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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

999–1000

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Eve-Marie, and Anders Runesson [Eds.]

Titel/Untertitel:

Mark and Matthew II. Comparative Readings: Reception History, Cultural Hermeneutics, and Theology.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. VIII, 418 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 304. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-152545-2.

Rezensent:

Matthias Konradt

Der Band dokumentiert die Beiträge des zweiten der beiden Symposien, die die Herausgeber 2008 an der Universität Aarhus und 2009 an der McMaster University (Canada) durchgeführt haben. Der erste Symposiumsband wurde in der ThLZ 138 (2013), 30–32 besprochen. Im zweiten Band stehen rezeptionsgeschichtliche und kulturhermeneutische Fragen im Zentrum. Die Einleitung der beiden Herausgeber (1–12) führt in die Fragestellung(en) ein und bietet zudem einen konzisen Überblick über die 16 Beiträge des Bandes, deren Spektrum äußerst weit und facettenreich ist. Dies bedeutet allerdings zugleich, dass das zusammengestellte Ensemble von Aufsätzen recht heterogen erscheint. Entsprechend sind die beiden Rubriken, die den Band strukturieren sollen, thematisch weit formuliert.
Im 1. Hauptteil (13–228) sind neun Beiträge unter die Überschrift »Reception and Cultural Hermeneutics: Reading Mark and Matthew From the 1st to the 21st Century« gestellt. Um einen Einblick von der Vielfalt der Themen zu geben, seien exemplarisch drei Beiträge genannt. Petri Luomanen versucht, die Entwicklung von Mk und Q zu Mt auf der Basis eines sozialwissenschaftlich ausgerichteten evolutionstheoretischen Modells verständlich zu ma­chen und zu erklären, warum Mt sich am erfolgreichsten durchsetzen und behaupten konnte, während Q verschwand (»From Mark and Q to Matthew: An Experiment in Evolutionary Analysis«, 37–73); Peter Widdicombe untersucht die patristische Rezeption des Mt am Beispiel des Mt-Kommentars von Hieronymus und der Predigten von Johannes Chrysostomos (»The Patristic Reception of the Gospel of Matthew«, 105–119), während Anders Runesson den Ge­brauch der beiden zur Diskussion stehenden Evangelien in of-fiziellen römisch-katholischen Kirchendokumenten zum jüdisch-christlichen Verhältnis zwischen 1965 und 1985 analysiert (»Judg­ing the Theological Tree by its Fruit: The Use of the Gospels of Mark and Matthew in Official Church Documents on Jewish-Christian Relations«, 189–228).
Der kürzere zweite Hauptteil (229–356) vereint sieben Beiträge unter der Überschrift »History, Meaning, and the Dynamics of Interpretation«. Gegenüber den Fallstudien des ersten Teils soll »the problem of the interpretative engagement as such« nun »in a more focussed way« in den Blick genommen werden (8). Schon diese Charakterisierung zeigt, dass die beiden Rubriken nicht trennscharf voneinander abgesetzt sind. Das auch hier analog zum ersten Teil wieder sehr weite Spektrum der Beiträge sei anhand zweier Beiträge exemplifiziert. Mogens Müller (»The Place of Mark and Matthew in Canonical Theology. A Historical Perspective«, 259–269) sucht zunächst Mk und Mt auf der theologiegeschichtlichen Landkarte des entstehenden Christentums zu verorten: Mk stehe im Einflussbereich paulinischer Theologie; der Evangelist habe »a Pauline vertical Christology concerned with the heavenly author-ity of Christ into a horizontal story« transformiert (262) – mit dem Ziel, »to ›narrativize‹ this very authority« (ebd.). Matthäus sah Müller zufolge im Mk »a brilliant idea that was in desperate need of improvement« (264), denn Mk sei ihm viel zu paulinisch gewesen. Diesem spannungsvollen Befund wird in einem zweiten Schritt gegenübergestellt, dass die Akzeptanz der neuen Fassung (= Mt) im altkirchlichen Rezeptionsprozess nicht mit der Preisgabe des Vorgängers einhergegangen sei (268), was Müller als Fähigkeit würdigt, »to embrace a variety of theologies« (269). Leider äußert sich Müller nicht näher zu den einzelnen Faktoren und Prozessen, die zu diesem Nebeneinander im Kanon geführt haben. In einen ganz anderen Bereich der Rezeptionsgeschichte führt Hans Leanders Beitrag »Mark and Matthew after Edward Said« (289–309). Leander wendet sich gegen die Abwertung von »liberationist, feminist, postcolonial, African American, and queer perspectives« als »exegesis with a special focus« (289) gegenüber der »etablierten« wissenschaftlichen Exegese und demonstriert anhand ausgewählter Ex­egesen von Einzelstellen des Mt und des Mk im 19. Jh. die Verflechtung damaliger »wissenschaftlicher« Exegese mit »the colonial mindset that permeated European culture at this time« (ebd.).
Das Fazit fällt – wie beim ersten Band – gemischt aus: Zum einen finden sich wieder sehr lesenswerte Einzelstudien, zum anderen bedeutet die thematische Vielfalt zugleich, dass die Beiträge eher für sich stehen und das übergeordnete Ganze unterbestimmt bleibt. Die in der Rezension des ersten Bandes angesprochene Hoffnung, dass im zweiten die bedeutenden theologischen Themen komparativ untersucht werden, hat sich nicht erfüllt.