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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1061–1062

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

O’Donovan, Oliver

Titel/Untertitel:

Self, World, and Time. Ethics as Theology. Vol. 1: An Induction.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2013. XXII, 138 S. Kart. US$ 25,00. ISBN 978-0-8028-6921-0.

Rezensent:

Christine Schließer

»Omit needless words.« Wie bereits in seinen vorhergehenden Werken zeigt sich Oliver O’Donovan auch in Self, World, and Time, dem ersten Band seiner Trilogie Ethics of Theology, als Vertreter dieses Diktums von William Strunk Jr. Auf 138 Seiten findet sich in sechs Kapiteln die stark verdichtete Darstellung von »form and matter of Christian Ethics as a discipline, in relation to its material (moral thought and moral teaching), its setting among the humanistic faculties of study, and its proper shape, a triadic trajectory in which self, world, and time are reflected and restored« (XI). Ein Ausblick auf die folgenden zwei Bände, Finding and Seeking sowie Entering into Rest wird im Schlusskapitel »The Trajectory of Faith, Love, and Hope« gewährt.
Bereits der Untertitel Ethics as Theology macht eine grundlegende inhaltliche Vorentscheidung explizit: Die Möglichkeitsbedingungen ethischen Denkens führen unweigerlich in theologisches Terrain. Der zweite Untertitel An Induction deutet auf die strukturelle und methodologische Anlage des Buches hin. Ausgehend von dem Faktum universal zugänglicher moralischer Erfahrung fragt der Vf. nach den unhintergehbaren Bestandteilen dieser Erfahrung, um anschließend aufzuzeigen, dass diese nur vor dem Hintergrund eines Gottes, der uns ruft, ihre letztliche Deutbarkeit erhalten. Die Trias im Titel benennt diese Kernbestandteile moralischer Erfahrung: das Selbst als moralischer Akteur, die Welt als das Feld seines Handelns und der zeitliche Horizont, in dem alles Handeln stattfindet.
»Moral experience«, so die These des ersten Kapitels »Moral Awareness«, »is not constructed or achieved out of non-moral ex-perience; it is woken up to« (3). Mit der Entdeckung der moralischen Erfahrung gehe das Bewusstsein einher, dass wir uns im pauli-nischen Sinne schon immer als Schuldner vorfinden (Röm 8,12), gegenüber uns selbst, unserer Welt und unserer Zeit. Die Trias selbst sowie die praktische Vernunft, die diese durchdringt, er­scheinen am Ende als inadäquat und werden christologisch aufgelöst: »World, self, and time themselves melt into nothingness […] A wider wisdom is required […] Christ the center of the world, the bridegroom of the self, the turning-point of past and future« (19). Die Ethik öffnet sich der Theologie.
Nur auf den zweiten Blick erschließt sich, dass die nun folgenden drei Kapitel mit den drei Grunddimensionen self, world und time korrespondieren. Das zweite Kapitel »Moral Thinking« ist der ethischen De­liberation des Aktanten, des self, gewidmet. In einer Tour de Force werden grundlegende Konzepte der Ethik – von Aristoteles über Hume bis Jüngel, vom »Guten« und »Richtigen« über die Pflicht bis zum Gewissen – diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die differenzierten Beobachtungen des Vf.s zu Verantwortung, die er letztlich im Bonhoefferschen Sinne theologisch ausdeutet: »God’s call to us to serve him is the content of our resonsibility« (38).
Im dritten Kapitel »Moral Communication« werden diese Überlegungen mit den Gegebenheiten der Welt in Beziehung gesetzt. Dabei kommt der Kommunikation, insbesondere in ihren spezifischen Formen als Rat, Autorität und Lehre, ein zentraler Stellenwert für das ethische Nachdenken zu. Im Rückgriff auf sein Buch Resurrection and Moral Order (2. Auflage 1994) macht der Vf. den inneren Zusammenhang dieser Kommunikationsformen mit seinem Freiheitsverständnis deutlich: »Authority is the correlate of freedom: within our social communications the moment of initiative is given to us« (54 f.).
Unter der Überschrift »Moral Theory« nimmt sich der Vf. einer von ihm diagnostizierten Forschungslücke an, »the development of Protestant Ethics, [which] is hardly studied and little understood« (68), und situiert sein eigenes Verständnis dieses Unternehmens vor dem Hintergrund des skizzierten Zeitrahmens. Dabei stellt er die Normativität der Ethik heraus, bezogen auf »the way we think about what we do rather than to the concrete acts themselves« (88). Die Erläuterungen des Vf.s zur notwendigen gegenseitigen Ergänzung von philosophischer und theologischer Ethik sind aufschlussreich, auch wenn seine Ansicht über das Unvermögen philosophischer Ethik »to reach moral conclusions of its own« (76) nicht unwidersprochen bleiben wird.
Das fünfte Kapitel »The Task of Moral Theology« nimmt in mancherlei Hinsicht eine Schlüsselposition ein; die Fäden der vorangegangenen Kapitel werden hier aufgenommen und miteinander verknüpft. Die Grundelemente moralischer Erfahrung »awareness of self […] world […] time«, die dem ethischen Denken Struktur verleihen, bilden – »recovered and converted« – zugleich die Grundstrukturen der theologischen Ethik: »›faith,‹ ›love,‹ and ›hope‹« (97). Eine genauere Explikation der jeweiligen Zuordnungen wird im erwähnten Schlusskapitel ansatzweise vollzogen, doch dient dieses vor al­lem der Vorausschau auf die noch folgenden zwei Bände der Trilogie.
Mit diesem ersten Band entwickelt der Vf. eine herausfordernde Synthese philosophischer und theologischer Ethik, in der die universale Rationalität ethischer Argumentation ebenso ernst genommen wird wie der unverzichtbare Beitrag christlicher Ethik zum allgemeinen Unternehmen Ethik. Beachtlich ist dabei die Nonchalance, die den Umgang des Vf.s mit den biblischen Texten kennzeichnet, unbehelligt von möglichen Problemen ihres historischen Ursprungs oder ihrer Autorität. Die Dichte des Textes lässt einen ungeheuren Fundus an Gelehrsamkeit durchblicken, doch hinterlässt sie auch eine gewisse Unbefriedigung: Vieles wird angerissen, doch nur wenig entwickelt. Die Neugierde auf die folgenden zwei Bände ist damit jedenfalls geweckt.