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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

959–960

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Grünwald, Katharina

Titel/Untertitel:

Das Staatskirchenrecht der DDR im Lichte des Aufeinandertreffens von Katholischer Kirche und Marxismus.

Verlag:

Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2012. 255 S. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-8305-3131-9.

Rezensent:

Martin Richter

Diese Arbeit von Katharina Grünwald wurde 2011 von der Juristischen Universität der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Sie wurde von Rosemarie Will betreut, Zweitgutachter war Christoph Möllers. Dass Rosemarie Will eine staatskirchenrechtliche Dissertation betreut, überrascht, zählt doch das Staatskirchenrecht nicht zu den Forschungsschwerpunkten der Professorin für öffentliches Recht, Staatslehre und Rechtstheorie und Vorsitzenden der Humanistischen Union.
Das Staatskirchenrecht der DDR war bisher Gegenstand mehrerer Darstellungen, allerdings nahmen die Autoren meist die Perspektive der evangelischen Kirche ein. Auch zur Geschichte der katholischen Kirche in der DDR gibt es mehrere Untersuchungen. Die Vfn. verknüpft beide Fragestellungen und macht so Hoffnung auf neue Erkenntnisse. Ihr Ziel ist dabei »sowohl die Aufarbeitung eines Teils der DDR-Geschichte als auch ein Gewinn neuer Er­kenntnisse über das grundsätzliche Verhältnis von Religion und Staat« (15). Mit ihrer Zielbestimmung verbindet die Vfn. die Aussage, dass Verfassungsgeschichte »von zentraler Bedeutung auch für eine gegenwärtige Standortbestimmung« ist – eine Aussage, der man nur zustimmen kann.
Die Arbeit ist in sechs Teile gegliedert. Nach einer Einleitung, in der u. a. die geschichtliche Entwicklung der Säkularisierung und des Verhältnisses von Staat und Kirche dargestellt wird, folgt ein Abschnitt zur Staatslehre der katholischen Kirche sowie ein weiterer zum Marxismus, insbesondere zu seinem Verhältnis zur Reli-gion. Hierauf schließt der Hauptteil an: Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR. Dabei orientiert sich die Vfn. nicht an den kirchenpolitischen Phasen, wie sie in einigen kirchengeschichtlichen und kirchenrechtsgeschichtlichen Darstellungen zu finden sind, »da sich diese Einordnungen meist auf die Evangelische Kirche beziehen« (14). Richtschnur der Darstellung sind vielmehr die Verfassungstexte, also die Verfassungen der DDR von 1949 sowie von 1968/74. Dabei will die Vfn. die evangelische Kirche je­doch nicht aus dem Blick verlieren – »soweit es möglich und in­haltlich weiterführend ist«. Ein letzter knapper Abschnitt vor dem Schlussteil widmet sich der Entwicklung in der Wendezeit.
Im Folgenden soll der Hauptteil näher beleuchtet werden. Dieser nimmt gut die Hälfte des Umfangs des Textteils der Arbeit ein. Die Vfn. beginnt mit den Entwicklungen der unmittelbaren Nachkriegszeit vor der Gründung der beiden deutschen Staaten. Bereits 1947 formulierte Kardinal von Preysing die wesentliche Linie der katholischen Kirche im sozialistischen Staat: Nur die Gesamtheit der Bischöfe spricht für die katholische Kirche in der DDR; nur der Bischof spricht für seinen Jurisdiktionsbereich. Ein weiteres Merkmal der Politik der katholischen Kirche war das an ihre Mitglieder gerichtete Verbot der Mitgliedschaft in kommunistischen Parteien und Organisationen (92 f.).
Bevor sie mit der Analyse der Verfassungstexte beginnt, geht die Vfn. auf die Verfassungstheorie der DDR ein (110) und erläutert dabei auch die Eigenheiten der Verfassungsinterpretation in der DDR (117–119). Das Prinzip des »dynamischen Verfassungsverständnisses« war geprägt vom »unbedingte[n] Primat des Poli-tischen«. Die politische Linie wurde – so die propagierte Linie – vom Volk vorgegeben, dieses konnte dabei nicht durch die Verfassung gebunden werden. Der Verfassungstext spielt demgemäß eine viel geringere Rolle als im Verfassungsrecht westlicher Staaten.
Die Vfn. schildert die Entstehungsgeschichte der DDR-Verfassung von 1949, insbesondere ihrer staatskirchenrechtlichen Regelungen, und kommt anschließend zur Verfassungswirklichkeit (121 ff.). Der Verfassungstext orientierte sich an der Weimarer Reichsverfassung. Allerdings war im Schulbereich – im Nachvollzug der bisherigen Entwicklung in der SBZ – eine stärkere Trennung von Staat und Kirche vorgesehen. Geschriebenes Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit entwickelten sich schnell auseinander. Kirchenfeindliche Maßnahmen trafen die katholische Kirche in ähnlicher Weise wie die evangelische. Die Vfn. nennt die Stichworte Kirchensteuer, öffentliches Wirken, Staatsleistungen und Religionsunterricht (143 ff.). Weiter verweist sie auf die Einführung der Jugendweihe und weitere Ausprägungen der Entwicklung ersatzreligiöser Riten (153 ff.). Es folgt eine ausführliche Darstellung der Reaktion der katholischen Kirche, wobei die Darstellung auch die Unterschiede der jeweiligen leitenden Akteure Preysing, Weskamm, Döpfner und Bengsch einschließt (156 ff.). Insbesondere der Letztgenannte verfolgte eine Linie der »politischen Abstinenz« und schloss einen echten Dialog mit dem Staat aus (166 f.).
Die Vfn. wendet sich anschließend der DDR-Verfassung von 1968/74 zu (170 ff.). Die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen dieses Verfassungstextes weichen von denen der Verfassung 1949 erheblich zuungunsten der Kirchen ab. Eingaben der Kirchen im Vorfeld der Verabschiedung fanden kaum Berücksichtigung (183). Die katholische Kirche kämpfte aktiver als 1948/49 für die eigenen Positionen (185).
Die Vfn. schildert im Folgenden das Vorgehen und die innerkirchlichen Diskussionen in der katholischen Kirche nach 1968. So konstituierten sich in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils Synoden, die die Ergebnisse des Konzils für die innerkirchliche Situation in der DDR umsetzen wollten. In den 1970er Jahren wertete der Heilige Stuhl als Folge der Ostverträge die Jurisdiktion in der DDR und die Berliner Bischofskonferenz auf. Die vollkommene Anerkennung der Eigenständigkeit der DDR und ihrer Staatsgrenzen war damit nicht verbunden; die DDR forderte daher weitere Anpassungen (199). 1980 starb Kardinal Bengsch, der langjährige Vorsitzende der Berliner Bischofskonferenz. Sein Nachfolger im Bischofsamt wurde Joachim Meisner, Georg Schaffran übernahm den Vorsitz der Berliner Bischofskonferenz. In den 1980er Jahren verließ die katholische Kirche langsam den Kurs der politischen Abstinenz. 1987 fand in Dresden erstmals ein Katholikentag für Gläubige aus der gesamten DDR statt; mehr als 100.000 Menschen nahmen teil (203).
Die Lage der evangelischen Kirche, ihre innere Haltung zum Staat und ihr Ringen um Anerkennung stellt die Vfn. jeweils in knappen Exkursen, teilweise innerhalb der Fußnoten, dar. Deutlich ist, dass die katholische Kirche als Weltkirche von anderen Voraussetzungen geprägt ist als die eher regional agierenden evangelischen Landeskirchen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Kirchenpolitik der SED zunächst auf die evangelische Kirche gerichtet war. So liegt es nahe, dass die staatskirchenrechtliche Behandlung der katholischen Kirche durch den Staat entweder im Kielwasser der evangelischen Kirche oder aber in bewusster Abgrenzung hierzu erfolgte. Dieser Spur geht die Arbeit nicht oder nur in Ansätzen nach. Die innere, unausgesprochene Grundthese des Buchs ist die Annahme, die staatskirchenrechtliche Stellung der katholischen Kirche in der DDR könnte auch unabhängig von der evangelischen Kirche verstanden werden. Dies darf bezweifelt werden. Abgesehen davon ist der Vfn. für ein gut lesbares, nachvollziehbar gegliedertes und informatives Buch zu danken, das zwei Perspektiven instruktiv zusammenbringt, die in dieser Form noch nicht miteinander in Beziehung gesetzt wurden.