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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

942–943

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hauger, Martin

Titel/Untertitel:

Gerhard von Rads frühe Predigten. Eine historisch-homiletische Untersuchung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 512 S. = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 51. Geb. EUR 88,00. ISBN 978-3-374-03160-3.

Rezensent:

Martin Weeber

Der Gegenstand, mit dem sich die Arbeit befasst, ist klein, aber beziehungsreich: Martin Hauger untersucht in seiner Heidelberger Dissertation die Vikariatspredigten Gerhard von Rads. Nun stellen einerseits »Predigt und Verkündigung bis zuletzt den heimlichen Dreh- und Angelpunkt« (462) der Theologie Gerhard von Rads dar. Andererseits aber hat von Rad in seiner Vikariatszeit – wenig verwunderlich – noch zu keinem deutlich ausgeprägten theologischen Profil gefunden. Von Rad befindet sich während seiner Vikariatszeit (1926–1927) noch in der von H. bis ins Jahr 1930 angesetzten »präformativen Phase« (51). Aber gerade die geringe Prägnanz dieser Vikarspredigten lässt sie zu einem Spiegel zeitgenössischer Stimmungs- und Debattenlagen werden – und macht sie damit aufschlussreich.
Es soll in der vorgelegten Untersuchung »der homiletische Übergang von der modernen Predigt zur kerygmatischen Theologie am Beispiel G. v. Rads und des ihn prägenden Umfeldes untersucht werden«, wobei »das Augenmerk weniger auf der homiletischen Theoriediskussion als vielmehr auf der Predigtpraxis und deren impliziten homiletischen Voraussetzungen« liegt (51).
Diese Schwerpunktsetzung auf die Predigtpraxis ist durchaus sachgemäß, denn weniger das akademische Studium der Theologie hat von Rads Anschauungen geprägt als vielmehr die Atmosphäre des Nürnberger religiösen Liberalismus: »Es ist deutlich, dass wesentliche Einflüsse auf die frühe Predigtpraxis G. v. Rads personal vermittelt wurden. F. Rittelmeyer, C. Geyer, W. Stählin und G. Merz waren nicht nur hervorragende Theologen, sie waren zu­gleich außergewöhnliche Predigerpersönlichkeiten, die ihre Predigtpraxis praktisch-theologisch reflektierten und sich verschiedentlich dazu geäußert haben.« (53) Von Rads Vikariatspredigten lassen sich beschreiben als milde, weitgehend unpolemische Va­rianten des liberalen Predigtansatzes:
»Soweit es möglich ist, folgt G. v. Rad also dem liberalen Versuch einer religiösen Interpretation der kirchlichen Dogmen, darüber hinaus verzichtet er aber auf eine kritische Haltung, sondern zieht sich im Zweifelsfall wieder auf ein dogmatisches Konstrukt zurück. F. Rittelmeyer und C. Geyer waren an diesem Punkt radikaler und streitlustiger.« (205)
Neben die liberalen Nürnberger Prägungen tritt der Einfluss der Jugendbewegung, auf durchaus unterschiedliche Weise vermittelt durch Wilhelm Stählin und Georg Merz. Unter dem Einfluss von Merz entfernt sich von Rad zunehmend von Stählin, »ohne dass er wie seine Freunde W. v. Loewenich und W. Trillhaas zu einem Schüler K. Barths im engeren Sinne wurde.« (294) So lassen sich dann am Ende auch von Rads Vikariatspredigten charakterisieren als ge­prägt von einer durch Motive der Jugendbewegung »besonders im Bereich des Natur- und Gemeinschaftserlebens« überformte »Verbindung von liberaler und kerygmatischer Homiletik« (425).
Angesichts der weiteren Forschungsbiographie von Rads ist von besonderem Interesse ein Kapitel über Das Alte Testament in den Predigten Gerhard von Rads. Freilich ist hier die Quellenbasis äußerst schmal: Es liegen nur sehr wenige Predigten zu alttestamentlichen Texten vor, was natürlich auch mit der Perikopenordnung zusammenhängt. Inhaltlich ist festzustellen, »dass die alttes­tamentliche Frömmigkeit für G. v. Rad in jeder Hinsicht eine vorchristliche ist« (430). »Das Judentum und mit ihm das AT ist nur ein – wenngleich herausragendes – Beispiel für das menschliche religiöse Bemühen und Streben.« (ebd.) Das Alte Testament gehört damit prinzipiell »in den Bereich der heidnischen Religionen und diesem steht der christliche Glaube exklusiv gegenüber.« (432) In nüchterner Knappheit formuliert: »Auf der Basis dieser Hermeneutik erübrigt sich das AT christlich-theologisch von selbst.« (433)
Ein abschließendes Kapitel zieht manche interessanten Verbindungslinien zwischen von Rads Verständnis der biblischen Überlieferungsgeschichte und seiner Auffassung der homiletischen Aufgabe. Diese Linien lassen sich aber nur innerhalb des Spätwerks sichtbar machen, nicht jedoch anhand der frühen Predigten. Vikariatspredigten sind eben doch nicht mehr als das, was sie sind – auch wenn deren Verfasser im späteren Lauf ihres Lebens beeindruckende theologische Konzeptionen entwickeln.