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Ausgabe:

September/2014

Spalte:

983–984

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bernhardt, Reinhold, u. Perry Schmidt-Leukel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2013. 296 S. = Beiträge zu einer Theologie der Religionen, 11. Kart. EUR 29,20. ISBN 978-3-290-17718-8.

Rezensent:

André Ritter


Eine neue, weil religionsübergreifende Theologie – dies fordert der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel (Münster). Es sei nicht mehr zeitgemäß, wenn Theologen nur die heiligen Schriften der je eigenen Religion befragen und das breite Menschheitswissen in zentralen religiösen Fragen nicht einbeziehen, so äußerte sich Schmidt-Leukel zum Anliegen einer interreligiösen Theologie in einer Pressemitteilung des Exzellenzclusters »Religion und Politik« vom 20. November 2013. Keine andere Wissenschaft könne es sich leisten, Datenmaterial zu ignorieren. Deshalb sei gerade mit Blick auf die wachsende globale Vernetzung auch eine interreligiöse Theologie unumgänglich, die nicht nur christliche Quellen, sondern etwa auch buddhistische und islamische Texte und Traditionen heranziehen sollte. Allerdings dürfe interreligiöse Theologie nicht als Theologie einer weltweiten »Einheitsreligion« missverstanden werden. Es handele sich vielmehr um eine neue Form, Theologie zu betreiben – im beständigen Austausch zwischen verschiedenen konfessionellen und religiösen Perspektiven.
Im hier vorzustellenden Band befassen sich Religionswissenschaftler und Theologen aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven mit den Chancen und Problemen einer solchen religionsübergreifenden Theologie. Dementsprechend werden theologische Fragen nicht nur auf der Basis der christlichen Tradition behandelt, sondern gerade auch in Bezugnahme auf andere religiöse Traditionen. Zugleich werden Entwicklungen gebündelt, die sich in den letzten 50 Jahren in verschiedenen Bereichen der Theologie ergeben haben, wie z. B. Interkulturelle/Kontextuelle Theologie, Interreligiöser Dialog, Theologie der Religionen, Systematische Theologie im Horizont der Religionen, Komparative Theologie, Interreligiöse F eministische Theologie. Auf vielfältige Weise diskutieren die Autorinnen und Autoren methodische und inhaltliche Fragen einer interreligiös arbeitenden Theologie, konkretisieren sie an exemplarischen Beispielen und erschließen sowohl Probleme als auch Chancen einer interreligiös ansetzenden Theologie.
Die vorliegende Dokumentation als Band 11 der wissenschaftlichen Reihe »Beiträge zu einer Theologie der Religionen« mit Beiträgen von Reinhold Bernhardt, Michael von Brück, Catherine Cornille, Ulrich Dehn, Wolfgang Gantke, Michael Hüttenhoff, Anja Middelbeck-Varwick, Marianne Moyaert, Sigrid Rettenbacher, Perry Schmidt-Leukel sowie Werner Ustorf fasst Ergebnisse einer gleichnamigen Fachtagung in Augst bei Basel zusammen, zu der die Herausgeber im November 2012 eingeladen hatten. In seinem Beitrag »Interreligiöse Theologie und die Theologie der Zukunft« stellt Schmidt-Leukel erste Ergebnisse seines Projekts am Exzellenzcluster vor, wobei der Dialog der Religionen, der gesellschaftlich auf vielen Ebenen angestrebt wird, als theologische Aktivität im strengen Sinne zu verstehen sei. Dabei gehe es jedoch nicht nur um friedliche Koexistenz, sondern um eine grundlegende Auseinandersetzung mit jenen großen Fragen, die seit jeher Menschen in allen Kulturen und Religionen bewegt haben.
Diskussionswürdig und -bedürftig erscheint allerdings die These Schmidt-Leukels, eine zukünftige – die Vielfalt der Religionen ebenso wie die Universalität der Wahrheit bedenkende – wissenschaftliche Theologie werde sich im Sinne eines regulativen Ideals als »Theologie im Singular« verstehen müssen (vgl. 31), eben als »eine« interreligiöse Theologie (37) und damit folglich als »eine Form von Religionswissenschaft« (vgl. 42). Das wiederum verweist nach Reinhold Bernhardt (um an dieser Stelle nun auf ihn als Mitherausgeber des Bandes näher einzugehen) jedoch auf ein Grundproblem so verstandener interreligiöser Theologie: »Wie können derart verschiedene Traditionen als Erkenntnisquellen einer von ihnen je­weils auf verschiedene Weise anvisierten Letztwirklichkeiten epistemologisch zusammengeführt werden?« (45), was mindestens einmal zur Gegenthese anregt: »Interreligiöse Theologie ist ein Projekt der auf die außerchristlichen Religionen hin geöffneten christlichen Theologie, nicht aber der Versuch, die Religionstraditionen zu einer über sie hinaus führenden Globaltheologie zusammenzubinden.« (45 f.) Der terminologischen Präzisierung wegen schlägt Bernhardt deshalb statt »interreligiöser« nunmehr die Verwendung bzw. Anwendung von »transreligiöser Theologie« vor: »Das traditionshermeneutische Verständnis von transreligiöser Theologie, für das ich plädiere, rekurriert demgegenüber nicht auf die Ermittlung von phänomenologischen interreligiösen Gemeinsamkeiten, sondern wendet sich gerade den Propria der christlichen Religion zu […] und nutzt die im Blick auf nichtchristliche Transzendenzvermittlungen gewonnenen Erkenntnisse, um diese Propria neu zur Entfaltung zu bringen.« (65) Im anderen Fall würde interreligiöse Theologie gar schnell zu einer spekulativen Religionsphilosophie werden können, was uns umso dringlicher vor die Frage nach Chancen und Problemen einer derart formulierten Theologie stellt und zu fundamentaltheologischen Unterscheidungen nötigt.
Genau darum aber geht es in diesem überaus lesenswerten Buch: Das »differenzhermeneutische Potential« einer sich interreligiös verstehenden Theologie zur Geltung zu bringen, bedeutet den Ort des »inter« als den unausweichlichen Erkenntnisort und damit die erkenntnistheologische und erkenntniskritische Haltung zu markieren, die wiederum ein spezifisches unausweichliches Problembewusstsein in die Theologie einbringt. »Theologie interreligiös erinnert also an eine pluralitätsoffene und identitätssensible Hal tung in der Theologie« (Rettenbacher, 110), die biblisch-christ-licher Theologie von Anfang an zu eigen war und ist – nämlich Partikularität und Universalität bzw. Konfessionalität und religiöse Pluralität jeweils kontextbezogen, eben interkulturell wie interreligiös zu vermitteln. Doch in der Chance liegt zugleich auch ihre Grenze, ist doch das Gelingen interreligiöser Begegnungen und Diskurse entscheidend von der hermeneutischen Fähigkeit abhängig, die Bedeutung von Symbolen, Lehren und Praktiken der jeweils anderen religiösen Tradition angemessen zu erfassen. »Eine der größten Herausforderungen im interreligiösen Dialog bleibt dabei die Schwierigkeit, jede Form des Hineininterpretierens zu vermeiden.« (Marianne Moyaert, 138, Anm. 25) Dem wird es – nicht zuletzt mit Blick auf die Verschränkung von diskursivem Dialog und ritueller Praxis – in jedem Fall Rechnung zu tragen gelten.