrenabwehrender Maßnahmen innerhalb der Grenzen des demokratischen Rechtsstaates. Dies wiederum führt systematisch zur Skizze einer »Rechtsethik der Neuzeit« (Kapitel 11) und zu zwei daran anschließenden Beiträgen zur Menschenrechtspolitik sowie einer kritischen Auseinandersetzung R.s mit der relativistischen Kritik am Menschenrechtsuniversalismus (Kapitel 12 f.), was in einer Diskussion um Pflicht und Grenzen des Widerstandsrechts aus protestantischer Perspektive mündet (Kapitel 14).
Als inhaltliche Klammer schließt R. mit einer Beschreibung des Spannungsfeldes eines staatlichen Religionsverfassungsrechts im weltanschaulich neutralen Staat (Kapitel 15) im Rekurs auf Bar-men V als Ausgangspunkt des Bandes (Kapitel 16). Aus R.s Sicht ist es letztlich diese These, die die theologische Grundlage für die Be­stimmung eines angemessenen Verhältnisses von Kirche und Staat im Besonderen und das Fundament einer politischen Ethik aus protestantischer Ethik im Allgemeinen sein sollte.
Das vorgelegte Werk als Kaleidoskop von R.s Wirken am Münsterschen Institut für Ethik und Angrenzende Sozialwissenschaften (IfES) setzt in mehrerer Hinsicht Maßstäbe. Zum einen gelingt es ihm, im Rekurs auf Barmen V als theologisches Fundament politischer Ethik aus protestantischer Perspektive einen Aufsatzband vorzulegen, bei dem so kontroverse wie divergente Themen der politischen Ethik, der Rechtsethik und der Friedensethik nicht beziehungslos nebeneinander verhandelt werden, sondern thematisch einander befruchten. Atomare Abschreckung und Luthers Diskussion des Friedensproblems werden nicht getrennt, sondern sind durch R.s Komposition aufeinander beziehbar, genauso wie Dietrich Bonhoeffers Weg vom christlichen Pazifismus zum aktiven Widerstand historisch auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs beziehbar ist und die theologischen Kontroversen um die Nach-rüstungsdebatte in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Besonders stark sind jene Beiträge, in denen R. auf theologische Arbeiten in seiner aktiven Zeit als Institutsdirektor rekurriert, etwa mit Blick auf den Kosovo-Krieg oder auf die Debatte um Terrorismus nach dem 11. September 2001. Umgekehrt ist R.s fundamen-tal­ethische Antikritik an dem relativistischen Umgang mit der Frage eines Menschenrechtsuniversalismus darum systematisch-theologisch besonders stark, weil es R. durch Bezug auf Kants vierte an­thropologische Grundfrage der Philosophie gelingt, eine theologisch begründete Anthropologie als »nicht substituierbare kulturelle Voraussetzung« (248) dessen zu qualifizieren, was ihrerseits Menschenwürde begründet.
R. gelingt es in diesem Band, als Systematischer Theologe politische Ethik protestantisch zu qualifizieren und zu pointieren. Einzig offen bleibt am Ende Folgendes: Sein Band erscheint in der Reihe »Öffentliche Theologie«. Hier hätte man sich einen Beitrag dazu gewünscht, wie eine »nicht-öffentliche Theologie« denn überhaupt aussehen könne. Denn alle 16 Beiträge sind ein beredtes Zeugnis dafür, dass es politische Ethik aus protestantischer Perspektive immer nur im öffentlichen Raum geben kann. Genau darum ist dem Buch eine breite öffentliche Rezeption innerhalb, aber auch außerhalb der evangelischen Theologie zu wünschen.