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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1016–1018

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kötter, Jan-Markus

Titel/Untertitel:

Zwischen Kaisern und Aposteln. Das Akakianische Schisma (484–519) als kirchlicher Ordnungskonflikt der Spätantike.

Verlag:

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013. 361 S. = Roma Aeterna, 2. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-515-10389-3.

Rezensent:

Heinz Ohme

Diese Untersuchung von Jan-Markus Kötter, eine Dissertation des Jahres 2011 im Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften der Universität Frankfurt a. M., die im Rahmen des dortigen Exzellenzclusters »Die Herausbildung normativer Ordnungen« angefertigt wurde, unterzieht unter einer neuen und fruchtbaren Fragestellung jene Ereignisse der Jahre 484 bis 519 einer detaillierten Analyse, die als »Akakianisches Schisma« in die his-torischen Darstellungen eingegangen sind. Das »Henotikon« ge­nannte, im Jahr 482 erlassene Edikt des Kaisers Zenon sollte die durch den Widerstand gegen die Synode von Chalcedon (451) besonders im Osten gefährdete Einheit der Kirche wieder herstellen. Ohne Chalcedon außer Kraft setzen zu wollen, bestätigte das Gesetz die Synoden von Nizäa, Konstantinopel 381 und Ephesus 431, billigte die zwölf Anathematismen Kyrills, verdammte Nestorius und Eutyches, bekannte die ungeschmälerte Menschheit Jesu Christi, vermied aber jede Rede von zwei »Naturen«. Als Akakios von Konstantinopel auf dieser Grundlage die communio mit dem Anführer der miaphysitischen Gegner Chalcedons in Ägypten, Petros Mongos, aufnahm, kam es zur gegenseitigen Absetzung und Exkommunikation der Bischöfe von Rom und Konstantinopel, ob­wohl auch die Kirchen von Antiochien und Jerusalem das Henotikon als legitime und die kirchliche Einheit sichernde Interpretation des Chalcedonense akzeptierten. Es handelt sich um das erste große Schisma dieser beiden Kirchen, das erst durch eine kaiserliche Initiative im Jahr 519 überwunden werden konnte.
Der Vf. unterzieht das Schisma nicht primär einer ereignisgeschichtlichen und gar nicht einer dogmengeschichtlichen Analyse. Das ist insofern angemessen, als hier auch kaum etwas Neues zu erwarten ist nach den intensiven Forschungen des vergangenen Jh.s. Von vornherein aber die theologische Fragestellung aus der Analyse auszuklammern (»diese geschichtswissenschaftlich angelegte Arbeit [hat] kein zentrales Interesse an dogmengeschichtlichen Fragestellungen«: 16), bedeutet natürlich auch eine Vorentscheidung, die sich dann auch im Ergebnis niederschlägt. So wird hier das Schisma primär als innerkirchlicher Ordnungskonflikt in den Blick genommen hinsichtlich der divergierenden Ordnungs begründungen und »Rechtfertigungsstrategien«. Nur »vordergründig« sei es um fortfolgende Fragen gegangen: »Welche dogmatische Rolle kam der Synode von Chalkedon und dem Tomus Leonis zu? Waren die römischen Primatsansprüche, die sich gegen die auf Kanon 28 gründenden Ansprüche Konstantinopels richteten, gerechtfertigt […]? Wo waren die Grenzen kaiserlicher Einflussnahme in Belange der Kirche, und woran war ihre Legitimität gebunden?« (279) Als dahinterstehend seziert der Vf. »langfristige strukturelle Konflikte« heraus, die sich mit dem Phänomen »Reichskirche« ergeben hatten. In weitgehend überzeugenden (das betrifft allerdings nicht das idyllisierend gezeichnete Bild der ersten drei Jahrhunderte »theoretischen Überlegungen«: 25–40) wird als Leitfrage formuliert, warum gerade die Spätantike mit ständigen Konflikten, Schismen und Häresien durch die »weitgehende Abwesenheit kirchlicher Einheit« geprägt sei, obwohl die »Herstellung einer einigen Kirche im Römischen Reich« doch das von allen kirchlichen und politischen Akteuren geteilte Ziel gewesen sei (25 f.). Die »zunehmende kirchliche Desintegration« sei geradezu das »Ergebnis einer ständigen reichskirchlichen Aktivität« mit dem entgegengesetzten Ziel gewesen (29). Der »entscheidende Einschnitt« für diese Entwicklung sei die Entstehung des christlichen Kaisertums gewesen, wodurch das Handeln der kirchlichen und politischen Akteure »in neue Kommunikations- und Handlungszusammenhänge« gestellt worden sei (33 f.). Unter diesen Bedingungen erwies sich die communio im Sinne von wechselseitiger Liturgie- und Sa­kramentsgemeinschaft als »Kern kirchlicher Ordnung« je länger je mehr als »Illusion geteilter Ordnung« (37), insofern auch die Synoden wegen der disparaten Rezeption nicht eine wirkliche Übereinkunft darstellten, sondern bloß die Sistierung von Streitigkeiten.
Unter diesem Fragehorizont stellt der Vf. nun zuerst die »Voraussetzungen des Schismas« (Kapitel II: 41–90) dar. Sodann wird minutiös und quellenorientiert das »Bischöfliche Handeln« der römischen und hauptstädtischen Bischöfe analysiert (Kapitel III: 91–190), wobei nach einem ereignisgeschichtlichen Überblick (91–144) jeweils nach den Handlungsvoraussetzungen, den Argumentationsformen und den Effekten und Folgen gefragt wird. Angesichts der Hauptopponenten und des für deren Handeln dominant vorliegenden Quellenmaterials ist diese Prioritätensetzung zwangsläufig, so dass die entsprechende Analyse der Kirchen von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem (224–254) sowie des kaiserlichen Handelns (247–273) erst im Kapitel IV erfolgen kann. Dieses steht unter der Überschrift: »Die Frage nach der Kirchenordnung« (191–273) und definiert zuerst den Fundamentalgegensatz in der Ordnungsbegründung zwischen Rom und Konstantinopel als »apostolische und politische Begründungen«. Das Schlusskapitel V. (275–294) fasst die Ergebnisse zusammen und ordnet das Akakianische Schisma als exemplarischen kirchlichen Ordnungskonflikt in der Reichskirche ein.
Dabei wird deutlich, dass Rom seinen petrinischen Primatanspruch theologisch jeder historischen Kontingenz entzog, während Konstantinopel »dem Umstand der faktischen historischen Bedingtheit kirchlicher Strukturen mehr Rechnung« trug und es für legitim hielt, »die Kirche entlang säkularer Strukturen zu organisieren« (194). Es sei aber »obsolet«, dafür auf das alte Klischee des »östlichen Caesaropapismus« und der »westlichen Theokratie« zu rekurrieren. Denn »weder wollte der Bischof von Konstantinopel den Kaiser zum Herrn der Kirche machen noch sich der Bischof von Rom zum Herrscher über das Reich aufschwingen« (195). Im Kern bewegte sich der Streit unabhängig von jeder geographischen Ausrichtung »zwischen den Polen einer autonomen, also relativ abgeschlossenen innerkirchlichen und einer heteronomen, also weltlich beeinflussten Ordnungsbegründung« (218). Es sei diese »Fundamentaldifferenz der kirchlichen Ordnungsansätze« gewesen, die zum Schisma führte, und nicht primär die Lehrfrage. Dieser Ordnungskonflikt sei auch weiterhin »das eigentlich durchgängige Streitthema der spätantiken Kirche […], das in den drei Zonen der Konflikthaftigkeit« (sc. Dogma, Hierarchie und Kaisertum) »jeweils aufs Neue aktualisiert wurde« (276). Insofern habe das Akakianische Schisma exemplarischen Charakter. Es habe nicht zur Lösung der Ordnungsfrage beigetragen, sondern den Fundamentalkonflikt »verschärft und verstetigt« (285). Der Vf. zieht daraus nun allerd ings die allgemeine Schlussfolgerung, dass »die Konflikte der Alten Kirche […] streng genommen immer […] gruppeninterne Konflikte […] um die Funktionen der kirchlichen Ordnung« waren. »Spezifische Verhandlungsgegenstände um Dogma, Hierarchie und Kaisertum waren nur Ableitungen des Ordnungskonfliktes« (286). Auch wenn diese Schlussfolgerung wohl nicht auf allgemeine Zustimmung stoßen dürfte und die Ergebnisse der Analysen auch nicht völlig zu überraschen vermögen, macht diese klar strukturierte, methodisch vorbildliche und gut zu lesende Untersuchung deutlich, wie fruchtbar die Analyse selbst breit erforschter Vorgänge unter einer theoretisch abgesicherten neuen Fragestellung sein kann. Sie legt jedenfalls aufs Neue eindrücklich offen, dass die dogmatischen Kontroversen der Alten Kirche stets im Zusammenhang mit den dahinterstehenden Ordnungsansprüchen zu betrachten sind. Es sollte sich lohnen, unter dieser Fragestellung auch spätere Konflikte in den Blick zu nehmen.