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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1054–1056

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hoesch, Matthias, Muders, Sebastian, u. Markus Rüther [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Glück – Werte – Sinn. Metaethische, ethische und theologische Zugänge zur Frage nach dem guten Leben.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2013. VI, 310 S. Geb. EUR 109,95. ISBN 978-3-11-028146-0.

Rezensent:

Michael Roth

Das Comeback der Frage nach dem guten Leben bildet den Ausgangspunkt des vorliegenden Sammelbandes. Ein großer Teil der Beiträge des Bandes geht auf ein Symposium mit dem Titel »Philosophie, Theologie und die Frage nach dem guten Leben« zurück, das im Juni 2011 in Münster stattfand.
Der erste Teil des Bandes (»Grundlegungen«) vereinigt Beiträge, die sich theoretischen Grundlegungsfragen hinsichtlich des guten Lebens widmen. Holmer Steinfath (13–33) betont – im Anschluss an Charles Taylor – die Notwendigkeit von »starken Wertungen«, mit Hilfe derer wir unsere Wünsche und Neigungen bewerten. Nach Steinfath kann es nicht genügen, dass wir unsere Präferenzen in eine kohärente Ordnung bringen und sukzessive deren Realisierung planen (vgl. 18). Von hier aus fragt er – in Auseinandersetzung mit einem realistischen Verständnis von Werten und einem Werteverständnis, das unsere Bewertungen schlicht auf unser Wollen zurückführt – nach der »Bindungskraft« (22) an die Werte und erörtert, inwiefern diese sich einer »Dialektik […] von intersubjektiver Bewährung und emotionaler Beglaubigung« (31) verdankt. Angesichts der Aufnahme des Themas »Glück« in den empirischen Wissenschaften, die gesicherte Tatsachen und »eine belastbare allgemeine Theorie des Glücks« (38) versprechen, geht Kurt Bayertz (35–47) der Frage nach, ob der Philosophie innerhalb des Glücksdiskurses noch mehr bleibt, als »das Schicksal, die pensionsreife Themen-souffleuse für die empirische Forschung zu geben« (39). Bayertz stellt nicht in Abrede, dass die philosophische Theoriebildung die Resultate der empirischen Forschung künftig zu berücksichtigen habe, allerdings könnten »die begrifflichen Grundlagen ihrer empi-rischen Untersuchungen […] nicht selbst vollständig mit empi-rischen Mitteln formuliert werden. Sie ist daher auf einen Denk- und Argumentationstypus angewiesen, der eher für die Philosophie charakteristisch ist« (46). Die Beiträge von Markus Rüther (49–72) und Peter Schaber (73–88) fragen nach einer Rehabilitation objektiver Theorien des guten Lebens gegen subjektivistische Kritik. Rüther geht dieser Frage nach, indem er die Einwände gegen objektive Theorien bedenkt (vgl. 51–58) und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen versucht. Vor allem der Einwand, dass bei einer objektiven Theorie für alle Menschen ein Gegenstand gleichermaßen wertvoll sei, kann nach Rüther nicht überzeugen: Eine objektive Theorie »kann mit Blick auf den Geltungsradius variabler sein, als viele Kritiker unterstellen. Dass etwas in einem objektiven Sinne für eine Person wertvoll ist, impliziert nicht, dass dies immer auch für alle anderen Personen in gleicher Weise wertvoll ist. Das ethisch Gute weist vielmehr eine gewisse Subjektrelativität auf, die darin besteht, dass es nicht indifferent zu dem ist, was Personen sind« (62). Auch Peter Schaber, der dezidiert für eine objektive Theorie des Guten argumentiert, trägt der Subjektrelativität des Guten Rechnung: »Das, was gut ist für Personen, ist dem, was sie sind, nicht fremd« (85). Daher unterscheidet er zwischen einem »schwachen Objektivismus« und einem »starken Objektivismus«: Könne der starke Objektivismus der Subjektrelativität keine Rechnung tragen, so bestehe der Vorteil des schwachen Objektivismus darin, »dass er das, was im prudentiellen Sinn gut ist für Personen, […] an das zu binden vermag, was Personen sind« (87).
Der zweite Teil des Bandes (»Abgrenzungen«) nimmt Abgrenzungen von verwandten Begriffen vor, die in der Debatte um das gute Leben eine Rolle spielen. Ludwig Siep (91–107) bedenkt den Unterschied von einem guten Leben und einem sinnvollen Leben, indem er den Begriffen »Leben« und »Sinn« nachgeht und »Kriterien und Bestandteile eines sinnvollen Lebens« (vgl. 98–104) entwickelt, die von einer Pluralität von Kriterien und Weisen sinnvollen Lebens ausgehen. Dabei verhält sich Siep kritisch zu der Rede von dem Sinn des Lebens im Singular, die davon ausgeht, »dass es letztlich nur einen oder jedenfalls den hinter allen vorläufigen liegenden letzten Sinn geben muss« (104). Thaddeus Metz (109–125) fragt nach der Unterscheidung von sinnvollem und lebenswertem Leben, indem er Argumente bedenkt, die für eine Identität sprechen, darüber hinaus nicht tragfähige Argumente erörtert, die diese Argumente infrage stellen, und schließlich eigene Argumente vorträgt, die eine Identität bestreiten. Mit der Scheidung der Begriffe erhofft Metz, ein klareres und reicheres Verständnis davon zu gewinnen, was ein gutes Leben ist, »nämlich eines, in dem das Sinnvolle und das Lebenswerte in der Praxis zusammenfallen« (124). Peter Strasser (127–142) nimmt die Unterscheidung von einem guten Leben und einem Leben, das gut genug ist, in den Blick. Auch wenn ich mein unvollkommenes Leben am Ende als unvollkommen und (nur) als »gut genug« erkenne, bedürfte es dafür des Idealbildes eines guten Lebens als Orientierung der menschlichen Existenz. Die klassische Frage nach dem Zusammenhang von Tugend und Glück stellt Chris­toph Halbig (143–173) in das Zentrum seiner Überlegungen, indem er verschiedene Dimensionen dieses Zusammenhangs unterscheidet und erkundet, wie diese Dimensionen sich zueinander verhalten. Zwar – so zeigt Halbig – fallen Tugend und Glück nicht zusammen, aber doch spielen »einige Tugenden eine konstitutive Rolle für grundlegende prudentielle Werte« (167).
Unter der Überschrift »Perfektionismus« vereinigt der dritte Teil der Aufsatzsammlung Beiträge, die sich mit der Leitidee einer Vervollkommnung menschlicher Anlagen auseinandersetzen. In seinem Plädoyer für eine »nicht-naturalistische Version einer ob­jektiven, schwach perfektionistischen Konzeption des ›guten Lebens‹« (177) teilt Franz Josef Bormann (177–194) mit Rüther und Schaber das Interesse, eine Subjektrelativität zur Geltung zu bringen (vgl. 190). Die Pointe findet diese Konzeption in der Fokussierung auf die Handlungsfähigkeit der Person: Weil die Situation des Handelns für den Menschen alternativlos sei, scheine es »naheliegend […], in der individuellen Handlungsfähigkeit den für die ›schwache Theorie des Guten‹ entscheidenden Bezugspunkt für eine objektive Güterlehre zu erblicken« (188). Sebastian Muders (195–217) setzt Tugendethik und Liberalismus in ein Verhältnis und kommt zu dem Ergebnis, dass eine schwache Berücksichtigung der autonomen Entscheidungen ausreiche, subjektivistische Intuitionen, welche die Frage nach der guten Lebensführung als höchstpersönliche Angelegenheiten betrachten, zu befriedigen (vgl. 211 ff.). Matthias Hoesch (219–241) versucht »Pflichten gegen sich selbst als Grundlage einer objektiven Theorie des guten Lebens zu wählen« (225).
Der Frage, inwiefern eine »objektivistische Theorie des guten Lebens auf das Transzendente angewiesen ist« (7), widmen sich Beiträge des vierten Teils der Aufsatzsammlung (»Transzendenz«). Jörg Disse (245–264) geht der Frage nach, ob »das gute Leben darin [besteht], sich vom Interesse des Individuums am eigenen Glück leiten zu lassen oder vom Interesse der Vernunft an der universalen Verwirklichung des Guten um seiner selbst willen« (245). Disse will diese Frage mit Hilfe einer Analyse des Theismus und des Atheismus, die er merkwürdigerweise als »Lebensformen« charakterisiert, beantworten. Nach Disse besteht »[f]ür den Atheisten […] das gute Leben grundsätzlich in der Glücksmaximierung in diesem Leben, für den Theisten in der universalen Verwirklichung des Guten um seiner selbst willen« (263). John Cottingham (265–290) geht von dem »transzendenten Drängen« aus, von dem menschliche Wesen »be­sessen« (266) sind, und beleuchtet »drei Aspekte des sichtbaren menschlichen Verlangens nach dem Transzendenten« (268), die kosmologische, die ästhetische und die moralische Dimension, um zu zeigen, »in welchem Ausmaß der religiöse Glaube unseren Bestrebungen eine Heimat bietet« (286 f.). Die schöpferische Macht habe »unsere Natur derart eingerichtet, dass wir wahre Erfüllung nur im Nachspüren dieser Werte finden können« (287). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Cottingham einfach einen unzulässigen Schluss von einem »transzendenten Verlangen« auf einen »transzendenten Gegenstand dieses Verlangens« (267) zieht. Statt eines »zwingenden Arguments« versucht er vielmehr an die »Integrität« des Lesers (287) zu appellieren, »sich gegenüber dem Charakter der eigenen gelebten menschlichen Erfahrung aufrichtig und wahrhaftig zu verhalten« (268 f.). »Lebensfülle, Erlösung und Seligkeit« thematisiert Sigrid Müller (291–303) und nimmt dabei einen christlich-theologischen Blickwinkel ein. Mit der »Erfahrung der Erlösung« (294) und der »Hoffnung auf Auferstehung« (296), die auch Sterblichkeit und Fehlbarkeit in das Leben zu integrieren vermögen, beansprucht Müller keine detaillierte Beschreibung, sondern »Elemente und Perspektiven« zu bedenken, »die als Charakteristika eines ›guten Lebens‹ aus christlicher Sicht angesehen werden können« (293).
Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem Personen- und einem Begriffsregister (305–306.307–310).
Die Einleitung (1–9) markiert als Absicht des Sammelbandes »die neue Vielfalt an Fragen, die unter dem Stichwort ›gutes Leben‹ zusammengefasst werden, möglichst breit und unter Einbeziehung der neusten Entwicklungen abzudecken« (3). Dies ist auf hervorragende Weise gelungen. Der Sammelband ist durchdacht und sorgfältig konzipiert, die unterschiedlichen Beiträge sind durchweg gut lesbar, profiliert und spiegeln den aktuellen Stand der Forschung wider. Eine Bereicherung in jeder Hinsicht!