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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1005–1007

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stevick, Daniel B.

Titel/Untertitel:

Jesus and His Own. A Commentary on John 13–17.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2011. XIV, 396 S. Kart US$ 38,00. ISBN 978-0-8028-4865-9.

Rezensent:

Christine Schlund

Daniel B. Stevick ist Professor em. für Liturgie und Homiletik an der Episcopal Divinity School in Cambridge/Massachusetts, und genau aus dieser Perspektive hat er seinen Kommentar über die Ab­schiedskapitel des Johannesevangeliums geschrieben. Er ist kein Exeget und möchte sich an den entsprechenden Debatten der ausufernden Johannesliteratur auch gar nicht beteiligen (so das Vorwort). Sein Beitrag hat mehr eine allgemein interessierte Leserschaft als den bibelwissenschaftlichen Diskurs im Blick und wendet sich speziell an Predigende. So enthält jedes Kapitel einen Ausblick auf die Rolle des betreffenden Textes im Lektionar und im Kirchenjahr, und grundsätzlich sind Überlegungen über den Zugang eines modernen Menschen zu den besprochenen Abschnitten und ihren Herausforderungen ebenso vorhanden wie dogmatisch-philosophische Passagen. Sein »close reading« des Bibeltexts hat über manche Strecken deutlich den Charakter einer homiletischen Meditation, und dies ganz bewusst: Der Kommentar ist dezidiert aus der kirchlichen Perspektive für die kirchliche Perspektive geschrieben, und dies sieht S. auch in der Materie begründet, beschäftigen sich doch die johanneischen Abschiedskapitel mit der »distinctive interiority of the church« (14). In Form des christologischen »Ich« dieses Abschnitts artikuliert die Kirche die Geheimnisse ihrer eigenen Existenz (13).
Das einleitende Kapitel »Jesus’ Farewell and Its Interpretation« entwickelt diese These aus der entstehungsgeschichtlichen Einordnung des Johannesevangeliums und speziell der Abschiedsreden: Die Gemeinde des Lieblingsjüngers musste sich damit auseinandersetzen, dass die Generation der Augenzeugen nicht mehr da war, und sich dadurch als Gruppe ähnlich neu definieren wie die Jünger angesichts des »Weggangs« Jesu. Die Autoren der Abschiedsreden haben also immer die Situation der johanneischen Gemeinde im Blick und lassen den Abschied nehmenden Jesus immer auch direkt zu ihr, und damit – so S. – auch direkt zur heutigen Kirche sprechen. Diese Einbettung entfaltet das erste Kapitel.
Nach einer kursorischen Lektüre von Joh 13 (Two Opening Incidents), in der in einem eingeschobenen Essay mögliche Bedeutungen der Fußwaschungsszene diskutiert werden (exemplarisch, christologisch, sakramental, eschatologisch), folgt ein weiteres grundsätzliches Kapitel über die Abschiedsreden (About The Discourses). Hierin verortet S. die Reden gleichermaßen im Zusammenhang der frühjüdischen Testamentsliteratur, wie er auch den eigenen literarischen Charakter der johanneischen Abschiedsreden herausarbeitet. Er vergleicht diese mit dem Block an Lehrüberlieferungen, die die synoptischen Evangelien in Jerusalem in den Tagen unmittelbar vor Jesu Gefangennahme und Kreuzigung einschieben (63). Nach einer kurzen strukturellen Analyse werden die bekannten Beobachtungen eines zirkelhaften Wiederauftauchens der immer gleichen Themen und Begriffe und die Unstimmigkeiten in den Anschlüssen (14,31; 16,5; 16,31 f.) in folgende Entstehungstheorie eingeordnet: Der Evangelist schrieb drei Entwürfe für Abschiedsreden Jesu, einer beschäftigt sich mit der Kontinuität der Präsenz Jesu bei den Seinen nach seinem Weggang (13,31–14,31). Der zweite Entwurf reagiert auf einen zunehmenden Konflikt der johanneischen Gemeinde mit der Synagoge (15,1–16,4a). Zur Zeit, in der die dritte Rede abgefasst wurde (16,4b–16,33), war dieser Konflikt ausgestanden, und die Gemeinde lebt separiert, in ständiger Abgrenzung von der »Welt«. Ein johanneischer Redakteur, der nach dem Tod des Evangelisten dessen Werk edierte, stellte alle drei Entwürfe nebeneinander. Bei dieser Entstehungstheorie bezieht sich S. kaum auf die jüngere exegetische Diskussion und setzt sich auch nicht mit dem »Relecture«-Modell auseinander.
Des Weiteren beschäftigt sich S. in diesem einführenden Kapitel mit der Verschiebung im Vokabular. Begriffe, die im ersten Teil des Johannesevangeliums wichtig waren (glauben, hören, Licht, Leben, Christus), treten in den Hintergrund; Liebe, wissen, Friede, Freude, In-Sätze (Immanenzsprache) treten in den Vordergrund. Schriftbezüge treten in den Kapiteln 13 bis 17 nur noch wenige auf, und der christologische Schwerpunkt verschiebt sich vom »Kommen von« Gott zum »Gehen zu« Gott.
Neben dem Kommentar zu den einzelnen Abschiedsreden und dem Gebet in Joh 17 hat S. noch ein weiteres grundsätzliches Kapitel über den Parakleten eingefügt (Kapitel 7). In diesem stellt er Überlegungen zum etymologischen Hintergrund des Begriffs an und erläutert die Funktion »des/der« (S. spricht immer in femininen Formen von Paraklet) Parakleten in den einzelnen Abschnitten der Abschiedsreden. Typisch für seinen Ansatz schließt er Gedanken über die Erfahrbarkeit der Parakletin in Zeit und Raum und im Rahmen der Kirche an.
Die kommentierenden Abschnitte bieten ein intensives, manchmal meditatives, manchmal paraphrasierendes »close reading« der Passagen. Im Petitdruck eingefügt sind oftmals interessante Beobachtungen zu einzelnen Wörtern und zum Vergleich mit synop-tischen Traditionen. Mögliche alttestamentliche Bezüge sind stets eingehend mit aufgenommen. S. bemüht sich, griechische Wörter in Umschrift zu bieten und zu erklären. Eingestreut in die Kommentierung sind einzelne Essays zu übergreifenden Themen (das Liebesgebot; die Epistemologie des Joh: »Believing is Knowing is Hearing is Seeing is Believing […]«; Vater und Sohn; Gebet in den Abschiedsreden; »Nicht jetzt, sondern später« über Zeitkonzepte und Eschatologie; Herrlichkeit und Verherrlichung).
Insgesamt ist zu kritisieren, dass S. sehr viel mit Wortbedeutungen, Wortstatistiken und Konkordanzergebnissen arbeitet, aber kaum syntaktische Analysen vornimmt oder einbezieht, die dem »general reader«, für den er schreiben möchte, anhand des englischen Textes natürlich auch schwierig zu vermitteln sind. Insofern wirkt die exegetische Arbeit einseitig, da stark auf Begriffe zentriert. Eine Auseinandersetzung mit der aktuellen exegetischen Diskussion wird, wie gesagt, nicht angestrebt, exegetische Ge­währsmänner und Gesprächspartner für S. sind die großen Kommentare von Dodd, Barrett, Schnackenburg und R. Brown. Positiv ist aber zu vermerken, dass die Arbeit von S. einen homiletischen Zugang darstellt, der dem Text in seinem historischen und theologischen Gesamtzusammenhang gerecht wird, ihn als solchen ernst nimmt und nicht auf die Frage der modernen Verwertbarkeit reduziert. Für den intendierten Leserkreis bietet der Kommentar auf jeden Fall tiefe Einsichten und trägt zu einem besseren und intensiven Verständnis der johanneischen Abschiedskapitel bei.