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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

953–955

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Böhnke, Michael

Titel/Untertitel:

Kirche in der Glaubenskrise. Eine pneumatologische Skizze zur Ekklesiologie und zugleich eine theologische Grundlegung des Kirchenrechts.

Verlag:

Freiburg. i. Br.: Verlag Herder 2013. 357 S. Geb. EUR 29,99. ISBN 978-3-451-33268-5.

Rezensent:

Ralf Miggelbrink

Michael Böhnke, Professor für Systematische Theologie an der Universität Wuppertal, hat mit diesem Werk einen wirklich erhellenden Beitrag zum Verständnis der Kirche geleistet. Er analysiert die Abwesenheit einer ekklesiologischen Verhältnisbestimmung von Geist und Recht im Katholizismus als eine Ursache der Glaubenskrise (13–68). Weil das Kirchenrecht dem »Paradigma der Herrschaft« (68) gehorcht, mied die konziliare Erneuerung der Kirche das Kirchenrecht. So blieb sie für die praktische Gestaltung von Kirche erschütternd wirkungslos. Soll die Berufung auf den Heiligen Geist in kirchlicher Hinsicht mehr sein als pastorale Rhetorik, bedarf sie einer rechtlichen Verankerung in der Kirche. Dieser stehe die katholische Abwehr des Schwärmertums ebenso entgegen wie die Funktionslosigkeit des Geistes in der westlichen Trinitätslehre (55).
Das »Paradigma geistbestimmter Freiheit« (75) soll umgekehrt das Kirchenrecht von seiner Herrschaftsförmigkeit und Entwicklungsfeindlichkeit befreien (75). Zu diesem Zweck bedarf es der Anerkennung des Prinzips der »Freiheit und Personwürde des Menschen« (81) und einer Implementierung der Pneumatologie in die kirchliche Alltagspraxis (83–85). Dem entspricht die Wahrnehmung der von Walter Kasper betonten »epikletischen Strukur« der Kirche insgesamt (90). Die Versöhnung von Recht und Geist sieht der Vf. in der Praxis der Epiklese. Sie ist die einzige Form, »in der allein die Autorität Gottes durch die Kirche in Anspruch genommen werden kann« (99).
Der Theologie der Epiklese sind folglich fünf der 15 Kapitel des Buches gewidmet: Unter erheblicher Betonung des theologischen Ranges der Liturgie als »Quelle«, »Form« und »Norm« der Theologie (168) beschreibt der Vf. (Kapitel 5) die epikletische Struktur aller Sakramente, welche insbesondere in deren »Hochgebeten [ungewöhnlicher Sprachgebrauch!] teilweise offenkundig werden, teilweise jedoch wohl noch untergegangenen Traditionen entlockt werden müssen« (185). Die Epiklese hat ihren Grund in der Treue ihres göttlichen Adressaten (Kapitel 6), die der Vf. als »Verwirklichung der Unbedingtheit der göttlichen Liebe unter Zeitindex« versteht (201). Das siebte Kapitel behandelt die Epiklese als Prinzip diakonischer und hierarchischer Praxis (203–219). Im achten Kapitel entwickelt der Vf., warum die »teleologische Bezugnahme auf das göttliche Recht durch die hierarchische Kirchenleitung […] in adäquater Weise nur epikletisch möglich« ist (243). Schließlich wird »Die Kirche als Ganzes« als Subjekt der Epiklese bestimmt (244–259).
Auf der Grundlage seiner epikletischen Ekklesiologie nimmt der Vf. das Thema des Kirchenrechts erneut auf (Kapitel 10–11) mit dem Auftrag an die Kanonisten, das Recht der Kirche »als wesentliches Implikat des Kommerziums der Freiheit« (282) zu konstruieren, was den Vf. zu den Forderungen von Partizipationsoffenheit, Rechtsschutz und der Anerkennung des Grundsatzes der »Gleichheit [sic !] von Mann und Frau« führt (285).
Ab dem 13. Kapitel weitet der Vf. sein Themenspektrum noch einmal erheblich: Die pneumatologische Ekklesiologie wird als Grundlage des rechten Verständnisses von Amt und Dogma erläutert (288–302) und nun endlich (!) – wenn auch reichlich kurz (303–308) – entdeckt der Vf. anhand zweier im Wesentlichen ökumenisch-theologischer Referenztexte, dass eine pneumatologische Ekklesiologie ökumenische Perspektiven bietet. Dass diese nicht von Anfang an eine konstitutive Hauptrolle in der Ekklesiologie des Vf.s spielten, ja, dass zentrale ökumenische Dokumente zur Ek­klesiologie in dem ganzen Buch ebenso wenig eine Erwähnung finden wie die ökumenische Quellensammlung »Dokumente wach­sender Übereinstimmung«, mag der Zielsetzung des Buches geschuldet sein, eine innerkatholische Kurskorrektur anzumahnen. Einem pneumatisch-epikletischen Kirchenbegriff läuft sol-che Nicht-Wahrnehmung zuwider. Ebenfalls der innerkatholischen Zielsetzung geschuldet sein mag die hohe Benevolenz, mit der der Vf. päpstliche Texte interpretiert: Benedikt XVI. gehe es mit seiner Forderung nach einer Entweltlichung der Kirche »recht verstanden« nicht darum, »Strukturen abzubauen«, es gehe darum, »sie von neuem mit Geist zu füllen« (318).
Eine weitere Engführung resultiert aus einer gewissen Schulverhaftung des Vf.s. Es gefährdet die höchst wünschenswerte breite Rezeption dieses engagierten Plädoyers für eine epikletische Ekklesiologie des Heiligen Geistes Gottes, wenn der Vf. unvermittelt behauptet, erst auf der Basis des neuchalkedonischen Enhypostasiebegriffs, wie ihn Georg Essen interpretiert, könne »das Verhältnis von Geist Christi und dem gesellschaftlichen Gefüge der Kirche wirklich bestimmt und heutigem Verstehen erschlossen werden« (106). Ähnlich befremdlich wirkt die Berufung auf Thomas Pröpper hinsichtlich einer theologischen Selbstverständlichkeit (131). Ein Vf., der eine innerkatholische Korrektur des Kirchenbegriffes intendiert, dient der breiten Rezeption seines Anliegens nicht unbedingt, indem er grundlegende hermeneutische Einsichten ausführlich unter Berufung auf Paul Ricœur und Jan Assmann herleitet (107–110).
Wie soll sich der Leser die finale Trias von »Rückblick«, »Zum Ertrag« und »Epilog« am Ende des Buches erklären? Geht es hier um die Beschwörung der Bedeutung eigener Einsichten? Dafür spricht die drastische Abwertung fremder Be­mühungen um das Zweite Vatikanum durch den Vf.: »In bewusster Differenz zum grassie-renden theologisch-nostalgischen ›Konzilserinnerungsjubiläumswahn‹ bin ich davon ausgegangen, dass durch das Zweite Vatikanische Konzil nicht alle ekklesiologischen Probleme gelöst sind.« (309) Diese Ekklesiologie ist ein gut argumentiertes und verständlich geschriebenes Plädoyer für die sinnbestimmte Erneuerung der Kirche, dem der Rezensent eine breite Leserschaft wünscht.