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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

676–678

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Müller, Klaus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Fundamentaltheologie. Fluchtlinien und gegenwärtige Herausforderungen. In konzeptueller Zusammenarbeit mit G. Larcher.

Verlag:

Regensburg: Pustet 1998. 459 S. gr.8. ISBN 3-7917-1589-5.

Rezensent:

Ludwig Hagemann

Der von K. Müller herausgegebene Sammelband mit zwanzig Beiträgen geht vier Themenkomplexe an: I. Selbstverständigungen gegenwärtiger Fundamentaltheologie (G. Essen, H. G. Türk, E. Arens, K. Müller, G. Neuhaus); II. Hermeneutische Debatten (H.-G. Stobbe, K. Wenzel, H. Verweyen, S. Wendel); III. Interdisziplinäre Horizonterweiterungen (J. Manemann, M. Bongardt, R. Esterbauer, C. Wessely, G. Larcher, R. Zwick); IV. Ekklesiologische Koordinantenverschiebungen (B. Stubenrauch, L. Koelle, J. Werbick, J. Meyer zu Schlochtern, H. Wagner).

In der Tradition des 1980 in Brescia erschienenen Bandes von R. Latourelle und G. O’Collins, Problemi e prospettive di teologia fondamentale (dt.: Probleme und Aspekte der Fundamentaltheologie. Innsbruck-Wien 1985) will dieser Sammelband laut Herausgeber den seither eingeschlagenen Weg kritisch überdenken und die Fundamentaltheologie für kommende Herausforderungen rüsten, habe sich doch die Diskussionslage nach ca. zwanzig Jahren grundlegend verändert (Vorwort, 13 f.).

K. Müller, ein Schüler des Freiburger Fundamentaltheologen Verweyen, sieht sich ganz dem Ansatz seines Lehrers verpflichtet, der in seinem Buch "Gottes letztes Wort" den Grundriß seiner Fundamentaltheologie skizziert hat. Wie Verweyen besteht auch Müller auf einer philosophisch ansetzenden "Letztbegründung" des christlichen Glaubens (77-100). - Selbst im christlichen Lager nicht unumstritten, verschärft sich die Fragestellung "Wieviel Vernunft braucht der Glaube?" (77) nochmal, bezogen auf die großen Weltreligionen. Welche Rolle diese Frage im Konzert dieser Religionen spielt, ist bis dato unbeantwortet geblieben. Was Müller "nebenher bemerkt" (96, Anm. 46), wenn er von einer "Situation kultureller Gleich-Gültigkeit" spricht, dann trifft diese Charakterisierung für nichtchristliche Religionen wie Hinduismus oder Islam überhaupt nicht zu. Die ausgesprochen westliche Perspektive verstellt hier den Blick für völlig andersartige gesellschaftliche Entwicklungen dort.

H. Verweyens Konzept einer erstphilosophischen Glaubensverantwortung, grundgelegt in seinem o. g. Buch, erfährt in seinem Beitrag "Theologische Hermeneutik heute" (177-191) eine nochmalige Bestätigung, aber auch Erweiterung aus der Sicht des Autors. Anhand des für ihn zentralen Begriffs "Zeugnis" exemplifiziert Verweyen die innere Verbindung tradierter Inhalte mit dem, der davon Zeugnis gibt. Nur so kann nach ihm die "göttliche Unbedingtheit in geschichtlicher Kontingenz" realisiert und vermittelt werden (186 f.). K. Müller schreibt im Vorwort, das das Anliegen des Sammelbandes deutlich machen soll, zu Verweyen: Sein "Ansatz zeichnet sich aus, unbeeindruckt von einem gegenläufigen mainstream in Philosophie und Theologie hermeneutische Verfahren nicht aus einer Verpflichtung auf Begründungsverfahren zu entlassen, über die hermeneutische Verfahren nach seiner Überzeugung überhaupt erst Sinnansprüche reklamieren können. Wegen genau dieser integrativen Leistung (und nicht als elder statesman seriositatis causa) gehört Verweyen als einziger der in diesem Band beteiligten Autorinnen und Autoren auch zur Gruppe derer, die in der ... Neuformierung der Fundamentaltheologie mit einem markanten Gesamtkonzept von sich reden machten" (15 f./Kursiv v. R.).

Doch nicht alle Autoren passen sich dem von Müller dezidiert vertretenen Konzept einer philosophischen Letztbegründung des Glaubens an. Genannt sei E. Arens (59 ff.) ebenso wie J. Manemann (217 ff.), der zur gesellschaftskritischen Dimension der Fundamentaltheologie Stellung nimmt und einen knappen Überblick über entsprechende Entwürfe der jüngeren Theologiegeschichte gibt (Theologie der Revolution; Politische Theologie; Theologie der Befreiung; Feministische Theologie). E. Arens Beitrag gibt einen Abriß über die Geschichte der Sprach- und Handlungstheorien, verbunden mit deren theologischer Rezeption, ohne auf sein Verständnis von Fundamentaltheologie nochmals zu rekurrieren. Wenn dagegen G. Essen die "Fundamentaltheologie vor dem Anspruch des Freiheits- und Autonomiedenkens der Neuzeit" (36) diskutiert und in diesem Zusammenhang eine Theologie einfordert, die sich dem Anspruch der autonomen Vernunft stellt, steht auch er für jenen Ansatz ein, den u. a. Müller vertritt.

Zu Anliegen und Problematik kontextueller Theologien äußert sich M. Bongardt (243 ff.), zur "Theologie der Religionen" B. Stubenrauch (349ff.). Warum sein Beitrag dem IV. Kapitel "Ekklesiologische Koordinatenverschiebungen" zugeordnet wurde, ebenso der von L. Koelle "... die Wurzel trägt dich" (369 ff.) ist kaum nachzuvollziehen. Die Differenzierung in "ad extra" und "ad intra", die Müller zur Rechtfertigung anführt (17), wirkt gekünstelt. Ausgesprochen ekklesiologischen Themen widmen sich J. Werbick (389 ff.), J. Meyer zu Schlochtern (411 ff.) und H. Wagner (427 ff.). Wagner wendet sich der ökumenischen Dimension der Ekklesiologie zu, Meyer zu Schlochtern fragt nach dem sprachlogischen Status ekklesiologischer Prädikationen (z. B. Leib Christi, Volk Gottes, Communio etc.), und J. Werbick greift auf ein immer wieder aktuelles Thema zurück: den Dissens zwischen der christlichen Botschaft zum einen und der Kirche als Institution zum anderen? Kurz: Läßt sich die Botschaft institutionalisieren?

Die ganze Palette der beigesteuerten Artikel kann im knappen Rahmen dieser Rezension nicht vorgestellt werden. Erwähnt seien noch die Beiträge von H.-G. Stobbe (121 ff.) und K. Wenzel (151 ff.), die sich neben Verweyen der hermeneutischen Diskussion stellen. Nicht unerwähnt bleiben soll der Beitrag von R. Esterbauer über das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften (261 ff.). Er unterscheidet verschiedene Antwortmodelle auf naturwissenschaftliche Thesen und Ansprüche und glaubt, daß "das zur Zeit wesentliche Problem im Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie die Klärung der Methodenrelationen" ist.

Der in konzeptioneller Zusammenarbeit mit G. Larcher entstandene Sammelband greift eine Fülle von Themen auf, die in der gegenwärtigen Fundamentaltheologie diskutiert werden. Wenn es ihre Aufgabe ist, Rechenschaft über den (christlichen) Glauben zu geben, dann wird es sicherlich noch weitere Möglichkeiten geben als der im Anschluß an Verweyen von Müller vertretene erstphilosophische Ansatz einer sogenannten Letztbegründung des Glaubens. Darüber wird - denke ich - im fundamentaltheologischen Raum weiterhin verhandelt werden müssen. Wünschenswert darüberhinaus wäre die Debatte um eine zu konzipierende "Theologie der Religionen", die nichtchristlichen Objektionen standhält und sich nicht mit innerchristlichen Argumentationsmodellen begnügt.

Daß dieser Sammelband nicht für sich beanspruchen kann, das vielfältige und vielschichtige Bild der Fundamentaltheologie in unseren Breiten insgesamt widerzuspiegeln, sondern gewisse präsentische Problemstellungen zu reflektieren sucht, versteht sich von selbst. In diesem Sinn kann man das vorgestellte Buch als perspektivische Standortbestimmung heutiger Fundamentaltheologie durchaus begrüßen.