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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1058–1061

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Murphy, Nancey, and Christopher C. Knight [Eds.]

Titel/Untertitel:

Human Identity at the Intersection of Science, Technology and Religion.

Verlag:

Farnham u. a.: Ashgate 2010. VIII, 243 S. m. 2 Abb. = Ashgate Science and Religion Series. Lw. £ 70,00. ISBN 978-1-4094-1050-8.

Rezensent:

Matthias Heesch

Zu den immer dringlicher werdenden Aufgaben theologischer Reflexion in Technologiegesellschaften gehört die Besinnung auf die Verortung eines spezifisch christlichen Wirklichkeitsverständnisses gegenüber gegenwärtigen naturwissenschaftlichen und vor allem technischen und nachfolgenden sozialen Entwicklungen. Angesichts von deren nicht erst gegenwärtiger Beschleunigung erscheint der Brückenschlag zu den klassischen Reflexionsgestalten des Christlichen im biblischen und reformatorischen Zeugnis und in dessen (im weitesten Sinne) neuprotestantischen Weiterentwicklungen immer schwieriger. Das drückt sich auch darin aus, dass die technische Welt der theologisch-ethischen und zeitdiagnostischen Reflexion immer neue Themen aufgibt. Den Versuch einer multiperspektivischen Übersicht über solche Themen angesichts der Gegebenheiten des ansatzweise schon fortgeschrittenen 21. Jh.s unternimmt der nachfolgend zu besprechende Aufsatzband.
Das die Beiträge vereinigende Problembewusstsein besteht in der Einsicht, dass die für die Lebenswelt sehr folgenreiche technisch-naturwissenschaftliche Entwicklung grundlegende bzw. grundstürzende Folgen hat für die menschliche Identität und für deren Kernaspekt, die Subjektivität (4 f. u. ö., Murphy). Näherhin ist es besonders die, auch in anderweitigen Zusammenhängen schon hinterfragte, Kategorie des Abhängigkeits- und Freiheitsbewusstsein implizierenden Selbstbewusstseins, d. h. des in gelingender oder misslingender, bedingter und schon deswegen endlicher Freiheit existierenden Subjekts, die grundsätzlich und erst recht in der technologischen Hochmoderne fundamental infrage steht (7.20 f. u. ö., Murphy). Dieses ist zwar theologisch nie unumstritten ge-wesen, gleichwohl gehört die Subjektskategorie zu den in der westlichen Theologie seit Augustin fundamentalen Konzepten (4, Murphy). So stellt sich die Frage nach der Zukunft, nach der Revisionsbedürftigkeit, aber auch nach den womöglich zu bewahrenden Wahrheitsmomenten dieser Überlieferung. Diese Suche setzt voraus, dass der Subjektsgedanke und seine, das Soziale stärker in den Blick nehmenden, Folgegestalten zumindest in dem Sinne Relevanz besitzen, als sie ihrerseits eine aus sachlichen Gründen festzuhaltende Grenzziehung gegenüber den Ansprüchen des na­turwissenschaftlich-technologischen Wirklichkeitsverständnis­ses dar­stellen (10–13, Murphy). Angesichts einer solchen Grenzziehung kann dann auch die Eigenart und die Zukunft von Humanität so bestimmt werden, dass diese nicht nur als, lediglich wegen ihrer Modifizierbarkeit geduldetes, Epiphänomen technischer Prozesse verstanden wird, sondern als normative Grundkategorie, anhand derer sich technische Prozesse beurteilen und gegebenenfalls korrigieren lassen (13–21, Murphy). Das ist dann auch der Rahmen, innerhalb dessen nach dem spezifisch christlichen Beitrag zur Gestaltung der technologisch geprägten Gesellschaft gefragt werden kann (21 f. u. ö., Murphy). Das in der Einleitung entwickelte Programm gibt in diesem Sinne die thematische Folge der in dem Band versammelten Beiträge vor.
Grundlegend wichtig ist es, dem reduktionistischen Anspruch der Naturwissenschaften eine Alternative entgegenzustellen. Diese Alternative besteht in dem auf die pragmatistische Religionsphilosophie zurückverweisenden Hinweis auf die lebensweltliche Gegebenheit und daseinsprägende Macht des religiösen Glaubens (30 u. ö., Knight). Von dieser Einsicht her lässt sich zwar nicht die Gegenständlichkeit religiöser Vorstellungen begründen, sehr wohl aber lässt sich von hier aus gegen einen, letztlich den Wirklichkeitszugang des Menschen auf ideologische Weise verkürzenden, Szientismus argumentieren (31–33, Knight). Eine philosophische Vertiefung solcher Einsichten bietet die Erinnerung an C. S. Peirce (1839–1914), den neben W. James bedeutendsten Vertreter der pragmatistischen Religionsphilosophie. Peirce hat ein Wirklichkeitsverständnis vertreten, das den bedeutungshaften Verweisungs-cha rakter eines jeden in der Erfahrung gegebenen Sachverhalts betont. Die Reduktion des Vorfindlichen auf angebliche reine Fakten ist also eine die Realität verfehlende ideologisch begründete Annahme, die positivistische Religionskritik demzufolge katego-rial fehlerhaft (40–50, LeRon Shults), sie mündet in einen dem religiösen Fundamentalismus durchaus vergleichbaren Wissenschaftsfundamentalismus aus (74–76 u. ö., Ellis).
Diese Überlegungen leiten zu der Frage über, worin denn die Einzigartigkeit des Menschen inmitten einer technisch verfügbaren Natur besteht. Von der Beantwortung dieser Frage hängt dann auch die Frage nach der erkenntnistheoretischen Legitimität der Rede von der Theonomie des Menschen ab. Diese Einzigartigkeit soll sich nun nicht aus der Natur des Menschen im biologischen Sinne ergeben – hier ist er vielmehr an die biologischen Grundlagen allen Lebens und somit auch auf die Benachbartheit mit allen anderen Lebewesen verwiesen –, sondern vielmehr aus der Beziehungshaftigkeit des Menschen, zunächst gegenüber seinesgleichen (113–115, Brown). Von hier aus kann dann sowohl die Relation des Menschen zur Natur, die zunächst vor allem in der leiblichen Verfasstheit eines jeden Menschen präsent ist, bestimmt werden, wie auch die Theonomie des Menschen, sein Existieren als imago dei, erkenntnistheoretisch und ethisch konsistent gedeutet werden (158–163, Hewlett). Menschliche Existenz ist in gewisser Weise auf die verschiedenen dynamischen Relationen verteilt (distri-buted, 165–178, Wildman), womit sie letztlich mehr Ereignis- als Substanzcharakter trägt (178, Wildman). Das macht diese Identität einerseits anfällig für Einwirkungen, andererseits scheint sie aber kategorial auf einer Ebene zu liegen, die technologischer Einwirkung nicht ungehindert zugänglich ist. Das gilt zunächst in einem normativen Sinn:
Im christlichen Glauben erfahren wir uns als Geschöpfe, die mit einer bestimmten Ausstattung und Beauftragung in der als Schöpfung geglaubten Welt leben und daraus auch die Grenzen unserer Lebensgestaltung empfangen (212 f. u. ö., Waters). Es gilt aber ganz offensichtlich auch im deskriptiven Sinne, denn alle Versuche, mit technischen Methoden die menschliche Natur (dem Anspruch nach) zu verbessern, verfangen sich in Ambivalenzen, die, um ihnen nicht zu verfallen, den Menschen eben auf seine Grenzen verweisen (224–238 u. ö., Peters). Von diesen Grenzen weiß insbesondere das Alte Testament zu reden (216 f., Peters), während das Neue Testament den Menschen von der christologischen Perspektive her denkt und damit seine Vollendung in einen Kontext rückt, der kategorial auf einer völlig anderen Ebene liegt als alles, was mit Hilfe technischer Verfahren an dafür gehaltenen Optimierungen möglich sein könnte (220 f., Peters). Die posthuman vision (198–201 u. ö., Waters) bricht sich also an den mit ihr verbundenen Ambivalenzen und an den, diesen Ambivalenzen sozusagen geschichtlich-vorgreifend Rechnung tragenden, anthropologischen Grundeinsichten der biblischen Überlieferung.
Die für einen Sammelband bemerkenswert konsistent aufgebaute Aufsatzfolge (die einzelnen Aufsätze werden auch als Kapitel [chapter] bezeichnet, was den durchaus eingelösten Anspruch auf eine zusammenhängende Argumentation unterstreicht) bietet zunächst beherzigenswerte Überlegungen und überzeugt auch mit ihrer Umsetzung des Projekts, den technologisch begründeten bzw. für möglich erklärten »Posthumanismus« einer theologisch begründeten Kritik zu unterziehen.
Zwei Einwände bleiben dennoch: Zunächst sind die gebotenen Argumente – was freilich nicht gegen deren Stichhaltigkeit im hier gegebenen Anwendungsfall spricht – nicht wirklich originell, sondern entstammen in ihren Grundzügen den Debatten um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer wissenschaftlichen Weltanschauung, wie sie seit Ende des 19. Jh.s in Europa (etwa: Nietzsche, Dilthey, Husserl, Bergson) und in den USA (James, Peirce u. a.) geführt worden sind. Dabei ging es letztlich immer um die Frage, ob Wirklichkeit mit dem Gegenstandsbereich von Wissenschaft gleichzusetzen ist oder ob Wissenschaft nur einen Ausschnitt aus dem Gesamten der Wirklichkeit in bestimmten Hinsichten präsentiert. Diese Frage gehört zu den sachlich zwingend zu behandelnden Fragen im Vorfeld jeder Diskussion über das Thema Glaube und modernes Wahrheitsbewusstsein. Zwar ist es jederzeit zu akzeptieren, dass ein Gegenwartsproblemen gewidmetes Werk sich nicht in jeder Ausführlichkeit mit der allenfalls relevanten Theoriegeschichte befassen kann. Dennoch wäre es wichtig gewesen, diesen theoriegeschichtlichen Aspekt, der in dem Band nur in einer geschlossenen Darstellung zu Peirce zu seinem Recht kommt (41–50, LeRon Shults), jedenfalls so weit einzubeziehen, dass das sachliche Niveau der semiotisch, lebensphilosophisch oder phänomenologisch begründeten Positivismuskritik für die Diskussion heutiger Probleme hätte dienlich werden können. Das geschieht leider nicht immer: Teilweise leiden die Beiträge demgegenüber an einem recht naiven Bibel- und Dogmenpositivismus (z. B. 216–224, Peters). Gegen die zentrale Einbeziehung der biblischen und dogmatischen Überlieferung ist selbstverständlich kein Einwand zu erheben. Man müsste aber die hermeneutischen Prämissen klären, unter denen das geschieht. Sonst entsteht der Eindruck, man habe angesichts übergroßer Unübersichtlichkeit der modernen Lebenswelt und übergroßer Fraglichkeit jeder normativen Orientierung in dieser Lebenswelt den Weg in die – vermeintliche – Komplexitätsreduktion gewählt. Die hier behandelte Aufsatzsammlung kann diesen Eindruck in der Tat nicht immer ganz umgehen. Trotzdem macht sie das Orientierungspotential eines christlichen Humanismus im unübersichtlichen Geschehen der technologischen Spätmoderne alles in allem recht deutlich und hat darin ihre Berechtigung.