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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

946–948

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Möde, Erwin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christliche Spiritualität und Psychotherapie. Bleibende und neue Wege der Konvergenz.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2013. 220 S. = Eichstätter Studien. Neue Folge, 68. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-7917-2493-5.

Rezensent:

Jürgen Ziemer

Die Beiträge dieses Sammelbandes gehen auf ein interdisziplinäres Fachsymposion zum Titelthema im Jahre 2011 zurück. Auf unterschiedlichen Zugangswegen erkunden die Autoren, wo und wie spirituelles Suchen und therapeutisches Handeln sich treffen und gegenseitig herausfordern. Die Problemstellung ist zweifellos ak­tuell, weil es vielen Therapeuten heute nach wie vor fremd er­scheint, Religion und Glauben ihrer Patienten in den therapeutischen Prozess konstruktiv einzubeziehen.
Christian Spaemann startet die Rubrik medizinisch-therapeutischer Zugänge mit dem Thema »Psychotherapie und menschliches Selbstverständnis«. Er hebt die überaus starke Stellung der Psychotherapie in der modernen Gesellschaft hervor. Ein weit verbreitetes »Bedürfnis nach Selbstvergewisserung« führe dazu, dass Psychotherapeuten als »Vermittler zwischen Individuum und Gesellschaft« gebraucht würden und zunehmend »als eine säkulare Priester-kaste« (17) fungierten. Überhöhte Therapieerwartungen könnten freilich Selbsterfahrung schwächen und Abhängigkeit von Professionellen fördern. Es käme deshalb darauf an, die Individuen zu stärken, wozu auch gehöre: »den Glauben und die spirituelle Praxis der Patienten nicht nur zu tolerieren, sondern zu explorieren und wo diese sinnvoll in den Therapieprozess hineinpassen zwar nicht für die Psychotherapie zu verzwecken, aber zu validieren und zu verstärken« (25). Damit ist ein starkes Plädoyer für mehr spirituelle Aufmerksamkeit in der professionellen Psychotherapie an den Anfang gestellt, das nahezu unterschiedslos auch für alle weiteren Beiträge des Bandes gilt. Das wird gleich im nächstfolgenden Beitrag über »ökonomistische Spiritualität« in der modernen Medizin unterstrichen. Giovanni Maio warnt davor, Spiritualität zu instrumentalisieren und rät, sie stattdessen frei von zweckrationalen Überlegungen als das anzusehen, was sie ist: »eine Einstellung zum Leben« (33). So könne die Hinwendung zur Spiritualität auch eine »Hinwendung zum Menschen« werden. Der Jesuit Eckhard Frick unterstützt diese Ausrichtung durch differenzierende Überlegungen zu einem »engen« (kirchlichen) und »weiten« (medizinischen) Spiritualitätsbegriff in bindungstheoretischer Perspektive.
Die meisten Beiträge gibt es naheliegenderweise in der Rubrik »psychologisch-psychotherapeutische Zugänge«. Christine Zimmermann berichtet über ein empirisches Forschungsprojekt zur Transzendenzerfahrung im Gebet. Ob Probanden einem eher magischen oder eher symbolischen Gottesbild zuneigen, lässt sich am Ende jedoch nicht eindeutig genug erkennen. Man fragt sich, ob hier nicht auch Grenzen empirischer Forschung in den Blick geraten. Einen instruktiven Überblick über »Spiritualität im Kontext der Logotherapie Viktor E. Frankls« hat Tamara Steiner zum Thema beigesteuert, während Guido Kreppold unter der Überschrift »Franziskus aus tiefenpsychologischer Sicht« an der Gestalt des Heiligen die Validität Jungscher Persönlichkeitspsychologie demonstriert.
Die weiteren Beiträge in diesem Zugangsfeld sind lebensthematisch ausgerichtet. Renate Hellmich-Chomyszyn schreibt – auf dem Hintergrund der klassischen Theorien von Freud, Lacan und Jung – über »Traumdeutung als Methode zur Heilung«. Traumdeutung bedeutet für sie, der »unbewussten Struktur des Traumes« zu folgen und daraus den Anspruch an »Lebensführung und Lebenshaltung« (113) zu erspüren. Der psychotherapeutischen Trauerarbeit widmet Thomas Schnelzer seinen Beitrag. Es sei, so betont er, gerade auch »aus psychologischen Gründen« keineswegs hilfreich, »die christliche Todesdeutung aus der beraterischen und therapeutischen Arbeit mit Trauernden zu verbannen« (132). Noch direkter setzt sich der argentinische Psychoanalytiker Octavio Faure für die therapeutische Präsenz christlicher Spiritualität ein. »Walk­ing into the Holy Spirit« ist sein Beitrag programmatisch überschrieben. Mit entwaffnender Deutlichkeit und durch Beispiele gestützt wirbt er für eine Therapie in der Gegenwart des Geistes: »We must work in a network around the Holy Spirit.« (144)
Die »theologischen Zugänge« werden mit einem Beitrag des Herausgebers eröffnet: »Wege zum Heil. Antworten aus der Psychotherapie«. Erwin Möde geht theologisch aufs Ganze. »Der Prüfstein für das Christentum ist also das Therapeutische.« (180) Er lädt ein zu einer »Gratwanderung zwischen ›Heilsweg theologisch‹ und ›Lebensweg therapeutisch‹« (149). Konkret zeigt Möde den heilsamen Weg, indem er beispielhaft die Bedeutung spiritueller Impulse von »Verzicht« und »Opfer« für eine erfolgreiche Suchtherapie beschreibt. Hier wird es richtig spannend. Ähnlich wie bei Schnelzer geht es um die therapeutische Valenz geistlicher Denk- und Handlungsimpulse.
Ganz in die Praxis der Seelsorge führen die nachvollziehbaren, seelsorglichen und maßvoll psychologieskeptischen »Gedanken eines Klinikpfarrers« von Lorenz Gadient. Und dann folgt unerwartet, wenn auch nicht unpassend, der Aufsatz von Salvatore Loiero über die »indikative Predigt«, exemplifiziert am »Predigtwerk Eugen Drewermanns«. Indem Predigt sich als »In-Sprache-He­bung« der heilvollen Zuwendung Gottes zu den Menschen vollzieht, ereigne sich für die Hörer »Konvergenz von Theologie und Psychotherapie« (176).
Hingewiesen werden kann schließlich nur noch auf den Beitrag über »Passion und Devotion« von Michael Eckert, in dem es um die Bedeutung »ästhe-tischer Erfahrung« geht, und auf drei Aufsätze unter der Rubrik »Literatur-wissenschaftliche Zugänge«: Wilhelm Bartscherer schreibt über das Werk Hermann Hesses zwischen »tradierter Spiritualität und moderner Tiefenpsycho-logie«, Hans-Jürgen Gerigk rückt Dostojewski und Heidegger in den Horizont von »Vertrauen und Selbstentfremdung« und Martin Balle hebt die Bedeutung der Medien in unserer Gesellschaft für eine spirituelle Perspektive auf die menchliche Exis­tenz hervor.
Insgesamt ist dies ein Band mit interessanten und lesenswerten Beiträgen. Sie stimmen alle darin überein, dass sie einer frucht-baren Beziehung zwischen Spiritualität und Therapie den Weg ebnen möchten. Die Konzentration auf »christliche« Spiritualität schränkt den Wirkungshorizont im Blick auf den heute interdisziplinär und interreligiös zu führenden Spiritualitätsdiskurs natürlich in gewisser Weise ein, aber das mindert doch nicht den Wert dieser anregenden Veröffentlichung. Der Ertrag hätte für den Leser noch leichter erkennbar werden können, wenn – etwa in einem Schlusswort oder auf andere Weise – gewonnene Einsichten und offenen Fragen markiert und dabei die verborgenen Vernetzungen der Beiträge untereinander sichtbar gemacht worden wären.