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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

931–934

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Breitsameter, Christof [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hoffnung auf Vollendung. Christliche Eschatologie im Kontext der Weltreligionen. Mit Beiträgen von B. Janowski, K. Liess, Th. Söding, J. Rist, M. Knapp, G. Essen, S. Böntert, P. Antes, N. Brieden, P. Freudenberger-Lötz u. M. Schambeck.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2012. 231 S. = Theologie im Kontakt, 19. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-643-11697-0.

Rezensent:

Christian Polke

Zur Eigenart des menschlichen Lebens gehört das Wissen um seine Endlichkeit. Religionen sind stets auch als Antwortversuche auf den Umgang mit dieser zutiefst unangenehmen, aber eben auch unausweichlichen Frage und einem möglichen »Danach« zu lesen. So gesehen dürfte der Bedarf nach Eschatologien, also nach reflexiven Antworten gespeist aus den spirituellen und religiösen Traditionen der Menschheit, krisenimmun sein. Schaut man sich aber hierzulande auf dem theologischen Buchmarkt nach neueren Entwürfen um, so lässt sich der Eindruck nicht erwehren, als es gäbe es sie doch, die eschatologische Reflexionskrise. Ist das »eschatolo-gische Büro« also doch geschlossen, wie Troeltsch vermutete? Dabei bräuchte die Themenstellung ja dringend eine interreligiöse Ausweitung, zumal wenn man den Wandel in der Bestattungskultur, die Schwierigkeiten beim ethischen Umgang am Lebensende oder auch der Seelsorge im schweren Krankheitsfall bedenkt. Der hier vorzustellende Aufsatzband, der aus zehn Beiträgen aus der Feder von mehrheitlich katholischen Theologen und Religionspädagogen besteht, verdient schon von daher Beachtung. Er geht zurück auf eine Vortragsreihe des Kontaktstudiums an der Katholisch-Theologischen Fakultät Bochum. Entsprechend dominieren informative Anteile in den Darstellungen.
Der Band stellt die Vorträge in der disziplinär abgestimmten Abfolge dar – beginnend mit biblischer Exegese und Kirchengeschichte über Systematische Theologie und religionswissenschaftliche Zugänge hin zu liturgiewissenschaftlichen und religions-pädagogischen Zugängen. Wohltuend verzichtet er auf die sonst übliche, meist selbst massiven Integrationsinteressen geschuldete Einleitung. Bernd Janowski und Kathrin Liess (vgl. 9–33) gehen an­hand einer exemplarischen Betrachtung von Ps 73 der Entwicklung und dem Wandel der alttestamentlichen Eschatologie nach. Die Frage nach dem ewigen Leben verschärft sich religions- wie theologiegeschichtlich im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Exil und speist sich letztlich aus mehreren Faktoren, der »Entwicklung zum Monotheismus, [der] Krise des Tun-Ergehens-Zusammenhangs und [der] Todesmetaphorik der Klage- und Danklieder des einzelnen.« (29) Deutlich wird hier, wie sich mit der theozentrischen Dynamik zugleich die Frage verschärft, ob der Bereich des Todes eigentlich jenseits des Einflusses Gottes liegt. Thomas Söding (vgl. 35–65) be­schäftigt sich in seinem Beitrag mit der Rolle der Naherwartung Jesu, die als Ärgernis schon lange die neutestamentliche Wissenschaft provoziert. Beachtet man, dass selbst noch die Irrtumsthese von der falschen Übertragung des jesuanischen Zeitverständnisses in ein neuzeitliches Geschichtsparadigma lebt (vgl. 42), so stellt sich das hermeneutische Problem der Verbindung aus Ende der Zeit und Anbruch der Gottesherrschaft erneut. Die Fülle der Zeit, die Jesus erwartet, lässt sich jedenfalls nicht denken, ohne dass Jesus zeitlebens als ein »Wartender« und »Hoffender« begriffen wird. Christologisch betrachtet bedeutet dies dann, in Jesus als dem Christus einen »Mann mit Zukunft« zu sehen, einer Zukunft, die das Reich Gottes selbst ist (vgl. 65). Josef Rist geht im Anschluss (vgl. 67–88) der Begräbnispraxis und den Todesvorstellungen der frühen Christenheit nach. Schon im 2. Jh. n. Chr. lässt sich kultur-und sozialgeschichtlich ein Wandel der Bestattungsform hin zur Erdbestattung diagnostizieren (vgl. z. B. 81). Dies kommt der christlichen Auferstehungsidee entgegen. Die oft piktoralen Ausgestaltungen von Friedhöfen und Katakomben (mit Verweis auf die häufige Darstellung der Auferweckung des Lazarus, vgl. 86) geben Aufschlüsse über die Lebendigkeit von Jenseitsvorstellungen. Rituelle Gestaltung des Übergangs vom Leben zum Tod ist ohnehin der vielleicht produktivste Ort für die Beschäftigung mit eschatologischen Glaubensvorstellungen. Le­bendige Ideen im Vollzug zeigen sich in der Ordnung und dem Verlauf der Begräbnisliturgien. »Nirgendwo erweist sich eine Deutung der christlichen Eschatologie als bloßer Vorgang der Innerlichkeit so sehr als Fehlurteil wie mit Blick auf die Liturgie« (151), schreibt zu Recht Stefan Böhnert in seinem Beitrag (vgl. 127–155) über die trost- und hoffnungsstiftende Dimension des Gottesdienstes und der Kasualien. Jedoch belässt er es im Übrigen bei einer klugen Hermeneutik der geltenden Formulare. Eine Diagnose zu möglichen Spannungen, die sich aus der Konfrontation mit dem religionskulturellen Wandel der Todesvorstellungen ergeben könnten, bleibt aus. Peter Antes (vgl. 155–164) und Norbert Brieden (vgl. 165–186) fragen dann nach möglichen Alternativen zur christlichen Eschatologie in Auseinandersetzung mit Islam und Buddhismus. Während Antes einen allgemeinen Überblick gibt, fokussiert Brieden seinen Beitrag auf die religionsdidaktische Vermittlung. Wie gelingt im christlichen Religionsunterricht die Sensibilisierung für eine, bei diesem Thema ohnehin völlig fremde Tradition? Brieden nähert sich seiner Frage durch die exemplarische Analyse eines Schulbuchs für die Jahrgänge 9 und 10 (vgl. 175 ff.) an. So notwendig diese interreligiösen Grenzgänge sind, so unweigerlich stellt sich dem Rezensenten die Frage, wo eigentlich die hermeneutischen Vermittlungsstrategien bleiben. Kann man so ohne Weiteres, und sei es nur klassifikatorisch, die christlich geprägte Eschatologiekategorie auf Islam und Buddhismus übertragen? Das sind Fragen des und an die Systematischen Theologen. Doch zuvor sollen noch die beiden ab­schließenden Texte erwähnt werden. Petra Freudenberger-Lötz hat sich in ihrem lesenswerten Aufsatz (vgl. 187-205) den Todes- und Lebensvorstellungen von Kindern gewidmet. Eine genauere Kenntnis des Wandels und der eigenkreativen Beschäftigung mit diesem ernsten Thema in den unterschiedlichen Lebensphasen ist nicht nur für die Religionspädagogik wichtig, sondern dürfte auch ein »Muss« für jede ausgearbeitete Eschatologie sein. Vielleicht nirgendwo besser als hier zeigen sich Wesen und Wandel des Glaubens im Doppel von kritischem Zweifel und konsequenter Hoffnung. Dies gilt auch für religiöse Bildungsprozesse von Jugendlichen, das Thema von Mirjam Scham­beck (vgl. 207–225).
Bewusst ausgelassen worden sind bis hierhin die beiden Ab­handlungen aus der Feder der Systematischen Theologen Markus Knapp (»›[…] und so werden wir immer mit dem Herrn sein‹, 1Thess 4,17, Perspektiven einer christlichen Eschatologie«, vgl. 89–105) und Georg Essen (»Das Ende der Geschichte und die Hoffnung auf Allversöhnung. Theologische Reflexionen am Abgrund der Hoffnung«, vgl. 107–125). Dies ist einem grundsätzlichen Eindruck ge­schuldet, den die Lektüre des Bandes bei mir ausgelöst hat. Beide Autoren liefern inhaltlich interessante und qualitativ anspruchsvolle Rekonstruktionen eschatologischer Themenzusammenhänge. Was mich allerdings nachdenklich stimmt, ist die Weise, mit der die Verfasser relativ bruchlos hermeneutische Fragen, etwa des Verhältnisses von Lebenszeit und Weltzeit, des Problems überzogener geschichtsphilosophischer Spekulationen oder des Problems der Posthistorie, mit klassischen dogmatischen Überlegungen zu verbinden wissen. Essen z. B. sieht zu Recht die Notwendigkeit, es­chatologische Gedankengänge nicht ohne Einbeziehung der Theodizeethematik und der geschichtstheologischen Flanken vorzunehmen. Richtig ist es auch, darauf hinzuweisen, dass sich die Rede vom Ende der Geschichte selbst der jüdisch-christlichen Tradition verdankt (vgl. 116). So gesehen macht es Sinn, die wesentliche Aufgabe der Eschatologie im Austarieren von göttlicher und menschlicher Freiheit am Ort der Geschichte und im Angesicht von Endlichkeit und Vollendungsbedürftigkeit zu sehen. Doch verbleibt die Rekonstruktion der angesprochenen Probleme eben schon in genau jenem Horizont, nämlich dem einer spätidealistisch (durch Schelling) inspirierten Freiheits- und Sinntheorie, die auch die möglichen Antworten bereitstellt. Dieses harmonische Ineinanderfügen gefährdet genau jenes Irritationspotential, für das die Eschatologie in meinen Augen wie kein anderes dogmatisches Lehrstück steht. Was würde es stattdessen bedeuten, wenn man sich erst einmal bemüht, die aus Lebenswelt und Kulturgeschichte bekannten Bedrängnisse, die aus dem menschlichen Wissen um den eigenen Tod nun einmal resultieren, in ihrer Spannung darzustellen und hermeneutisch zu reflektieren? Um es exemplarisch zuzuspitzen: Schleiermacher, dem wir die Einsicht verdanken, dass Eschatologie die paradigmatische kritische Grenzreflexion des christlichen Glaubensbewusstseins darstellt, exponiert diese eben dadurch, dass bei ihm die unabweisbare Spannung zwischen Endlichkeitskonstitution und Vollendungsbedürftigkeit im Mittelpunkt steht. Das eschatologische »Luxusproblem« bspw. ergibt sich daraus, dass der Mensch nur in endlichen Kontexten zu seiner Realisierung kommen kann und dass noch seine höchste Vollendung, wenn sie die seine (!) ist, nicht einfach als eine all-at-once-Ewig­keits­vor­stellung gedacht werden kann. Hier stellt die Eschatologie mehr Fragen, als dass sie Antworten zu geben weiß, so richtig und notwendig auch Sätze sein mögen, wie derjenige von Knapp: »Christliche Eschatologie ist die Entfaltung der letzten Konsequenzen des Agape-Seins Gottes für Mensch und Schöpfung.« (97) Man kann dies auch noch einmal anders mit Bezug auf den grundlegenden lebensweltlichen Aspekt verdeutlichen: Weil wir Menschen stets mehr Zeit bräuchten, als wir haben, und weil die Zeit somit immer drängt, besteht die Leistung eschatologischer Überlegungen, sich von der Fixierung auf bestimmte Fragen und Antworten zu lösen und stattdessen jenes Moment in den Vordergrund zu stellen, das die Hoffnung auf Vollendung mit der Gewissheit der Freiheit und dem Vertrauen auf Sinn teilt: nämlich das des riskanten, aber menschenmöglichen Wagnisses.