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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1025–1027

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Oppermann, Karl-Friedrich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Zu brüderlichem Ge­spräch vereinigt«. Die Rundschreiben der Bekenntnisgemeinschaft der ev.-luth. Landeskirche Hannovers 1933–1944.

Verlag:

3 Bde. Hannover: Lutherisches Verlagshaus 2013. 2004 S. m. CD in Bd. 3. Kart. EUR 129,00. ISBN 978-3-7859-1128-0.

Rezensent:

Carsten Linden

Oppermann, emeritierter Pastor der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und mehrere Jahre mit historischen Forschungen bei deren Landeskirchlichem Archiv beauftragt, legt eine herausragende Publikation vor, welche die Geschichte der Landeskirche in der Zeit 1933–1945 erforschen und dokumentieren soll (7), gleichwohl geeignet ist, das weitere Erforschen und Verstehen der evangelischen kirchlichen Opposition in der NS-Zeit insgesamt voranzubringen.
Im Bereich der Landeskirche organisierten sich die Geistlichen, die mit dem politischen Kurs der Reichskirche und der Landeskirchenleitung nicht einverstanden waren, seit Mai 1934 in einem Verein, der »Bekenntnisgemeinschaft«. Zwar traten dem auch viele Laien bei, die Leitungsämter lagen aber ausschließlich bei Geistlichen. Die Bekenntnisgemeinschaft steckte ihr kirchenpolitisches Ziel selbst sehr hoch. Die wiederholten Versuche der Jahre 1933–1936, Kirchenleitung und Organisation der Landeskirche zu verändern, wurden als »Vergewaltigungspolitik« wahrgenommen, der gegenüber die Bekenntnisgemeinschaft »eine echte Befriedung […], wie sie der Grundhaltung des Protestantismus entspricht und vom nationalsozialistischen Staat erstrebt wird« (Rundbrief Nr. 23/1936, 953), herbeiführen wollte. Dabei war die eigene kirchenpolitische Initiative allerdings durch ihre unbedingte Unterstützung der seit Ende 1934 amtierenden Kirchenleitung ebenso eingeschränkt wie durch die Versuche, stets Nähe zum nationalsozialistischen Staat zu signalisieren und zugleich peinlich darauf bedacht zu sein, Distanz zum »dahlemitischen«, zum konsequenten Flügel der Be­kennenden Kirche zu wahren. So wurde eine Ansprache des zu diesem Flügel gehörigen Pfarrers Martin Niemöller einem Rundschreiben der Bekenntnisgemeinschaft mit dem Kommentar beigefügt: »Wir hoffen, daß solche Kampfesweise in der Hannoverschen Landeskirche nicht weiter um sich greift« (Rundbrief Nr. 23/ 1936, 946). Daher beschränkte sich die Hauptaktivität der Bekenntnisgemeinschaft weitgehend auf den internen Austausch von In­formationen, wobei die hier edierten regelmäßigen Rundschreiben der hannoverschen Leitung der Bekenntnisgemeinschaft von zentraler Bedeutung waren.
Die Edition der Rundschreiben soll zum einen die bislang bis auf wenige Ausnahmen unveröffentlichten Rundschreiben der »Bekenntnisgemeinschaft«, die sich in der NS-Zeit als Vertretung der Bekennenden Kirche im Bereich der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers verstand, zugänglich machen. Zum anderen soll sie »einen differenzierten Einblick in die Lebenswirklichkeit der hannoverschen Landeskirche unter dem Nationalsozialismus« (10) ermöglichen.
Ediert wurden Rundschreiben der »Landeskirchlichen Sammlung« beginnend mit Juni 1933 und nach ihrer Umbenennung im Mai 1934 in »Bekenntnisgemeinschaft« deren Rundschreiben bis zum Advent 1944. Grammatik, Rechtschreibung und Textaufbau der Originale wurden beibehalten. In einem äußerst umfangreichen Fußnotenteil wurden neben genauem Fundort, eventuellen Abweichungen vom Urtext und anderen quellenkritisch wichtigen Bemerkungen erklärende Passagen aufgenommen. In den Rundschreiben enthaltene Informationen über Organisationen, Vorgänge oder Denkschriften, welche üblicherweise die Heranziehung eines umfangreichen Apparates von Hilfsmitteln zur Erschließung des Textes bedingen, wurden hier bereitgestellt. Fast immer sind in den Fußnoten auch Verweise auf weiterführende Literatur oder sogar Archivalien aufgenommen worden. Biogramme zu allen in den Rundschreiben erwähnten Personen finden sich im Anhang. Die Einleitungen zur Forschungslage und zum historischen Kontext beschränken sich auf ein – für Fachkundige allerdings völlig ausreichendes – Minimum. Indem O. auf eingehendere Ausführungen verzichtet, vermeidet er den Eindruck, die Formulierung bestimmter Forschungsfragen vorwegnehmen zu wollen, was vor dem Hintergrund der erwähnten divergierenden Bewertungen der Geschichte der Landeskirche in der NS-Zeit angemessen und ge­schickt ist.
Die in der bisherigen Forschung als relevant ausgemachten Knotenpunkte historischen Geschehens sind als »Ergänzende Dokumentationen« (54–57) aufgeführt, was den gezielten Zugriff auf die Dokumente der Quellenpublikation und die Verfolgung auch von weiterem Forschungsinteresse, welches die Be­kenntnisgemeinschaft nur berührt, sehr erleichtern wird. Eine beigefügte CD ermöglicht die zügige Erschließung der Dokumente nach eigenen Suchkriterien.
Diese Rundbriefe geben ein Panorama des oppositionellen kirchlichen Geschehens der Jahre 1933–1945 im Bereich der Landeskirche, aber auch in ganz Deutschland wieder. Erstaunlich ist die Fülle an unterschiedlichen Gelegenheitsschriften, die den Rundbriefen beigegeben worden waren und die in die Edition mit aufgenommen wurden. Hier eröffnet sich Raum, die bisherige einschlägige Literatur anhand der nun leicht zugänglichen Quellen zu überprüfen.
Ohne Zweifel wird die Edition deshalb auch als Lesebuch verwendet werden. Vor allem eröffnet die Quellenedition aber auch dem jenseits der Geschichte der Landeskirche allgemein zeitgeschichtlich interessierten Leser oder Forscher breiten Raum für Erkenntnisgewinn. Die Zeitumstände und die Konzentration geistlichen Personals in den Leitungsgremien der Bekenntnisgemeinschaft brachten es mit sich, dass »die Bedeutung des Bekenntnisses neu entdeckt« (Rundbrief Nr. 18/1936, 919) wurde und deshalb in die Rundschreiben immer wieder auch dogmatisch oder bekenntnismäßig rückgebundene Denkschriften eingebunden wurden. An den Rundschreiben lässt sich daher die Entwicklung bestimmter theologischer Inhalte gerade in Auseinandersetzung mit Ideen aus dem Bereich der Deutschen Christen oder des Neuheidentums, etwa von Tauf- und Abendmahlsverständnis (z. B. Rundbrief Nr. 24/1936), ablesen.
Wird die Bekenntnisgemeinschaft in der bisherigen Literatur eher als Konstante im damaligen kirchenpolitischen Geschehen dargestellt, könnte die Edition neue Facetten und ein differenzierteres Bild der Bekenntnisgemeinschaft erschließen lassen. Überhaupt dürfte die Möglichkeit einer Verfolgung von diachron angelegten Forschungsinteressen der größte Gewinn dieser Edition sein und hoffentlich zu entsprechend prozessual ausgerichteten Fragestellungen der Forschung führen.